Das Fest im Meer (2001/02)
Uraufführung (UA): Hamburg, 17. Juni 2003; Kampnagel Hamburg
Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper
Musiktheater in drei Abschnitten (2001/02)
Text von Francis Hüsers nach dem Roman "To the Wedding" von John Berger
Maite Beaumont (Ninon), Renate Spingler (Zdena), Tomas Möwes (Jean), Moritz Gogg (Gino), Dieter Weller (Federico), Jürgen Sacher (Tomas)
Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Inszenierung: Christoph von Bernuth
Bühnenbild: Heinrich Tröger von Allwörden
Kostüme: Doris Kirchhof
Besetzung Solisten:
Ninon - lyrischer Mezzosopran
Zdena, ihre Mutter - Sopran
Jean, ihr Vater - Bassbariton
Gino - Bariton
Federico, sein Vater - Bass
Tomas, ein Reisender - hoher Tenor
Tante Emanuela, Hochzeitsgäste - stumme Rollen
Besetzung Ensemble:
2 Fl (1. auch Afl, 2. auch Picc) - 2 Kl in B (1. auch Kl in Es, 2. auch Bkl in B) - 2 Fg (2. auch Kfg)
2 Hrn in F
Hrf - Akk - Sz (1 Spieler)
2 Va - 2 Vc - 2 Kb
Dauer: ca. 105 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper
Musiktheater in drei Abschnitten (2001/02)
Text von Francis Hüsers nach dem Roman "To the Wedding" von John Berger
Maite Beaumont (Ninon), Renate Spingler (Zdena), Tomas Möwes (Jean), Moritz Gogg (Gino), Dieter Weller (Federico), Jürgen Sacher (Tomas)
Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Inszenierung: Christoph von Bernuth
Bühnenbild: Heinrich Tröger von Allwörden
Kostüme: Doris Kirchhof
Besetzung Solisten:
Ninon - lyrischer Mezzosopran
Zdena, ihre Mutter - Sopran
Jean, ihr Vater - Bassbariton
Gino - Bariton
Federico, sein Vater - Bass
Tomas, ein Reisender - hoher Tenor
Tante Emanuela, Hochzeitsgäste - stumme Rollen
Besetzung Ensemble:
2 Fl (1. auch Afl, 2. auch Picc) - 2 Kl in B (1. auch Kl in Es, 2. auch Bkl in B) - 2 Fg (2. auch Kfg)
2 Hrn in F
Hrf - Akk - Sz (1 Spieler)
2 Va - 2 Vc - 2 Kb
Dauer: ca. 105 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Einführung
Europa, 1994. Ninon und Gino lieben sich. Und es gibt einen Grund zu heiraten: Ninon erfährt, dass sie HIV positiv ist...
ABSCHNITT I
Europa im 20. Jahrhundert. Jeder hat seine Geschichte: Zdena, Jean, Federico, Tomas, Gino und Ninon, die jüngste. Ninon zieht von Frankreich nach Italien, lernt dort in einem Museum Gino kennen, sie freunden sich an, lieben sich.
ABSCHNITT II
Ninon hat erfahren, dass sie HIV positiv ist, und will sich von Gino trennen. Zdena packt in Bratislava einen Koffer, Jean fährt mit dem Motorrad nach Italien, Federico, auf seinem Schrottplatz, verkauft einen alten Anker.
Gino bringt Ninon auf den Fluss, sie streiten. Zdena lernt auf der Reise Tomas kennen, einen gebildeten Taxifahrer, Federico erzählt eine erschreckende Geschichte und rät Gino zu heiraten. Ninon sieht in allem nur den Tod.
Nach jahrelanger Trennung treffen sich Zdena und Jean auf dem Weg zur Hochzeit ihrer Tochter an der Mole. Auf dem Wochenmarkt gibt es wieder Streit zwischen Gino und Ninon. Endlich schafft er es aber, dass sie der Hochzeit zustimmt.
ABSCHNITT III
An einem Ort an der Mündung des Flusses treffen sich alle zum Fest. Sie trinken, essen, reden, tanzen. Die Ewigkeit soll warten, heute ist Hochzeit.
(Francis Hüsers, 2002)
Lesen Sie hier ein Interview mit Francis Hüsers und Jörn Arnecke zu "Das Fest im Meer" (Staatsoper Journal, Juni / Juli 2003). Weitere Interviews stammen aus der Deister- und Weserzeitung (20. Juni 2003), der Welt (13. Juni 2003), den Kieler Nachrichten (17. Juni 2003), sowie hamburg: pur (Juni 2003).
Als Vorberichte zu "Das Fest im Meer" erschienen auch mehrere Porträts von Jörn Arnecke. Lesen Sie hier Texte aus Hinz & Kunzt (Juni 2003), dem Hamburger Abendblatt(17. Juni 2003), der Hamburger Morgenpost (17. Juni 2003) sowie aus Hamburg LIVE (12. Juni 2003).
ABSCHNITT I
Europa im 20. Jahrhundert. Jeder hat seine Geschichte: Zdena, Jean, Federico, Tomas, Gino und Ninon, die jüngste. Ninon zieht von Frankreich nach Italien, lernt dort in einem Museum Gino kennen, sie freunden sich an, lieben sich.
ABSCHNITT II
Ninon hat erfahren, dass sie HIV positiv ist, und will sich von Gino trennen. Zdena packt in Bratislava einen Koffer, Jean fährt mit dem Motorrad nach Italien, Federico, auf seinem Schrottplatz, verkauft einen alten Anker.
Gino bringt Ninon auf den Fluss, sie streiten. Zdena lernt auf der Reise Tomas kennen, einen gebildeten Taxifahrer, Federico erzählt eine erschreckende Geschichte und rät Gino zu heiraten. Ninon sieht in allem nur den Tod.
Nach jahrelanger Trennung treffen sich Zdena und Jean auf dem Weg zur Hochzeit ihrer Tochter an der Mole. Auf dem Wochenmarkt gibt es wieder Streit zwischen Gino und Ninon. Endlich schafft er es aber, dass sie der Hochzeit zustimmt.
ABSCHNITT III
An einem Ort an der Mündung des Flusses treffen sich alle zum Fest. Sie trinken, essen, reden, tanzen. Die Ewigkeit soll warten, heute ist Hochzeit.
(Francis Hüsers, 2002)
Lesen Sie hier ein Interview mit Francis Hüsers und Jörn Arnecke zu "Das Fest im Meer" (Staatsoper Journal, Juni / Juli 2003). Weitere Interviews stammen aus der Deister- und Weserzeitung (20. Juni 2003), der Welt (13. Juni 2003), den Kieler Nachrichten (17. Juni 2003), sowie hamburg: pur (Juni 2003).
Als Vorberichte zu "Das Fest im Meer" erschienen auch mehrere Porträts von Jörn Arnecke. Lesen Sie hier Texte aus Hinz & Kunzt (Juni 2003), dem Hamburger Abendblatt(17. Juni 2003), der Hamburger Morgenpost (17. Juni 2003) sowie aus Hamburg LIVE (12. Juni 2003).
Was machen wir, bevor die Ewigkeit anfängt? Wir lassen uns Zeit. Ninon (Maite Beaumont) und Gino (Moritz Gogg) feiern Hochzeit.
Esst! Trinkt! Esst für ein ganzes Leben! Federico (Dieter Weller), Jean (Tomas Möwes), Ninon (Maite Beaumont), Gino (Moritz Gogg), Zdena (Renate Spingler) und Tomas (Jürgen Sacher) sitzen an der Festtafel.
Rezensionen
Trotz Aids mündet eine Liebe in die Ehe
Ein musiktheatralisches Meisterstück: Die Uraufführung von Jörn Arneckes "Das Fest im Meer" in der Hamburger Kampnagel-Fabrik
Ein musiktheatralisches Meisterstück: Die Uraufführung von Jörn Arneckes "Das Fest im Meer" in der Hamburger Kampnagel-Fabrik
Man wird den Namen des knapp 30-jährigen Jörn Arnecke in die Reihe der wichtigen Komponisten der Gegenwart aufnehmen müssen. Neugier weckte er bereits 2001 mit der Uraufführung der Kurzoper "Wieder sehen" in München. Jetzt legte er als Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper seine erste abendfüllende Musiktheaterkomposition vor, die sich in jeder Hinsicht als sein Meisterstück erweist.
"Das Fest im Meer" fußt auf John Bergers Roman "Auf dem Weg zur Hochzeit" (1995) und erzählt die Geschichte eines Liebespaars. Als Ninon erfährt, dass sie Aids hat, will sie sich sofort von Gino trennen. Dessen Liebe aber ist so groß, dass er sie zur Hochzeit überredet – sie wollen die verbliebene Zeit gemeinsam bis zum Letzten auskosten. Eingebettet ist die Story in Statements enttäuschter Hoffnungen, in denen sich die politischen Aufbrüche der Zeit spiegeln. Ninons Mutter verließ Mann und Tochter, um in der Bürgerrechtsbewegung in Prag mitzuarbeiten.
Francis Hüsers, Produktionsleiter der Staatsoper, gab dem Sujet als Librettist eine polyphone Struktur mit sich überlagernden Handlungssträngen, die Arnecke in seiner Komposition aufnahm. Die erste Szene ist ein großes Ensemble, in dem einzelne Schlüsselworte herausspringen, mit denen sich die Personen vorstellen. Arnecke, Schüler von Peter Michael Hamel und des französischen Spektralisten Gérard Grisey (Gründer der Gruppe "L’ Itinéraire"), gewann sein musikalisches Material durch aus einer Obertonreihe abgeleitete Vierteltönigkeit, der er sich jedoch nicht sklavisch unterwarf, die er variierte und mit anderen Strukturen überlagerte – immer bezogen auf den Charakter einer Szene, einer Stimmung.
Jede Person erhält eine klanglich und atmosphärisch eigene Musik. Wobei der Gesang für ihn eine Steigerung der Empfindung ist, ein emotionaler Ausnahmezustand, "etwas Besonderes". Dagegen gesetzt sind Sprechgesang-Passagen. Das erste Liebesduett wird von einem wunderschönen Flötensolo begleitet, aber immer wieder auch von Geräuschen harsch skandiert.
Arnecke arbeitet mit den Klangfarben der Instrumente. Er wählte fast ausschließlich dunkel timbrierte Stimmen auf der Bühne wie im Orchester, das ohne Geigen auskommt. Sechs tiefe Streicher sind acht Bläsern konfrontiert (dazu Akkordeon, Harfe, Schlagzeug). Jeweils die Hälfte der Streicher und Bläser ist vor der Bühne, die andere seitlich der Zuschauer platziert. Der Klang wandert im Raum, bezieht ihn ein.
Am Ende, zum Hochzeitsfest an der Mündung des Po, gehen einige Musiker auf die Bühne, spielen zum Fest auf, während Fagott, Klarinette und Flöte hinter der Bühne das tragische Moment im fröhlichen Feiern markieren. Gleichwohl klingt die Oper verhalten, nicht ohne Hoffnung aus.
Für die Uraufführung in der ehemaligen Kampnagelfabrik, der Spielstätte für Avantgarde, entwarf Heinrich Tröger von Allwörden eine klug gegliederte Raumbühne, die auch intime Szenen erlaubt.
Der junge Christoph von Bernuth fand überzeugende szenische Lösungen und führte die Darsteller vorzüglich. Unter der aufmerksamen und temperamentvollen Leitung des 23-jährigen Dirigenten Cornelius Meister wird optimal gesungen. Kaum zu glauben, dass die allerdings schon mit mehreren Preisen bedachte Maite Beaumont (Ninon) und Moritz Gogg (Gino) noch dem Opernstudio der Staatsoper angehören. Ein glänzender Spielzeitausklang der Staatsoper.
Werner Schulze-Reimpell, Nürnberger Nachrichten, 23. Juni 2003
ebenfalls abgedruckt in: Ruhr Nachrichten, 27. Juni 2003
"Das Fest im Meer" fußt auf John Bergers Roman "Auf dem Weg zur Hochzeit" (1995) und erzählt die Geschichte eines Liebespaars. Als Ninon erfährt, dass sie Aids hat, will sie sich sofort von Gino trennen. Dessen Liebe aber ist so groß, dass er sie zur Hochzeit überredet – sie wollen die verbliebene Zeit gemeinsam bis zum Letzten auskosten. Eingebettet ist die Story in Statements enttäuschter Hoffnungen, in denen sich die politischen Aufbrüche der Zeit spiegeln. Ninons Mutter verließ Mann und Tochter, um in der Bürgerrechtsbewegung in Prag mitzuarbeiten.
Francis Hüsers, Produktionsleiter der Staatsoper, gab dem Sujet als Librettist eine polyphone Struktur mit sich überlagernden Handlungssträngen, die Arnecke in seiner Komposition aufnahm. Die erste Szene ist ein großes Ensemble, in dem einzelne Schlüsselworte herausspringen, mit denen sich die Personen vorstellen. Arnecke, Schüler von Peter Michael Hamel und des französischen Spektralisten Gérard Grisey (Gründer der Gruppe "L’ Itinéraire"), gewann sein musikalisches Material durch aus einer Obertonreihe abgeleitete Vierteltönigkeit, der er sich jedoch nicht sklavisch unterwarf, die er variierte und mit anderen Strukturen überlagerte – immer bezogen auf den Charakter einer Szene, einer Stimmung.
Jede Person erhält eine klanglich und atmosphärisch eigene Musik. Wobei der Gesang für ihn eine Steigerung der Empfindung ist, ein emotionaler Ausnahmezustand, "etwas Besonderes". Dagegen gesetzt sind Sprechgesang-Passagen. Das erste Liebesduett wird von einem wunderschönen Flötensolo begleitet, aber immer wieder auch von Geräuschen harsch skandiert.
Arnecke arbeitet mit den Klangfarben der Instrumente. Er wählte fast ausschließlich dunkel timbrierte Stimmen auf der Bühne wie im Orchester, das ohne Geigen auskommt. Sechs tiefe Streicher sind acht Bläsern konfrontiert (dazu Akkordeon, Harfe, Schlagzeug). Jeweils die Hälfte der Streicher und Bläser ist vor der Bühne, die andere seitlich der Zuschauer platziert. Der Klang wandert im Raum, bezieht ihn ein.
Am Ende, zum Hochzeitsfest an der Mündung des Po, gehen einige Musiker auf die Bühne, spielen zum Fest auf, während Fagott, Klarinette und Flöte hinter der Bühne das tragische Moment im fröhlichen Feiern markieren. Gleichwohl klingt die Oper verhalten, nicht ohne Hoffnung aus.
Für die Uraufführung in der ehemaligen Kampnagelfabrik, der Spielstätte für Avantgarde, entwarf Heinrich Tröger von Allwörden eine klug gegliederte Raumbühne, die auch intime Szenen erlaubt.
Der junge Christoph von Bernuth fand überzeugende szenische Lösungen und führte die Darsteller vorzüglich. Unter der aufmerksamen und temperamentvollen Leitung des 23-jährigen Dirigenten Cornelius Meister wird optimal gesungen. Kaum zu glauben, dass die allerdings schon mit mehreren Preisen bedachte Maite Beaumont (Ninon) und Moritz Gogg (Gino) noch dem Opernstudio der Staatsoper angehören. Ein glänzender Spielzeitausklang der Staatsoper.
Werner Schulze-Reimpell, Nürnberger Nachrichten, 23. Juni 2003
ebenfalls abgedruckt in: Ruhr Nachrichten, 27. Juni 2003
Liebe im Aids-Zeitalter
Viel Beifall für die Uraufführung von Jörn Arneckes Kammeroper "Das Fest im Meer".
Viel Beifall für die Uraufführung von Jörn Arneckes Kammeroper "Das Fest im Meer".
Gerade eben hat Ninon dem Geliebten Gino von ihrer HIV-Infektion erzählt. Sie weiß noch nicht, dass er kurz darauf dennoch um ihre Hand anhalten wird, dass sie wenig später mit der Familie ein ausgelassenes Hochzeitsfest feiern, und beklagt ihr Schicksal in einem bewegenden Monolog ("Alles ist mir genommen").
Die schmerzensweichen, vierteltönig gefärbten Linien ihres Trauergesangs werden von den Instrumenten aufgegriffen und allmählich zu einem sanft verschlungenen Geflecht zusammengeführt, das der beklemmenden Intensität der Situation sensibel nachspürt.
In dieser neunten Szene treten die Stärken von Jörn Arneckes auf Kampnagel uraufgeführter Kammeroper "Das Fest im Meer" beispielhaft zu Tage: Mit einer subtil durchgehörten Musiksprache gelingt es dem jungen Komponisten (Jahrgang 1973), den Facetten des Sujets gerecht zu werden. Eine reife Leistung; schließlich geht es um nichts weniger als das direkte Nebeneinander von Liebe und Tod: immerhin die zwei zentralen Themen des menschlichen Lebens (und damit auch der Operngeschichte).
Virtuos spielt Arnecke mit Allusionen an die Tradition von Debussy bis Ligeti, nutzt die Surround-Sitzordnung der 17 Instrumentalisten für zart verästelte räumliche Effekte und scheut sich auch nicht, sinnlich schön zu komponieren, wenn es die dramatische Situation erfordert. Damit spricht er, ohne je anbiedernd oder platt zu wirken, eine allgemein verständliche Sprache.
Durch den Farbreichtum seiner dunkel grundierten Ausdruckspalette - auf Geigen, Oboen und Trompeten verzichtet er ganz -, auch durch die exzellent gelöste Überblendung verschiedener Handlungsstränge (die der Erzählstruktur der Romanvorlage von John Berger entspricht) gelingt es ihm, den Spannungsbogen über 100 Minuten zu tragen.
Inszenierung und Ausstattung lassen der Musik viel Raum: Heinrich Tröger hat eine meerblaue, nur von zwei Wänden unterteilte Bühne gebaut, an deren Hintergrund nach und nach ein großes Wellenbild sichtbar wird. Und Regisseur Christoph von Bernuth sind die psychologischen Profile der Figuren wichtiger als raumgreifende Handlungen; erst am Ende, beim Hochzeitsfest, gibts richtig Action.
Alle sechs Solisten meistern ihre schweren Partien glänzend - wenngleich mit dem einen oder anderen Sicherheitsblick zum Dirigenten. Hervorzuheben ist dabei wieder einmal die großartige Maite Beaumont als Ninon: Mit ihrem anrührenden Spiel, ihrem betörend warmen und nuancenreichen Mezzo bringt die Spanierin den durchweg gebannt lauschenden Zuschauern Ninons zwischen Glück und tiefstem Leid changierenden Charakter nahe.
Mit einer sehr klangschönen Darbietung haben auch die von Cornelius Meister souverän durch die vertrackte Partitur geführten Mitglieder der Philharmoniker wesentlichen Anteil am großen Erfolg.
Die Wirkung war nachhaltig, das Publikum beeindruckt. Als es sich allmählich von der emotionalen Dichte erholt hatte, war der Beifall umso größer. Noch auf der Premierenfeier versprach Intendant Louwrens Langevoort, sich um einen Nachfolgeauftrag für Arnecke zu bemühen.
Marcus Stäbler, Hamburger Abendblatt, 19. Juni 2003
ebenfalls abgedruckt in: neue musikzeitung, Juli / August 2003
Die schmerzensweichen, vierteltönig gefärbten Linien ihres Trauergesangs werden von den Instrumenten aufgegriffen und allmählich zu einem sanft verschlungenen Geflecht zusammengeführt, das der beklemmenden Intensität der Situation sensibel nachspürt.
In dieser neunten Szene treten die Stärken von Jörn Arneckes auf Kampnagel uraufgeführter Kammeroper "Das Fest im Meer" beispielhaft zu Tage: Mit einer subtil durchgehörten Musiksprache gelingt es dem jungen Komponisten (Jahrgang 1973), den Facetten des Sujets gerecht zu werden. Eine reife Leistung; schließlich geht es um nichts weniger als das direkte Nebeneinander von Liebe und Tod: immerhin die zwei zentralen Themen des menschlichen Lebens (und damit auch der Operngeschichte).
Virtuos spielt Arnecke mit Allusionen an die Tradition von Debussy bis Ligeti, nutzt die Surround-Sitzordnung der 17 Instrumentalisten für zart verästelte räumliche Effekte und scheut sich auch nicht, sinnlich schön zu komponieren, wenn es die dramatische Situation erfordert. Damit spricht er, ohne je anbiedernd oder platt zu wirken, eine allgemein verständliche Sprache.
Durch den Farbreichtum seiner dunkel grundierten Ausdruckspalette - auf Geigen, Oboen und Trompeten verzichtet er ganz -, auch durch die exzellent gelöste Überblendung verschiedener Handlungsstränge (die der Erzählstruktur der Romanvorlage von John Berger entspricht) gelingt es ihm, den Spannungsbogen über 100 Minuten zu tragen.
Inszenierung und Ausstattung lassen der Musik viel Raum: Heinrich Tröger hat eine meerblaue, nur von zwei Wänden unterteilte Bühne gebaut, an deren Hintergrund nach und nach ein großes Wellenbild sichtbar wird. Und Regisseur Christoph von Bernuth sind die psychologischen Profile der Figuren wichtiger als raumgreifende Handlungen; erst am Ende, beim Hochzeitsfest, gibts richtig Action.
Alle sechs Solisten meistern ihre schweren Partien glänzend - wenngleich mit dem einen oder anderen Sicherheitsblick zum Dirigenten. Hervorzuheben ist dabei wieder einmal die großartige Maite Beaumont als Ninon: Mit ihrem anrührenden Spiel, ihrem betörend warmen und nuancenreichen Mezzo bringt die Spanierin den durchweg gebannt lauschenden Zuschauern Ninons zwischen Glück und tiefstem Leid changierenden Charakter nahe.
Mit einer sehr klangschönen Darbietung haben auch die von Cornelius Meister souverän durch die vertrackte Partitur geführten Mitglieder der Philharmoniker wesentlichen Anteil am großen Erfolg.
Die Wirkung war nachhaltig, das Publikum beeindruckt. Als es sich allmählich von der emotionalen Dichte erholt hatte, war der Beifall umso größer. Noch auf der Premierenfeier versprach Intendant Louwrens Langevoort, sich um einen Nachfolgeauftrag für Arnecke zu bemühen.
Marcus Stäbler, Hamburger Abendblatt, 19. Juni 2003
ebenfalls abgedruckt in: neue musikzeitung, Juli / August 2003
"Du heiratest die Frau, nicht den Virus"
Die Kammeroper "Das Fest im Meer" von Jörn Arnecke erlebte auf Kampnagel eine bewegende Uraufführung
Sie scheinen so unverträglich wie Feuer und Wasser: Belcanto und Zeitgeist, Aids und Oper, Liebeslaute und Neue Musik. Doch der 29-jährige Theatermusiker Jörn Arnecke bringt Unterschiedliches fein und leise zusammen. Die Hamburgische Staatsoper, die dem Alt-Avantgardisten Helmut Lachenmann vor sechs Jahren erlaubte, das Mädchen mit den Schwefelhölzern in den Kältetod zu schicken, gab jetzt einem von Schönheitsskrupeln unbehelligtem Jungkomponisten Gelegenheit, einer HIV-infizierten jungen Frau eine mediterrane Hochzeit auszurichten. Das lösende Wort, das Ja zum Leben am dunklen Tor, spricht der Vater des Bräutigams. Als Schrotthändler versteht er zu sortieren: "Trenne die Dinge. Das ist der Unterschied zwischen Schrott und Müll. Du heiratest die Frau, nicht den Virus. Heirate sie. Tu es jetzt."
"Zeitoper" ist das Stichwort, das einem angesichts der Stoffwahl einfällt, die der Komponist auf einen Vorschlag des Spielleiters Christoph von Bernuth hin traf. Der Genre-Begriff kam in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf und steht für die Abkehr einzelner Opernkomponisten von erhabenen Sujets zu aktuellen, sozialkritischen Themen. Auf diese besinnt sich die Opernwelt jetzt wieder. Nun ist der Operngeist der Zeit auf Kampnagel angekommen. Dort erlebte die Kammeroper "Das Fest im Meer" ihre Wassertaufe vor einem bewegt reagierenden Publikum. Gleitschiene des neuen Opernwerks ist der 1995 erschienene Roman "To the Wedding" ("Auf dem Weg zur Hochzeit") von John Berger. Der englische Kunstkritiker, Schriftsteller und Drehbuchautor erzählt vom Schicksal der jungen Ninon, die plötzlich erkrankt, sich einem Aidstest unterzieht und erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Eigentlich ist das Leben für sie gelaufen, bevor es recht begann: "Wenn ich mich hingebe, gebe ich den Tod. Ich wollte Kinder haben. Ein Baby. Doch meine Kinder sind tot."
Wem stockte da nicht der Atem? Zumal die Musik dabei so ins Stottern gerät, dass die Worte blank hervortreten. Dem Librettisten Francis Hüsers gelang es leidlich, aus der literarischen Unordnung des Romans - ein zersplitterter westöstlicher Zeitspiegel vom Prager Frühling 1968 bis zum Nachwendejahr 1995 - eine komponierbare Spielfassung zu destillieren, in der Hochtönendes ("Du bist die Schönste. Wie eine Königin") und Triviales ("Heiraten? Du bist verrückt") oft unvermittelt nebeneinander stehen - eben wie im richtigen Leben. Ein Umstand, den der Komponist keineswegs mit einer all-liebenden Theatermusik bemäntelt. Stellenweise suspendiert er den Operngesang und lässt Dialogteile rhythmisch rezitieren.
Arneckes Tonkunst, die der spektralen Klangwelt seines früh verstorbenen Pariser Lehrers Gérard Grisey nahe steht, hält genügend Farben und Formen parat, um die wechselnden Orte, Zeiten, Erzählperspektiven und Handlungsmomente so zu kennzeichnen, dass der Zuhörer die Orientierung behält. Personen haben ihren Eigenton, die elf Szenen ihr abgegrenztes Klangmilieu. Ein siebzehnköpfiges, dunkelfarbenes Ensemble von Streichern ohne Geigen, Holzbläsern nebst Hörnern, Harfe, Akkordeon und Schlagzeug sitzt zur Hälfte auf der Bühne, zur anderen Hälfte zu beiden Seiten des Publikums - eine Sitzverteilung, die Klangbewegungen begünstigt und den Hörer in den Klangraum hineinzieht. Der Todeshauch der Liebe schlägt auf die Instrumentalfarben durch: Piccoloflöte statt Oboe d'amore. Zum Totentanz der Hochzeitsfeier spielt eine Stehbratscherin auf.
Maite Beaumont, die bleiche Braut, durchschwebt den Abend auf den Flügeln des lyrischen Gesangs. Moritz Gogg hält ihr jugendlicher Held Gino das Hoffnungslicht. Der Vorzug der Regie (Christoph von Bernuth) besteht in ihrer Unmerklichkeit. Heinrich von Allwörden malte eine Riesenwelle, die alles unter sich begräbt.
Lutz Lesle, Die Welt, 19. Juni 2003
Sie scheinen so unverträglich wie Feuer und Wasser: Belcanto und Zeitgeist, Aids und Oper, Liebeslaute und Neue Musik. Doch der 29-jährige Theatermusiker Jörn Arnecke bringt Unterschiedliches fein und leise zusammen. Die Hamburgische Staatsoper, die dem Alt-Avantgardisten Helmut Lachenmann vor sechs Jahren erlaubte, das Mädchen mit den Schwefelhölzern in den Kältetod zu schicken, gab jetzt einem von Schönheitsskrupeln unbehelligtem Jungkomponisten Gelegenheit, einer HIV-infizierten jungen Frau eine mediterrane Hochzeit auszurichten. Das lösende Wort, das Ja zum Leben am dunklen Tor, spricht der Vater des Bräutigams. Als Schrotthändler versteht er zu sortieren: "Trenne die Dinge. Das ist der Unterschied zwischen Schrott und Müll. Du heiratest die Frau, nicht den Virus. Heirate sie. Tu es jetzt."
"Zeitoper" ist das Stichwort, das einem angesichts der Stoffwahl einfällt, die der Komponist auf einen Vorschlag des Spielleiters Christoph von Bernuth hin traf. Der Genre-Begriff kam in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf und steht für die Abkehr einzelner Opernkomponisten von erhabenen Sujets zu aktuellen, sozialkritischen Themen. Auf diese besinnt sich die Opernwelt jetzt wieder. Nun ist der Operngeist der Zeit auf Kampnagel angekommen. Dort erlebte die Kammeroper "Das Fest im Meer" ihre Wassertaufe vor einem bewegt reagierenden Publikum. Gleitschiene des neuen Opernwerks ist der 1995 erschienene Roman "To the Wedding" ("Auf dem Weg zur Hochzeit") von John Berger. Der englische Kunstkritiker, Schriftsteller und Drehbuchautor erzählt vom Schicksal der jungen Ninon, die plötzlich erkrankt, sich einem Aidstest unterzieht und erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Eigentlich ist das Leben für sie gelaufen, bevor es recht begann: "Wenn ich mich hingebe, gebe ich den Tod. Ich wollte Kinder haben. Ein Baby. Doch meine Kinder sind tot."
Wem stockte da nicht der Atem? Zumal die Musik dabei so ins Stottern gerät, dass die Worte blank hervortreten. Dem Librettisten Francis Hüsers gelang es leidlich, aus der literarischen Unordnung des Romans - ein zersplitterter westöstlicher Zeitspiegel vom Prager Frühling 1968 bis zum Nachwendejahr 1995 - eine komponierbare Spielfassung zu destillieren, in der Hochtönendes ("Du bist die Schönste. Wie eine Königin") und Triviales ("Heiraten? Du bist verrückt") oft unvermittelt nebeneinander stehen - eben wie im richtigen Leben. Ein Umstand, den der Komponist keineswegs mit einer all-liebenden Theatermusik bemäntelt. Stellenweise suspendiert er den Operngesang und lässt Dialogteile rhythmisch rezitieren.
Arneckes Tonkunst, die der spektralen Klangwelt seines früh verstorbenen Pariser Lehrers Gérard Grisey nahe steht, hält genügend Farben und Formen parat, um die wechselnden Orte, Zeiten, Erzählperspektiven und Handlungsmomente so zu kennzeichnen, dass der Zuhörer die Orientierung behält. Personen haben ihren Eigenton, die elf Szenen ihr abgegrenztes Klangmilieu. Ein siebzehnköpfiges, dunkelfarbenes Ensemble von Streichern ohne Geigen, Holzbläsern nebst Hörnern, Harfe, Akkordeon und Schlagzeug sitzt zur Hälfte auf der Bühne, zur anderen Hälfte zu beiden Seiten des Publikums - eine Sitzverteilung, die Klangbewegungen begünstigt und den Hörer in den Klangraum hineinzieht. Der Todeshauch der Liebe schlägt auf die Instrumentalfarben durch: Piccoloflöte statt Oboe d'amore. Zum Totentanz der Hochzeitsfeier spielt eine Stehbratscherin auf.
Maite Beaumont, die bleiche Braut, durchschwebt den Abend auf den Flügeln des lyrischen Gesangs. Moritz Gogg hält ihr jugendlicher Held Gino das Hoffnungslicht. Der Vorzug der Regie (Christoph von Bernuth) besteht in ihrer Unmerklichkeit. Heinrich von Allwörden malte eine Riesenwelle, die alles unter sich begräbt.
Lutz Lesle, Die Welt, 19. Juni 2003
Glück und Tod, simultan
Jörn Arneckes Oper "Fest im Meer" in Hamburg uraufgeführt
Jörn Arneckes Oper "Fest im Meer" in Hamburg uraufgeführt
Leben an der Grenze, Klänge aus der Tiefe und ein Funken Hoffnung, der täuscht. Auf dem Kampnagelgelände kommt die Kammeroper "Das Fest im Meer" zur Uraufführung, ein Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper. Der junge Jörn Arnecke, 1973 geboren und schon reich an Theater-Erfahrung, hat mit diesen hundert Minuten sein erstes abendfüllendes Werk geschaffen. Der Text stammt von Francis Hüsers, der aus John Bergers Roman "To The Wedding" ein Libretto zu formen suchte.
Ninon erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Sie erzählt es Gino, ihrem Freund. Sein erstes Entsetzen, von der Umwelt, von der Verwandtschaft genährt, kommt ins Wanken, als ihm bewusst wird, dass seine Liebe stärker ist als die Furcht vor dem unausweichlichen Ende. Man entschließt sich zur Hochzeit und feiert sie als rauschendes "Fest im Meer".
Schon der Raum, den Heinrich Tröger von Allwörden konzipiert hat, erzählt ein wenig von den Leitmotiven des Abends: Artikulation bei allen Finsternissen, Genauigkeit beim Transport der großen Gefühle. Die Musik formt den Spielort. Auf siebzehn Spieler beschränkt Arnecke sein Orchester, und die hanseatischen Philharmoniker, von Cornelius Meister mit einer wie selbstverständlichen Sicherheit dirigiert, sind mit erkennbarer Hingabe bei der Sache.
Arnecke will einen dunklen Klang, und er will ihn im Raum. Er verzichtet auf Geigen, Oboen und den schmetternden Sound der Trompete. Die Streicher (Bratsche, Cello, Kontrabass) und die Bläser (Flöte, Klarinette, Fagott, Horn) sind jeweils doppelt besetzt. Durch Harfe, Akkordeon und riesiges Perkussionsarsenal wird der Rest der Truppe zu einer kammermusikalisch- angehauchten Rhythmusgruppe. Beim Bemühen, das Dunkle durchsichtig zu halten, helfen auch die beiden Mini-Tribünen, die links und rechts, am Orchester vorbei, in den Zuschauerraum lappen. Darauf sitzen jeweils die drei, die doppelt sind: Links die Bläser, rechts die tiefen Streicher. Arnecke: "Das Publikum wird eingelassen. So kann ich eine große Direktheit der Gefühle entwickeln, ohne der Banalität zu verfallen, und ohne Hinwendung zum Kitsch... Vor allem hat mich der Schluss fasziniert, dies Ineinander von Glückseligkeit und Todeserwartung..., das ist für den Musiker sehr reizvoll."
Der Sog stellt sich sehr schnell ein. Arnecke versteht etwas von musikalischer Architektur, wölbt großflächige Entwicklungen wie große Bögen über Orchester wie Sänger, die manchmal vom Singen ins rhythmische Sprechen übergehen, Vierteltöniges einbeziehen. Auch die Musikanten sind gehalten, der Gefahr des allzu Gefühligen zu begegnen, für Verfremdung zu sorgen. Die Flöte pustet Luft. Gern wird auf die Körper der Streichinstrumente geklopft. Irgendwo, oben wie vorn, knackt immer etwas, und aus der Schlagzeugecke ratscht der Trommler hochsymbolisch genau zweimal, was auf das Ineinander von Liebesvollzug und Sterbenmüssen deutet.
Maite Beaumont ist Ninon. Sie gibt dem Abend Rang, verleiht ihm seine Mitte. Ihr gehören die lyrischen Momente der Verzagtheit, die dramatischen des Sich-Aufraffens, und wenn Arnecke ihr diese wie erstarrten Ariosi schreibt, nimmt man dankbar zur Kenntnis, dass er auch ein Melodiker ist. Kein Wunder bei einer Protagonistin, die bei aller Leidenschaft nicht sich gehen lässt, nie die Kantabilität an den Effekt verrät. Moritz Gogg, der Gino, schafft es, an ihrer Seite sängerisch wie darstellerisch eine gute Figur zu machen. Der Rest der Crew (Renate Springler, Dieter Weller, Jürgen Sacher und Tomas Möwes) hält sich wacker. Mehr leider nicht, weil mehr leider auch nicht möglich ist.
Denn beim Versuch, das Epische zu verbrettern, hat sich Francis Hüsers ein bisschen überhoben. Zuerst sieht man nur Bassermannsche Gestalten, die in dunklen Klamotten die Bühne betreten, abgehen, wiederkommen, und es ist wie ein road movie, das auf der Stelle tritt. Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Man begreift es nicht, weil immer zwei gleichzeitig singen müssen... ein schöner Beweis dafür, dass das Modewort "simultan" jetzt auch beim Singen der letzte Schrei ist. Erst nach einer halben Stunde erfährt das Publikum, bei einer solchen Erstbesteigung ja völlig unvorbereitet, worum es geht, und der Komponist muss schon all seine Kraft aufbringen, um Längen und Leerstellen vergessen zu machen, nicht zuletzt, weil die Vorbereitungen zum Fest sich so hinziehen, dass man fast Lust bekommt, das Fest selbst zu schwänzen.
Tut man natürlich nicht, denkt allerdings auf dem Heimweg darüber nach, ob ein vielversprechender Komponist, der schon so viel Versprechen einlöst, nicht doch noch mal das Ganze überprüfen, Striche, Verdeutlichungen in Erwägungen ziehen sollte. Bei einem solchen Debüt ist es ja keine Schande, wenn sich herausstellt, dass man es mit einem work in progress zu tun hatte.
Großer und anrührender, crescendierender Jubel.
Werner Burkhardt, Süddeutsche Zeitung, 23. Juni 2003
Ninon erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Sie erzählt es Gino, ihrem Freund. Sein erstes Entsetzen, von der Umwelt, von der Verwandtschaft genährt, kommt ins Wanken, als ihm bewusst wird, dass seine Liebe stärker ist als die Furcht vor dem unausweichlichen Ende. Man entschließt sich zur Hochzeit und feiert sie als rauschendes "Fest im Meer".
Schon der Raum, den Heinrich Tröger von Allwörden konzipiert hat, erzählt ein wenig von den Leitmotiven des Abends: Artikulation bei allen Finsternissen, Genauigkeit beim Transport der großen Gefühle. Die Musik formt den Spielort. Auf siebzehn Spieler beschränkt Arnecke sein Orchester, und die hanseatischen Philharmoniker, von Cornelius Meister mit einer wie selbstverständlichen Sicherheit dirigiert, sind mit erkennbarer Hingabe bei der Sache.
Arnecke will einen dunklen Klang, und er will ihn im Raum. Er verzichtet auf Geigen, Oboen und den schmetternden Sound der Trompete. Die Streicher (Bratsche, Cello, Kontrabass) und die Bläser (Flöte, Klarinette, Fagott, Horn) sind jeweils doppelt besetzt. Durch Harfe, Akkordeon und riesiges Perkussionsarsenal wird der Rest der Truppe zu einer kammermusikalisch- angehauchten Rhythmusgruppe. Beim Bemühen, das Dunkle durchsichtig zu halten, helfen auch die beiden Mini-Tribünen, die links und rechts, am Orchester vorbei, in den Zuschauerraum lappen. Darauf sitzen jeweils die drei, die doppelt sind: Links die Bläser, rechts die tiefen Streicher. Arnecke: "Das Publikum wird eingelassen. So kann ich eine große Direktheit der Gefühle entwickeln, ohne der Banalität zu verfallen, und ohne Hinwendung zum Kitsch... Vor allem hat mich der Schluss fasziniert, dies Ineinander von Glückseligkeit und Todeserwartung..., das ist für den Musiker sehr reizvoll."
Der Sog stellt sich sehr schnell ein. Arnecke versteht etwas von musikalischer Architektur, wölbt großflächige Entwicklungen wie große Bögen über Orchester wie Sänger, die manchmal vom Singen ins rhythmische Sprechen übergehen, Vierteltöniges einbeziehen. Auch die Musikanten sind gehalten, der Gefahr des allzu Gefühligen zu begegnen, für Verfremdung zu sorgen. Die Flöte pustet Luft. Gern wird auf die Körper der Streichinstrumente geklopft. Irgendwo, oben wie vorn, knackt immer etwas, und aus der Schlagzeugecke ratscht der Trommler hochsymbolisch genau zweimal, was auf das Ineinander von Liebesvollzug und Sterbenmüssen deutet.
Maite Beaumont ist Ninon. Sie gibt dem Abend Rang, verleiht ihm seine Mitte. Ihr gehören die lyrischen Momente der Verzagtheit, die dramatischen des Sich-Aufraffens, und wenn Arnecke ihr diese wie erstarrten Ariosi schreibt, nimmt man dankbar zur Kenntnis, dass er auch ein Melodiker ist. Kein Wunder bei einer Protagonistin, die bei aller Leidenschaft nicht sich gehen lässt, nie die Kantabilität an den Effekt verrät. Moritz Gogg, der Gino, schafft es, an ihrer Seite sängerisch wie darstellerisch eine gute Figur zu machen. Der Rest der Crew (Renate Springler, Dieter Weller, Jürgen Sacher und Tomas Möwes) hält sich wacker. Mehr leider nicht, weil mehr leider auch nicht möglich ist.
Denn beim Versuch, das Epische zu verbrettern, hat sich Francis Hüsers ein bisschen überhoben. Zuerst sieht man nur Bassermannsche Gestalten, die in dunklen Klamotten die Bühne betreten, abgehen, wiederkommen, und es ist wie ein road movie, das auf der Stelle tritt. Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Man begreift es nicht, weil immer zwei gleichzeitig singen müssen... ein schöner Beweis dafür, dass das Modewort "simultan" jetzt auch beim Singen der letzte Schrei ist. Erst nach einer halben Stunde erfährt das Publikum, bei einer solchen Erstbesteigung ja völlig unvorbereitet, worum es geht, und der Komponist muss schon all seine Kraft aufbringen, um Längen und Leerstellen vergessen zu machen, nicht zuletzt, weil die Vorbereitungen zum Fest sich so hinziehen, dass man fast Lust bekommt, das Fest selbst zu schwänzen.
Tut man natürlich nicht, denkt allerdings auf dem Heimweg darüber nach, ob ein vielversprechender Komponist, der schon so viel Versprechen einlöst, nicht doch noch mal das Ganze überprüfen, Striche, Verdeutlichungen in Erwägungen ziehen sollte. Bei einem solchen Debüt ist es ja keine Schande, wenn sich herausstellt, dass man es mit einem work in progress zu tun hatte.
Großer und anrührender, crescendierender Jubel.
Werner Burkhardt, Süddeutsche Zeitung, 23. Juni 2003
Das Fest, die Braut und der Tod
Opern-Uraufführung in Hamburg: Jörn Arneckes "Das Fest im Meer"
Opern-Uraufführung in Hamburg: Jörn Arneckes "Das Fest im Meer"
Ein Roman um eine junge HIV-infizierte Frau von John Berger gab den Stoff für die Oper "Das Fest im Meer", zu dem der Hamburger Komponist Jörn Arnecke die Musik lieferte. Auf Kampnagel hatte die Oper jetzt Premiere. Wie geht man mit dem Leben um, wenn man weiß, dass der Tod bevorsteht? Wie kann man einen Hoffnungsschimmer sehen, Glücksmomente finden? Ninon ist HIV-infiziert. Trotzdem oder gerade deshalb heiraten sie und ihr Freund Gino, um ein äußeres Zeichen für ihre Liebe zu setzen, Intensität für die bleibende Zeit zu leben. Die geschiedenen Eltern reisen von weit her an, zur großen Hochzeit. Reisen, in denen sich Erinnerungen, Gegenwart und die nahende tragische Zukunft spiegeln. Das Fest im Meer — dort wo Land und Wasser verschmelzen — so nannte der junge Komponist Jörn Arnecke seine erste abendfüllende Oper. Ein Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper, das in der Kampnagel-Fabrik uraufgeführt wurde.
Francis Hüsers hat nach dem Roman To the Wedding (Auf dem Weg zur Hochzeit) von dem Briten John Berger ein Libretto erdacht. Das komplexe Beziehungs- und Situationengeflecht der Buchvorlage — es gibt Rückblenden in die Vergangenheit oder eine Vorausschau des nahenden Todes von Ninon — lässt Handlungsstränge parallel verlaufen. Das versteht man ohne vorheriges Studium des Romans oder des Librettos nicht immer, auch wenn Jörn Arnecke mit seiner Musik Personen und Situationen klanglich distinguiert und Regisseur Christoph von Bernuth durch räumliche Trennung in verschiedene Bühnenorte die Erzählstruktur verdeutlicht.
Eine Liebesszene, eine Bootsfahrt durch die Untiefen eines reißenden Flusses, ein rauschendes Fest mit Speis', Trank und Tanz — Szenen, die Jörn Arnecke mit musiktheatralischem Gespür umgesetzt hat. Er vermeidet Klischees oder billige Anleihen bei großen Komponisten. Schwelgend ist seine Liebesszene in einer Bretterbude nicht. Zarte Klänge hat er gefunden, das Knistern im Gebälk übernehmen die Ratschen, bis der Liebesschuppen laut-tönend zusammenkracht, und sich das Paar unter einem Apfelbaum wiederfindet. Jörn Arneckes Musik berührt in vielen Momenten. Ausdrucksstarke Melodik, weite Spannungsbögen vermitteln trotz aller Tragik Hoffnungsschimmer; Mixturklänge sorgen für eine irreale Stimmung; tänzerische Rhythmen — raffiniert instrumentiert mit verschiedensten Schlaginstrumenten — bringen swinghafte Ausgelassenheit beim Hochzeitsfest, mikrotonale Klangschwebungen erzählen bei der Bootsfahrt durch reißende Strömung von Zweifeln, von Vertrauen, das Ninon erst noch in die Liebe ihres Gino gewinnen muss.
In einer großen Soloszene klagt die HIV-infizierte Braut, dass niemand ihr ihre Krankheit ansehe, dass sie aber um den stets gegenwärtigen Tod wisse. Natürlich ist Aids heute ein brennendes Thema, das auch leicht aus dem Bewusstsein gleitet. Es ist gut, darauf aufmerksam zu machen. Aber als Stoff in einer abendfüllenden Oper ist das Thema nicht unproblematisch, das Libretto von Francis Hüsers wirkt oft zu schlicht und vordergründig. Die Regie von Christoph von Bernuth horchte zwar gut in die meist verinnerlichte Musik von Jörn Arnecke hinein, hätte sich aber doch bei manchen Szenen von ihrer Statik lösen können.
Den schwierigen Partien waren die sechs Sänger mehr als gewachsen. Renate Spingler und Jürgen Sacher überzeugten durch eine klare Diktion und Linienführung, der Bariton Moritz Gogg als Gino könnte in den weiteren Vorstellungen gern stärker aus sich herauskommen. Überragend war einmal mehr die junge spanische Mezzosopranistin Maite Beaumont als Ninon. Nicht nur, dass sie eine hinreißend warme, dunkle, ebenso lyrische wie kraftvolle Stimme hat, sie spielte und sang mit unglaublicher Präsenz und sorgte so für hochintensive Momente.
Das Stück wird sicher von manchem, auch kleineren Opernhaus gespielt werden. Es eignet sich gut, weil die Besetzung klein ist: nur 17 Instrumentalisten. Die waren bestens für die komplexe Musik präpariert und wurden souverän von dem jungen Dirigenten Cornelius Meister geleitet.
Elisabeth Richter, Kieler Nachrichten
Francis Hüsers hat nach dem Roman To the Wedding (Auf dem Weg zur Hochzeit) von dem Briten John Berger ein Libretto erdacht. Das komplexe Beziehungs- und Situationengeflecht der Buchvorlage — es gibt Rückblenden in die Vergangenheit oder eine Vorausschau des nahenden Todes von Ninon — lässt Handlungsstränge parallel verlaufen. Das versteht man ohne vorheriges Studium des Romans oder des Librettos nicht immer, auch wenn Jörn Arnecke mit seiner Musik Personen und Situationen klanglich distinguiert und Regisseur Christoph von Bernuth durch räumliche Trennung in verschiedene Bühnenorte die Erzählstruktur verdeutlicht.
Eine Liebesszene, eine Bootsfahrt durch die Untiefen eines reißenden Flusses, ein rauschendes Fest mit Speis', Trank und Tanz — Szenen, die Jörn Arnecke mit musiktheatralischem Gespür umgesetzt hat. Er vermeidet Klischees oder billige Anleihen bei großen Komponisten. Schwelgend ist seine Liebesszene in einer Bretterbude nicht. Zarte Klänge hat er gefunden, das Knistern im Gebälk übernehmen die Ratschen, bis der Liebesschuppen laut-tönend zusammenkracht, und sich das Paar unter einem Apfelbaum wiederfindet. Jörn Arneckes Musik berührt in vielen Momenten. Ausdrucksstarke Melodik, weite Spannungsbögen vermitteln trotz aller Tragik Hoffnungsschimmer; Mixturklänge sorgen für eine irreale Stimmung; tänzerische Rhythmen — raffiniert instrumentiert mit verschiedensten Schlaginstrumenten — bringen swinghafte Ausgelassenheit beim Hochzeitsfest, mikrotonale Klangschwebungen erzählen bei der Bootsfahrt durch reißende Strömung von Zweifeln, von Vertrauen, das Ninon erst noch in die Liebe ihres Gino gewinnen muss.
In einer großen Soloszene klagt die HIV-infizierte Braut, dass niemand ihr ihre Krankheit ansehe, dass sie aber um den stets gegenwärtigen Tod wisse. Natürlich ist Aids heute ein brennendes Thema, das auch leicht aus dem Bewusstsein gleitet. Es ist gut, darauf aufmerksam zu machen. Aber als Stoff in einer abendfüllenden Oper ist das Thema nicht unproblematisch, das Libretto von Francis Hüsers wirkt oft zu schlicht und vordergründig. Die Regie von Christoph von Bernuth horchte zwar gut in die meist verinnerlichte Musik von Jörn Arnecke hinein, hätte sich aber doch bei manchen Szenen von ihrer Statik lösen können.
Den schwierigen Partien waren die sechs Sänger mehr als gewachsen. Renate Spingler und Jürgen Sacher überzeugten durch eine klare Diktion und Linienführung, der Bariton Moritz Gogg als Gino könnte in den weiteren Vorstellungen gern stärker aus sich herauskommen. Überragend war einmal mehr die junge spanische Mezzosopranistin Maite Beaumont als Ninon. Nicht nur, dass sie eine hinreißend warme, dunkle, ebenso lyrische wie kraftvolle Stimme hat, sie spielte und sang mit unglaublicher Präsenz und sorgte so für hochintensive Momente.
Das Stück wird sicher von manchem, auch kleineren Opernhaus gespielt werden. Es eignet sich gut, weil die Besetzung klein ist: nur 17 Instrumentalisten. Die waren bestens für die komplexe Musik präpariert und wurden souverän von dem jungen Dirigenten Cornelius Meister geleitet.
Elisabeth Richter, Kieler Nachrichten
Starkes Spiel um Aids und die Hoffnung
Jörn Arneckes Oper "Das Fest im Meer" wurde als Uraufführung auf Kampnagel gefeiert
Jörn Arneckes Oper "Das Fest im Meer" wurde als Uraufführung auf Kampnagel gefeiert
"Ich bin HIV-positiv." Um diesen Satz herum eine Oper zu komponieren liegt nicht gerade auf der Hand. Jörn Arnecke hat es gewagt. Und die Gunst des Publikums gewonnen. Nach der Vorlage des Romans "To the Wedding" von John Berger ist ein Musiktheater entstanden, das nicht auf vordergründige Effekte setzt, sondern seine getragene und düstere Stimmung aus dem eher zurückhaltenden Einsatz des Orchesters bezieht. Mit dezent-flächigen Klängen und sparsamem Einsatz des Tonmaterials erzählt "Das Fest im Meer" die Geschichte von Ninon (Maite Beaumont), die sich nach einem positiven Aids-Test von ihrem Freund Gino (Moritz Gogg) trennen möchte. Doch der will jetzt erst recht heiraten, um ihr seine Liebe zu beweisen. Francis Hüsers‘ Libretto findet schlichte Worte für ein emotional aufreibendes Thema, das zwischen Liebe und Verzweiflung schwankt. Hingeworfene Tonfetzen von Klarinetten und Streichern wachsen in Momenten des Glücks zu impressionistischen Melodielinien mit Flöte und Harfe an. Dirigent Cornelius Meister hat sein Orchester gut im Griff. Die Inszenierung von Christoph von Bernuth wirkt zuweilen etwas statisch, passt sich aber gut ins Bühnenbild ein, das erst zum Ende hin eine größere Veränderung durchmacht. Die Hochzeitsfeier am Meer findet vor einer bedrohlich aufpeitschenden See statt. Die Gäste veranstalten einen dionysisch-wilden Tanzreigen. Man kann nicht sicher sein, ob alles gut wird. Man kann nur hoffen. Hoffen auch, dass Arnecke noch weitere Opern schreiben wird.
Sören Ingwersen, Hamburger Morgenpost, 19. Juni 2003
Sören Ingwersen, Hamburger Morgenpost, 19. Juni 2003
Schwingungen erforscht
Jörn Arneckes Kammeroper "Das Fest im Meer" auf Kampnagel changiert elegant zwischen Orten, Zeit- und Handlungsebenen und schafft unsentimentale Wechsel zwischen den Stimmungslagen
Jörn Arneckes Kammeroper "Das Fest im Meer" auf Kampnagel changiert elegant zwischen Orten, Zeit- und Handlungsebenen und schafft unsentimentale Wechsel zwischen den Stimmungslagen
Jörn Arnecke ist ein Komponist Neuer Musik, dem es im doppelten Sinne um "Verständnis" geht: Er fordert vom Publikum ein gewisses Maß an gutem Willen und bietet ihm im Gegenzug Nähe und Deutlichkeit an. Seine Kammeroper Das Fest im Meer, die jetzt auf Kampnagel Premiere hatte, zeigt, wie Kommunikation auf hohem Reflektionsgrad funktionieren kann.
Das Fest im Meer ist ein subtiles Spiel mit Gleichzeitigkeiten: Die Textvorlage stammt von John Berger, einem englischen Grenzgänger zwischen den Künsten, der heute in Frankreich lebt. Sein Roman To the Wedding (1995) ist eine zersplitterte Konstruktion, die zwischen Orten, Zeiten und Handlungssträngen hin und herspringt. Die junge Ninon (Maite Beaumont) ist HIV-positiv. Noch hat sie es ihrem Geliebten Gino (Moritz Gogg) gar nicht verraten, da machen sich Ninons Eltern schon auf den Weg zu ihrer Hochzeit. Doch die bittere Liebesgeschichte wird permanent von Erinnerungen und Zukunftsphantasien überlagert, und trotz der zentralen Aids-Problematik führen auch die Nebenfiguren ein komplexes Eigenleben.
Nicht gerade die einfachste Vorlage für ein Musiktheaterstück, doch Jörn Arnecke destillierte aus diesem Zeitspiegel eine final ausgerichtete Erzählung, ohne die Zerrissenheit des Originals vollkommen zu übergehen. Der Fokus der Opernbearbeitung liegt nicht auf der Fahrt zur Hochzeit, sondern auf der Hochzeit am Meer selbst, bei der die bis dahin ausgelegten Spuren zu großer Dichte kulminieren.
Christoph von Bernuths Inszenierung lässt der Musik viel Raum: Mit sparsamen Bewegungen zieht es die Figuren zur Küste, analog dazu schält sich im Hintergrund eine riesige Welle aus dem Bühnenbild. Auch die Musik vermeidet radikale Manöver: Behutsam verleiht sie den Personen Charakter. Dabei arbeitet Arnecke nicht leitmotivisch, sondern mit spezifischer Farbgebung - schließlich zählte Gérard Grisey, Hauptvertreter der französischen Spektralmusik, zu Arneckes Lehrern. Hier geht es darum, den Klängen ihr Eigenleben zu lassen, ihren Schwingungen mikroskopisch nachzuforschen.
Das Ergebnis sind impressionistische Zustandsbeschreibungen, die sich hervorragend für einen theatralen Rahmen eignen, bei dem die Psychologie der Figuren wichtiger ist als ihr Handeln. Arnecke hat Bläser und Streicher doppelt besetzt und als "Echo" auf beiden Seiten des Publikums verteilt. Die Klänge wandern durch den Raum, und auch ein Teil des 17-köpfigen Orchesters erhebt sich gegen Ende von seinen Sitzen, um in das Geschehen auf der Hochzeitsgesellschaft einzugreifen. Im Zusammentreffen der szenischen und musikalischen Stränge entspinnt sich ein exzessiver Sinnesrausch am Abgrund: Zu wiederholten, scharfen Stakkato-Rythmen tanzen die Paare einen Walzer, um kurz zu vergessen. Für Szenen solcher Intensität braucht es ein Orchester wie die Metzmacher-geschulten Philharmoniker (unter Cornelius Meister) und SängerInnen wie Maite Beaumont, die den Wechsel der Stimmungslagen präzise darstellen können, ohne in dumpfes Gefühlskino umzuschlagen.
Jörn Arneckes Oper ist nicht nur eine gelungene Arbeit, sie ist eine Vision von Bewegung in einem starren System, eine Neubewertung der Tradition aus Liebe zu ihr. Bezeichnend, dass dieser Impuls gerade von für E-Musikverhältnisse geradezu Halbwüchsigen ausgeht (Arnecke ist Jahrgang 1973), während geigende Vamps und Klassik-DJs eher den Träumen alternder Plattenbosse und Kultursenatorinnen entspringen. Das Publikum auf Kampnagel wusste es bei den bisherigen Aufführungen zu schätzen, angesprochen, aber nicht für dumm verkauft zu werden.
Andi Schoon, die tageszeitung, 21. Juni 2003
Das Fest im Meer ist ein subtiles Spiel mit Gleichzeitigkeiten: Die Textvorlage stammt von John Berger, einem englischen Grenzgänger zwischen den Künsten, der heute in Frankreich lebt. Sein Roman To the Wedding (1995) ist eine zersplitterte Konstruktion, die zwischen Orten, Zeiten und Handlungssträngen hin und herspringt. Die junge Ninon (Maite Beaumont) ist HIV-positiv. Noch hat sie es ihrem Geliebten Gino (Moritz Gogg) gar nicht verraten, da machen sich Ninons Eltern schon auf den Weg zu ihrer Hochzeit. Doch die bittere Liebesgeschichte wird permanent von Erinnerungen und Zukunftsphantasien überlagert, und trotz der zentralen Aids-Problematik führen auch die Nebenfiguren ein komplexes Eigenleben.
Nicht gerade die einfachste Vorlage für ein Musiktheaterstück, doch Jörn Arnecke destillierte aus diesem Zeitspiegel eine final ausgerichtete Erzählung, ohne die Zerrissenheit des Originals vollkommen zu übergehen. Der Fokus der Opernbearbeitung liegt nicht auf der Fahrt zur Hochzeit, sondern auf der Hochzeit am Meer selbst, bei der die bis dahin ausgelegten Spuren zu großer Dichte kulminieren.
Christoph von Bernuths Inszenierung lässt der Musik viel Raum: Mit sparsamen Bewegungen zieht es die Figuren zur Küste, analog dazu schält sich im Hintergrund eine riesige Welle aus dem Bühnenbild. Auch die Musik vermeidet radikale Manöver: Behutsam verleiht sie den Personen Charakter. Dabei arbeitet Arnecke nicht leitmotivisch, sondern mit spezifischer Farbgebung - schließlich zählte Gérard Grisey, Hauptvertreter der französischen Spektralmusik, zu Arneckes Lehrern. Hier geht es darum, den Klängen ihr Eigenleben zu lassen, ihren Schwingungen mikroskopisch nachzuforschen.
Das Ergebnis sind impressionistische Zustandsbeschreibungen, die sich hervorragend für einen theatralen Rahmen eignen, bei dem die Psychologie der Figuren wichtiger ist als ihr Handeln. Arnecke hat Bläser und Streicher doppelt besetzt und als "Echo" auf beiden Seiten des Publikums verteilt. Die Klänge wandern durch den Raum, und auch ein Teil des 17-köpfigen Orchesters erhebt sich gegen Ende von seinen Sitzen, um in das Geschehen auf der Hochzeitsgesellschaft einzugreifen. Im Zusammentreffen der szenischen und musikalischen Stränge entspinnt sich ein exzessiver Sinnesrausch am Abgrund: Zu wiederholten, scharfen Stakkato-Rythmen tanzen die Paare einen Walzer, um kurz zu vergessen. Für Szenen solcher Intensität braucht es ein Orchester wie die Metzmacher-geschulten Philharmoniker (unter Cornelius Meister) und SängerInnen wie Maite Beaumont, die den Wechsel der Stimmungslagen präzise darstellen können, ohne in dumpfes Gefühlskino umzuschlagen.
Jörn Arneckes Oper ist nicht nur eine gelungene Arbeit, sie ist eine Vision von Bewegung in einem starren System, eine Neubewertung der Tradition aus Liebe zu ihr. Bezeichnend, dass dieser Impuls gerade von für E-Musikverhältnisse geradezu Halbwüchsigen ausgeht (Arnecke ist Jahrgang 1973), während geigende Vamps und Klassik-DJs eher den Träumen alternder Plattenbosse und Kultursenatorinnen entspringen. Das Publikum auf Kampnagel wusste es bei den bisherigen Aufführungen zu schätzen, angesprochen, aber nicht für dumm verkauft zu werden.
Andi Schoon, die tageszeitung, 21. Juni 2003
Premiere auf Kampnagel
Eindringliches Stück über den Umgang mit AIDS
Eindringliches Stück über den Umgang mit AIDS
Die junge Ninon (Maite Beaumont) ist HIV-positiv. Ihr Freund, der gesunde Gino (Moritz Gogg), will sie trotzdem heiraten. Sein Vater Federico (Dieter Weller) ist dagegen - und will Ninon töten. Doch als er vor ihr steht und sie in voller Blüte wahrnimmt, rät er Gino sogar zur Heirat.
Im Auftrag der Staatsoper hat Jörn Arnecke den Roman "To the Wedding" von John Berger für Kampnagel unter dem Titel "Das Fest im Meer" inszeniert. Und die Hoffnung spendende Geschichte in ein düsteres, abwechslungsreiches Klangbild umgesetzt. Das 17-köpfige Orchester schafft eine emotionsgeladene Atmosphäre: Mal treiben Flöten und Harfen das Geschehen voran, dann setzen Akkordeon und Kontrabässe der aufkeimenden Normalität wieder ein Ende. Zum Schluss wird doch geheiratet. "Was machen wir, bevor die Ewigkeit anfängt?", fragt Ninon ängstlich. "Wir lassen uns Zeit", antwortet Gino.
Ein gelungenes, eindringliches Stück.
Antje Milbret, BILD, 19. Juni 2003
Im Auftrag der Staatsoper hat Jörn Arnecke den Roman "To the Wedding" von John Berger für Kampnagel unter dem Titel "Das Fest im Meer" inszeniert. Und die Hoffnung spendende Geschichte in ein düsteres, abwechslungsreiches Klangbild umgesetzt. Das 17-köpfige Orchester schafft eine emotionsgeladene Atmosphäre: Mal treiben Flöten und Harfen das Geschehen voran, dann setzen Akkordeon und Kontrabässe der aufkeimenden Normalität wieder ein Ende. Zum Schluss wird doch geheiratet. "Was machen wir, bevor die Ewigkeit anfängt?", fragt Ninon ängstlich. "Wir lassen uns Zeit", antwortet Gino.
Ein gelungenes, eindringliches Stück.
Antje Milbret, BILD, 19. Juni 2003
Die Musik-Sprache unserer Zeit
Uraufführung von Jörn Arneckes Kammeroper "Das Fest im Meer" in Hamburg
Uraufführung von Jörn Arneckes Kammeroper "Das Fest im Meer" in Hamburg
Von der Hamburgischen Staatsoper hatte der Hamelner Komponist Jörn Arnecke den Auftrag erhalten, eine Kammeroper zu komponieren. Als Grundlage dafür sollte der Roman "To the Wedding" von John Berger dienen. (In der deutschen Übersetzung heißt der Titel "Auf dem Weg zur Hochzeit".)
Zum Lesen und Verstehen des Romans braucht man viel Muße. Es ist inhaltlich und sprachlich ein höchst komplexes Gebilde. Es geht um die verschlungenen Lebenswege mehrerer Personen; die Handlung spielt in mehreren Ländern; politische Themen werden angeschnitten, so zum Beispiel der Prager Frühling. Die einzelnen Fäden führen in einer problematischen Liebesbeziehung zusammen. Ninon, die zentrale Figur des Romans, hat Aids. Damit wird ihre Liebe zu Gino auf eine harte Probe gestellt.
Beim Lesen drängen sich Fragen auf: Wie kann der Librettist (Francis Hüsers) die Fülle der Handlungsstränge im Roman und die unterschiedlichen inhaltlichen Ebenen in die kompakte Form einer Oper fügen? Welche Straffungen wird er vornehmen?
Bei der Vorankündigung der Uraufführung mit Datum und Personenverzeichnis ist klar: In der Oper kommen nur sechs Personen vor. Eine Figur, ein blinder Straßenverkäufer, die dem Erzählverlauf etwas Unwirkliches, Schwebendes verleiht, die sich beim Lesen besonders eingeprägt hat, fehlt ganz. Der Librettist hat sich dafür entschieden, die zeitnahe Problematik des Umgangs mit der todbringenden Krankheit in den Mittelpunkt zu rücken und die anderen Fäden der Romanhandlung in diese menschliche Tragödie einzuweben.
Die entscheidende Begegnung mit dem fertigen Werk findet schließlich auf Kampnagel statt, einer Fabrik, die zu einer Studiobühne umgebaut wurde. Und die Kammeroper, die den Titel "Das Fest im Meer" trägt, wird zu einem musikalischen Abenteuer der besonderen Art. Jörn Arnecke wählt für die Umsetzung der tiefgreifenden Problematik konsequent eine zeitgenössische musikalische Sprache. Es gibt keinerlei Kompromisse an mögliche Ansprüche des Publikums, zumindest teilweise einen harmonischen Opernabend zu erleben. Die Handlung endet mit einer Hochzeitsfeier, endet also inhaltlich eher versöhnlich. Doch der Komponist streicht in seiner Darstellung die zukünftig zu erwartenden tiefen Abgründe heraus; ein ins Makabre gesteigerter disharmonischer Tanz lässt beim Zuhörer keinerlei Hoffnung auf ein Happy End aufkommen.
Die Oper stellt an alle Beteiligten höchste Ansprüche: Die 17 Instrumentalisten, Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, haben höchst diffizile Aufgaben zu bewältigen. Die Sängerinnen und Sänger müssen ihr ganzes Können aufbieten, um den vielen Nuancen der Partitur Gestalt zu geben.
Das gesamte Ensemble überzeugte mit höchster Konzentration und größtmöglichem Einfühlungsvermögen. Der lang anhaltende Applaus, der auch dem jungen Komponisten galt, zeigte, dass das Publikum die großartige Leistung zu schätzen wusste.
Das Werk hinterlässt beim Zuhörer, der sich auf musikalische Abenteuer einlässt, der bereit ist, auf die Musik-Sprache unserer Zeit zu hören, einen tiefgreifenden Eindruck. Eine Szene bleibt unvergessen: Ninon blickt im Wissen um die todbringende Krankheit auf ihr Leben zurück. Der Komponist versteht es, die erschütternde Tragik mit einfachen Gestaltungsmitteln lebendig werden zu lassen. Gerade die Schlichtheit dieser Szene, die noch am ehesten Charakterzüge einer herkömmlichen Arie trägt, lässt niemanden unberührt.
So ist zu erwarten, dass der Name Jörn Arnecke unter denen, die das Musikgeschehen unserer Zeit prägen, weiter für wachsende Aufmerksamkeit sorgen wird. Zu hoffen: dass auch die weiteren Aufführungen vor vollem Haus stattfinden werden.
Manfred Arendt, Deister- und Weserzeitung, 20. Juni 2003
Zum Lesen und Verstehen des Romans braucht man viel Muße. Es ist inhaltlich und sprachlich ein höchst komplexes Gebilde. Es geht um die verschlungenen Lebenswege mehrerer Personen; die Handlung spielt in mehreren Ländern; politische Themen werden angeschnitten, so zum Beispiel der Prager Frühling. Die einzelnen Fäden führen in einer problematischen Liebesbeziehung zusammen. Ninon, die zentrale Figur des Romans, hat Aids. Damit wird ihre Liebe zu Gino auf eine harte Probe gestellt.
Beim Lesen drängen sich Fragen auf: Wie kann der Librettist (Francis Hüsers) die Fülle der Handlungsstränge im Roman und die unterschiedlichen inhaltlichen Ebenen in die kompakte Form einer Oper fügen? Welche Straffungen wird er vornehmen?
Bei der Vorankündigung der Uraufführung mit Datum und Personenverzeichnis ist klar: In der Oper kommen nur sechs Personen vor. Eine Figur, ein blinder Straßenverkäufer, die dem Erzählverlauf etwas Unwirkliches, Schwebendes verleiht, die sich beim Lesen besonders eingeprägt hat, fehlt ganz. Der Librettist hat sich dafür entschieden, die zeitnahe Problematik des Umgangs mit der todbringenden Krankheit in den Mittelpunkt zu rücken und die anderen Fäden der Romanhandlung in diese menschliche Tragödie einzuweben.
Die entscheidende Begegnung mit dem fertigen Werk findet schließlich auf Kampnagel statt, einer Fabrik, die zu einer Studiobühne umgebaut wurde. Und die Kammeroper, die den Titel "Das Fest im Meer" trägt, wird zu einem musikalischen Abenteuer der besonderen Art. Jörn Arnecke wählt für die Umsetzung der tiefgreifenden Problematik konsequent eine zeitgenössische musikalische Sprache. Es gibt keinerlei Kompromisse an mögliche Ansprüche des Publikums, zumindest teilweise einen harmonischen Opernabend zu erleben. Die Handlung endet mit einer Hochzeitsfeier, endet also inhaltlich eher versöhnlich. Doch der Komponist streicht in seiner Darstellung die zukünftig zu erwartenden tiefen Abgründe heraus; ein ins Makabre gesteigerter disharmonischer Tanz lässt beim Zuhörer keinerlei Hoffnung auf ein Happy End aufkommen.
Die Oper stellt an alle Beteiligten höchste Ansprüche: Die 17 Instrumentalisten, Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, haben höchst diffizile Aufgaben zu bewältigen. Die Sängerinnen und Sänger müssen ihr ganzes Können aufbieten, um den vielen Nuancen der Partitur Gestalt zu geben.
Das gesamte Ensemble überzeugte mit höchster Konzentration und größtmöglichem Einfühlungsvermögen. Der lang anhaltende Applaus, der auch dem jungen Komponisten galt, zeigte, dass das Publikum die großartige Leistung zu schätzen wusste.
Das Werk hinterlässt beim Zuhörer, der sich auf musikalische Abenteuer einlässt, der bereit ist, auf die Musik-Sprache unserer Zeit zu hören, einen tiefgreifenden Eindruck. Eine Szene bleibt unvergessen: Ninon blickt im Wissen um die todbringende Krankheit auf ihr Leben zurück. Der Komponist versteht es, die erschütternde Tragik mit einfachen Gestaltungsmitteln lebendig werden zu lassen. Gerade die Schlichtheit dieser Szene, die noch am ehesten Charakterzüge einer herkömmlichen Arie trägt, lässt niemanden unberührt.
So ist zu erwarten, dass der Name Jörn Arnecke unter denen, die das Musikgeschehen unserer Zeit prägen, weiter für wachsende Aufmerksamkeit sorgen wird. Zu hoffen: dass auch die weiteren Aufführungen vor vollem Haus stattfinden werden.
Manfred Arendt, Deister- und Weserzeitung, 20. Juni 2003