Leos Janácek, "Katja Kabanowa" (1996)
Uraufführung (UA): Hamburg, Hochschule für Musik und Theater (Forum), 24. Januar 1997
Auftrag der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Inszenierung: Lorenzo Fioroni, musikalische Leitung: Johannes Debus
Besetzung: 2 Klaviere
Dauer: abendfüllend
Auftrag der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Inszenierung: Lorenzo Fioroni, musikalische Leitung: Johannes Debus
Besetzung: 2 Klaviere
Dauer: abendfüllend
Einführung
So farbig ist diese Janacek-Musik zur "Katja Kabanowa", daß man sich fragt: Wie stellt man das auf zwei Klavieren dar? Wie reduziert man die große Farbpalette, die Janacek zur Verfügung stand, auf zwei Instrumente, die dazu noch gleichartig sind? Ich frage mich das auch. Und ich weiß, daß es gar nicht gehen kann - ich kann mich dem Klang-Vorbild Janacek annähern, soweit es möglich ist; erreichen werde ich es nicht.
Das ist aber auch nicht die Idee einer solchen neuen Fassung. Ich arbeite mit anderen klanglichen Voraussetzungen, und deshalb muß ich das Stück auch neu denken - im Licht dieser Besetzung. Ich kann ja nicht ständig mit den Händen ringen und denken: Ach, hätte ich doch nur ein großes Orchester! Ich muß die Chancen nutzen, die die zwei Flügel bieten. So wie Janacek vom Orchester ausgegangen ist und die Musik für das Orchester erdacht hat, so muß ich für die beiden Flügel denken.
Natürlich wird dabei eine andere Musik herauskommen; ich muß sie sparsamer, konzentrierter anlegen. Die Zuhörer werden auf ganz andere Weise ins Geschehen hineingezogen - nicht große Oper, sondern Kammerspiel; nicht ein großes, namenloses Orchester, sondern allein zwei Menschen an den Flügeln, die für diese Musik arbeiten. Und arbeiten müssen sie, sonst kann man die ungeheure Dichte dieses Werkes gar nicht abbilden!
Wenn Sie nur an die verschiedenen rhythmischen Schichten denken, die Janacek übereinandersetzt! Das ist ja geradezu ein Kennzeichen seiner Satztechnik in dieser Oper. Dauernd legt Janacek verschiedene Geschwindigkeiten in verschiedene Stimmen. Drei Noten in der einen gegen vier in der anderen; oder drei gegen zwei; oder sechs gegen vier - das benutzt er nicht mal zufällig, sondern es ist sein Ausdrucksmittel, damit erzielt er seinen eng verschlungenen Orchestersatz. Und das Orchester bietet ja auch reiche Möglichkeiten! Da kann man den Satz weit auffächern und sich die Unabhängigkeit der einzelnen Stimmgruppen zunutze machen. Wenn es bei uns nur vier Hände und zwanzig Finger gibt, muß mein Ansatz auch in diesem Punkt heißen: Wie übertrage ich die Dichte des Satzes auf die beiden Flügel? Jedenfalls nicht durch pures Abschreiben!
Mir ist sehr wichtig, daß die Sänger sich wohlfühlen in der Musik, die sie umgibt und trägt. Das, stelle ich mir vor, wird eine große Stärke sein: Die Sänger haben Raum für ihre Stimme, sie können freier gestalten, ohne die ständige Angst, in einer Klangflut unterzugehen. Zwei Flügel schaffen auch ordentlich Lärm, aber mit einem großen Orchester halten sie natürlich nicht mit.
Eine Fassung für zwei Klaviere hat es bisher noch nicht gegeben. Insofern bin ich auch ein bißchen stolz darauf, daß etwas vom Zauber einer Uraufführung über dieser Arbeit liegt. Janacek treu bleiben und zugleich einen neuen Blick auf seine Oper lenken - das ist der Grat, auf dem ich mich dem Ziel entgegenspüre. Es ist eine große Herausforderung für mich: Ich darf mich in eine der Opern vergraben, die von unserem Jahrhundert übrigbleiben werden. Und das ist für mich zugleich eine hohe Verantwortung.
Ein Beleuchter in der Oper nimmt auch auf die Handlung keinen Einfluß; sie läuft, wie sie läuft. Das Publikum aber wird durch die Art, wie er die Lichter setzt, bewegt - und auch die Sänger tauchen tiefer in ihre Rolle ein, lassen sich von ihm in ihrer Ausdruckskraft anregen. Niemand sieht den Beleuchter, und doch ist er immer da, er wirkt mit, und er wirkt.
So wie ein Beleuchter fühle ich mich in meiner Rolle als Bearbeiter.
Jörn Arnecke, 1996
Lesen Sie hier ein Porträt über Jörn Arnecke und "Katja Kabanowa" (Kultur/News, Januar 1997).
Das ist aber auch nicht die Idee einer solchen neuen Fassung. Ich arbeite mit anderen klanglichen Voraussetzungen, und deshalb muß ich das Stück auch neu denken - im Licht dieser Besetzung. Ich kann ja nicht ständig mit den Händen ringen und denken: Ach, hätte ich doch nur ein großes Orchester! Ich muß die Chancen nutzen, die die zwei Flügel bieten. So wie Janacek vom Orchester ausgegangen ist und die Musik für das Orchester erdacht hat, so muß ich für die beiden Flügel denken.
Natürlich wird dabei eine andere Musik herauskommen; ich muß sie sparsamer, konzentrierter anlegen. Die Zuhörer werden auf ganz andere Weise ins Geschehen hineingezogen - nicht große Oper, sondern Kammerspiel; nicht ein großes, namenloses Orchester, sondern allein zwei Menschen an den Flügeln, die für diese Musik arbeiten. Und arbeiten müssen sie, sonst kann man die ungeheure Dichte dieses Werkes gar nicht abbilden!
Wenn Sie nur an die verschiedenen rhythmischen Schichten denken, die Janacek übereinandersetzt! Das ist ja geradezu ein Kennzeichen seiner Satztechnik in dieser Oper. Dauernd legt Janacek verschiedene Geschwindigkeiten in verschiedene Stimmen. Drei Noten in der einen gegen vier in der anderen; oder drei gegen zwei; oder sechs gegen vier - das benutzt er nicht mal zufällig, sondern es ist sein Ausdrucksmittel, damit erzielt er seinen eng verschlungenen Orchestersatz. Und das Orchester bietet ja auch reiche Möglichkeiten! Da kann man den Satz weit auffächern und sich die Unabhängigkeit der einzelnen Stimmgruppen zunutze machen. Wenn es bei uns nur vier Hände und zwanzig Finger gibt, muß mein Ansatz auch in diesem Punkt heißen: Wie übertrage ich die Dichte des Satzes auf die beiden Flügel? Jedenfalls nicht durch pures Abschreiben!
Mir ist sehr wichtig, daß die Sänger sich wohlfühlen in der Musik, die sie umgibt und trägt. Das, stelle ich mir vor, wird eine große Stärke sein: Die Sänger haben Raum für ihre Stimme, sie können freier gestalten, ohne die ständige Angst, in einer Klangflut unterzugehen. Zwei Flügel schaffen auch ordentlich Lärm, aber mit einem großen Orchester halten sie natürlich nicht mit.
Eine Fassung für zwei Klaviere hat es bisher noch nicht gegeben. Insofern bin ich auch ein bißchen stolz darauf, daß etwas vom Zauber einer Uraufführung über dieser Arbeit liegt. Janacek treu bleiben und zugleich einen neuen Blick auf seine Oper lenken - das ist der Grat, auf dem ich mich dem Ziel entgegenspüre. Es ist eine große Herausforderung für mich: Ich darf mich in eine der Opern vergraben, die von unserem Jahrhundert übrigbleiben werden. Und das ist für mich zugleich eine hohe Verantwortung.
Ein Beleuchter in der Oper nimmt auch auf die Handlung keinen Einfluß; sie läuft, wie sie läuft. Das Publikum aber wird durch die Art, wie er die Lichter setzt, bewegt - und auch die Sänger tauchen tiefer in ihre Rolle ein, lassen sich von ihm in ihrer Ausdruckskraft anregen. Niemand sieht den Beleuchter, und doch ist er immer da, er wirkt mit, und er wirkt.
So wie ein Beleuchter fühle ich mich in meiner Rolle als Bearbeiter.
Jörn Arnecke, 1996
Lesen Sie hier ein Porträt über Jörn Arnecke und "Katja Kabanowa" (Kultur/News, Januar 1997).
Rezensionen
Janáceks Oper "Katja Kabanowa" in Pöseldorf
Die finale Aktion der Selbstmörderin Katja Kabanowa ist nicht der Sprung in die Wolga, Katja begibt sich in die Arme des Toten-Fährmanns Charon, der sie mit zärtlicher Gebärde an sich zieht.
Und die Gewitterszene geht ohne Blitz und Donner über die Bühne, zur Verdeutlichung des Geschehens genügen Regenschirme.
Das sind nur zwei einer ganzen Reihe aparter Regie-Einfälle Lorenzo Fioronis in seiner Inszenierung von Leos Janáceks Oper "Katja Kabanowa" im Forum der Musikhochschule.
Die Arbeit überzeugt. (…) Zwei Flügel übernehmen den Orchesterpart. Jörn Arnecke hat die Partitur auf kammermusikalisches Format reduziert, die Beschränkung auf knappe Charakterisierung der Sprachmelodie ist gelungen.
Es liegt auf der Hand, daß die großen klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten eines Orchesters mit zwei Instrumenten nicht erreicht werden können, aber die Atmosphäre stimmte, der rhythmische und melodische Gestus wurde evident. (…)
d.a., Hamburger Abendblatt, 27. Januar 1997
Und die Gewitterszene geht ohne Blitz und Donner über die Bühne, zur Verdeutlichung des Geschehens genügen Regenschirme.
Das sind nur zwei einer ganzen Reihe aparter Regie-Einfälle Lorenzo Fioronis in seiner Inszenierung von Leos Janáceks Oper "Katja Kabanowa" im Forum der Musikhochschule.
Die Arbeit überzeugt. (…) Zwei Flügel übernehmen den Orchesterpart. Jörn Arnecke hat die Partitur auf kammermusikalisches Format reduziert, die Beschränkung auf knappe Charakterisierung der Sprachmelodie ist gelungen.
Es liegt auf der Hand, daß die großen klanglichen Ausdrucksmöglichkeiten eines Orchesters mit zwei Instrumenten nicht erreicht werden können, aber die Atmosphäre stimmte, der rhythmische und melodische Gestus wurde evident. (…)
d.a., Hamburger Abendblatt, 27. Januar 1997
Gebrochene Schwalbenflügel in Moll
Katja kann fliegen. Das beweist sie ihrer Freundin Barbara, indem sie die Finger so schnell auf und ab flattern läßt, als zöge ein Schwalbenschwarm durch die Luft. Doch die Zeiten des Fliegens sind längst vorbei. Seit ihrer Hochzeit fühlt sich die junge Frau wie im Käfig.
"Katja Kabanowa", die 1921 uraufgeführte Oper des tschechischen Komponisten Leos Janácek, erzählt die Tragödie einer jungen Frau im dörflichen Rußland Mitte des 19. Jahrhunderts. (…)
Janácek hat das Schauspiel des russischen Dichters Ostrowskij umgeschrieben und in wunderbare Musik umgesetzt: melancholische Arien, ausgelassene Volkslieder und daramatisch bewegte Orchestermusik. In Jörn Arneckes Neufassung der Oper für zwei Klaviere, die an der Hochschule für Musik und Theater uraufgeführt wurde, spitzt sich die expressiv-lyrische Grundstimmung der Oper sogar noch zu. Auch die Sänger profitieren von der Konzentration auf die wesentlichen Klangstrukturen - allen voran Katja Beer (Katja) und Ulrike Bartusch (Barbara) mit ihrem vollen Sopran. (…)
Kira Moll, die tageszeitung, 27. Januar 1997
"Katja Kabanowa", die 1921 uraufgeführte Oper des tschechischen Komponisten Leos Janácek, erzählt die Tragödie einer jungen Frau im dörflichen Rußland Mitte des 19. Jahrhunderts. (…)
Janácek hat das Schauspiel des russischen Dichters Ostrowskij umgeschrieben und in wunderbare Musik umgesetzt: melancholische Arien, ausgelassene Volkslieder und daramatisch bewegte Orchestermusik. In Jörn Arneckes Neufassung der Oper für zwei Klaviere, die an der Hochschule für Musik und Theater uraufgeführt wurde, spitzt sich die expressiv-lyrische Grundstimmung der Oper sogar noch zu. Auch die Sänger profitieren von der Konzentration auf die wesentlichen Klangstrukturen - allen voran Katja Beer (Katja) und Ulrike Bartusch (Barbara) mit ihrem vollen Sopran. (…)
Kira Moll, die tageszeitung, 27. Januar 1997
Besser tot als in gesellschaftlicher Schande
Leos Janáceks Opern gehören zu den wesentlichen unseres Jahrhunderts (…). Wieder einmal ist das Junge Forum Musiktheater hier in die Bresche gesprungen und hat eine Repertoirelücke gefüllt - wichtiger als das: Das Ergebnis ist glanzvoll.
Zwar reicht es der Hochschule nicht für ein Janácek-Orchester - das wäre doch eine Herausforderung -, aber mit dem gewählten Kompromiß, einer "Neufassung für zwei Klaviere", kann man ganz gut leben, weil die beiden Pianistinnen, Maria Genova und Viktoria Lakissowa, unter der musikalischen Leitung von Johannes Debus geradezu zu Haupt"darstellerinnen" werden. Sicherlich geht vieles an Farben verloren, die Janáceks Orchestersatz auszeichnen, aber die rhythmische Intensität, die Strenge und Unerbittlichkeit, auch die Überhöhung am Schluß kommen in dieser Fassung des jungen Komponisten Jörn Arnecke bestens heraus. (…)
Detlev Mücke, Nordelbische Kirchenzeitung, 31. Januar 1997
Zwar reicht es der Hochschule nicht für ein Janácek-Orchester - das wäre doch eine Herausforderung -, aber mit dem gewählten Kompromiß, einer "Neufassung für zwei Klaviere", kann man ganz gut leben, weil die beiden Pianistinnen, Maria Genova und Viktoria Lakissowa, unter der musikalischen Leitung von Johannes Debus geradezu zu Haupt"darstellerinnen" werden. Sicherlich geht vieles an Farben verloren, die Janáceks Orchestersatz auszeichnen, aber die rhythmische Intensität, die Strenge und Unerbittlichkeit, auch die Überhöhung am Schluß kommen in dieser Fassung des jungen Komponisten Jörn Arnecke bestens heraus. (…)
Detlev Mücke, Nordelbische Kirchenzeitung, 31. Januar 1997