KRYOS (2009/10)
Uraufführung (UA): Bremen, Theater am Goetheplatz, 14. Mai 2011
Auftragswerk des Theaters Bremen
Musiktheater nach Libretto von Hannah Dübgen
Teile des Stückes entstanden 2009 während eines Stipendiaten-Aufenthaltes am Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia Bamberg.
Uwe Kramer (Der Fremde), Loren Lang (Nono), Tamara Klivadenko (Maja), Nadine Lehner (Suna), Christian-Andreas Engelhardt (Toru)
Bremer Philharmoniker, Chor der Oper Bremen
Regie: Philipp Himmelmann
Musikalische Leitung: Markus Poschner
Bühne: Raimund Bauer
Kostüme: Katherina Kopp
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Besetzung:
Der Fremde - Schauspieler; Nono - Bariton; Maja - Mezzosopran; Suna - Sopran; Toru - Tenor
Bewohner von Kryos - Chor (S, A, T, B) inklusive Chorsolisten (S, A, T, T, B, B)
Besetzung Orchester:
2 (2. auch Picc.) - 2 (2. auch EH) - 2 (2. auch Bkl) - 2 (2. auch Kfg.)
4 - 2 - 2
Pk - Sz (1)
Hrf - Klav
Str
Auftragswerk des Theaters Bremen
Musiktheater nach Libretto von Hannah Dübgen
Teile des Stückes entstanden 2009 während eines Stipendiaten-Aufenthaltes am Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia Bamberg.
Uwe Kramer (Der Fremde), Loren Lang (Nono), Tamara Klivadenko (Maja), Nadine Lehner (Suna), Christian-Andreas Engelhardt (Toru)
Bremer Philharmoniker, Chor der Oper Bremen
Regie: Philipp Himmelmann
Musikalische Leitung: Markus Poschner
Bühne: Raimund Bauer
Kostüme: Katherina Kopp
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Besetzung:
Der Fremde - Schauspieler; Nono - Bariton; Maja - Mezzosopran; Suna - Sopran; Toru - Tenor
Bewohner von Kryos - Chor (S, A, T, B) inklusive Chorsolisten (S, A, T, T, B, B)
Besetzung Orchester:
2 (2. auch Picc.) - 2 (2. auch EH) - 2 (2. auch Bkl) - 2 (2. auch Kfg.)
4 - 2 - 2
Pk - Sz (1)
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Einführung
Nach der Klimakatastrophe hat sich eine kleine Menschengemeinschaft im ewigen Eis eingerichtet. Der sparsame Umgang mit den kostbaren Ressourcen und eine durch Rituale geprägte Lebensweise kennzeichnen das Zusammenleben der Bewohner der Insel Kryos. Bis eines Tages ein Fremder an den Strand gespült wird, der aus der Vergangenheit zu kommen scheint …
Rezensionen
Wenn das Eis knackt
Spektralsprache: Jörn Arneckes Oper "Kryos" in Bremen uraufgeführt
Spektralsprache: Jörn Arneckes Oper "Kryos" in Bremen uraufgeführt
Eine einsame Insel am Nordpol, 23. Jahrhundert. Eine kleine Gemeinschaft hat die globale Klimakatastrophe überlebt. Silbergraue Wände, die sich im Laufe des Spiels als durchlässig erweisen, umgeben eine kahle Fläche, auf der die Bewohner der Insel Kryos (griechisch für "Kälte", "Frost") auf dem Rücken liegen, sich synchron umdrehen, mit ihren Gkliedmaßen in der Luft ebenso synchron strampeln, wie der Käfer aus Kafkas "Verwandlung".
So beginnt die Oper "Kryos" von Jörn Arnecke (Jahrgang 1973) mit dem Libretto von Hannah Dübgen und in der Inszenierung von Philipp Himmelmann; Bühnenbild: Raimund Bauer. Das Bremer Theater am Goetheplatz hat das Werk in Auftrag gegeben.
Die Bewohner von Kryos (Theaterchor, einstudiert von Daniel Mayr) sprechen nicht mehr, sie singen einen Spektralklang, in dem jeder Teilton des Obertonspektrums wichtig ist, will sagen: jeder Bewohner ist ein unverzichtbares Rädchen in der (so glaubt man) letzten existierenden Menschmaschine. Hier wird aus dem Libretto Musik: Spektralklänge bestimmen den musikalischen Ablauf, von harmonischen Sept-Akkorden zu eher lyrischen Szenen bis zum Geräuschhaften der zunächst nicht wahrgenommenen Bedrohung aus der Erde. Das hört sich komplizierter an, als es ist, denn Arneckes Musik ist gut zu verfolgen, sie geht auf die Zuhörer zu, verweigert sich nicht.
Dies vermittelt sich nicht zuletzt durch das charakteristisch gestaltende Solistenaufgebot. Auf Kryos taucht plötzlich ein Fremder auf (Uwe Kramer): Er singt nicht, er spricht. Nono (Loren Lang), einer der Führer auf Kryos, vermutet, jener sei ein Tiefschläfer aus der Vergangenheit. Toru (Christian-Andreas Engelhardt), Nonos Gegenspieler, ist misstrauisch; Maja (Tamara Klivadenko), Nonos Tochter, verliebt sich in den Fremden – eine Todsünde, denn auf Kryos gibt es keinen Sex und keine Erotik mehr, sondern nur künstlich gezeugte Nachkommenschaft. Suna (Nadine Lehner) scheint mit dieser Wendung zu sympathisieren, sie verweigert sich der künstlichen Befruchtung. Der Fremde hört ein zunehmendes Geräusch, die Bewohner hören es nicht oder wollen es nicht hören. Eine Bedrohung aus der Erde? Eine Erdbeben? Ein Eisbruch? Der Fremde soll verbrannt werden, aber vorher flieht er mit Maja in eine ungewisse Zukunft, während die Kryos-Bewohner zu einem gewaltigen Orchester-Crescendo endlich die innere wie äußere Gefahr zu bemerken scheinen: Auf dem Höhepunkt aber, im fortissimo, bricht die Oper ab, bleibt offen, lädt zum Nachdenken ein.
Jörn Arnecke, zur Zeit Kompositionsprofessor in Weimar, hat eine Musik geschrieben, die Elemente der Spektralisten wie der Minimal Art aufgreift, in den Chorsätzen der Kryos-Bewohner Akkordik à la Carl Orff wählt, sicher nicht zufällig als klingende Anspielung auf totalitäre Gefahren. Im Orchester (Bremer Philharmoniker, vorzüglich geleitet von GMD Markus Poschner) verdienen die vierteltönig blasenden Hornisten ein Sonderlob; tiefer Streicher und Perkussion raunen trefflich den gefahrvollen Untergrund des utopischen Gemeinwesens. Arneckes Klänge halten die Spannung über die pausenlosen 75 Minuten, eine beim gewählten Klangbild sicher weise zeitliche Beschränkung. Das Ensemble des Bremer Theaters agiert hingebungsvoll.
Hartmut Lück, Frankfurter Rundschau, 17. Mai 2011
So beginnt die Oper "Kryos" von Jörn Arnecke (Jahrgang 1973) mit dem Libretto von Hannah Dübgen und in der Inszenierung von Philipp Himmelmann; Bühnenbild: Raimund Bauer. Das Bremer Theater am Goetheplatz hat das Werk in Auftrag gegeben.
Die Bewohner von Kryos (Theaterchor, einstudiert von Daniel Mayr) sprechen nicht mehr, sie singen einen Spektralklang, in dem jeder Teilton des Obertonspektrums wichtig ist, will sagen: jeder Bewohner ist ein unverzichtbares Rädchen in der (so glaubt man) letzten existierenden Menschmaschine. Hier wird aus dem Libretto Musik: Spektralklänge bestimmen den musikalischen Ablauf, von harmonischen Sept-Akkorden zu eher lyrischen Szenen bis zum Geräuschhaften der zunächst nicht wahrgenommenen Bedrohung aus der Erde. Das hört sich komplizierter an, als es ist, denn Arneckes Musik ist gut zu verfolgen, sie geht auf die Zuhörer zu, verweigert sich nicht.
Dies vermittelt sich nicht zuletzt durch das charakteristisch gestaltende Solistenaufgebot. Auf Kryos taucht plötzlich ein Fremder auf (Uwe Kramer): Er singt nicht, er spricht. Nono (Loren Lang), einer der Führer auf Kryos, vermutet, jener sei ein Tiefschläfer aus der Vergangenheit. Toru (Christian-Andreas Engelhardt), Nonos Gegenspieler, ist misstrauisch; Maja (Tamara Klivadenko), Nonos Tochter, verliebt sich in den Fremden – eine Todsünde, denn auf Kryos gibt es keinen Sex und keine Erotik mehr, sondern nur künstlich gezeugte Nachkommenschaft. Suna (Nadine Lehner) scheint mit dieser Wendung zu sympathisieren, sie verweigert sich der künstlichen Befruchtung. Der Fremde hört ein zunehmendes Geräusch, die Bewohner hören es nicht oder wollen es nicht hören. Eine Bedrohung aus der Erde? Eine Erdbeben? Ein Eisbruch? Der Fremde soll verbrannt werden, aber vorher flieht er mit Maja in eine ungewisse Zukunft, während die Kryos-Bewohner zu einem gewaltigen Orchester-Crescendo endlich die innere wie äußere Gefahr zu bemerken scheinen: Auf dem Höhepunkt aber, im fortissimo, bricht die Oper ab, bleibt offen, lädt zum Nachdenken ein.
Jörn Arnecke, zur Zeit Kompositionsprofessor in Weimar, hat eine Musik geschrieben, die Elemente der Spektralisten wie der Minimal Art aufgreift, in den Chorsätzen der Kryos-Bewohner Akkordik à la Carl Orff wählt, sicher nicht zufällig als klingende Anspielung auf totalitäre Gefahren. Im Orchester (Bremer Philharmoniker, vorzüglich geleitet von GMD Markus Poschner) verdienen die vierteltönig blasenden Hornisten ein Sonderlob; tiefer Streicher und Perkussion raunen trefflich den gefahrvollen Untergrund des utopischen Gemeinwesens. Arneckes Klänge halten die Spannung über die pausenlosen 75 Minuten, eine beim gewählten Klangbild sicher weise zeitliche Beschränkung. Das Ensemble des Bremer Theaters agiert hingebungsvoll.
Hartmut Lück, Frankfurter Rundschau, 17. Mai 2011
Wie eiskalt ist dies Ländchen
Keine Spur von Happy-End: Jörn Arneckes neue Oper "Kryos", die in Bremen uraufgeführt wurde, spielt in einem Land des gefrorenen Lächelns.
Keine Spur von Happy-End: Jörn Arneckes neue Oper "Kryos", die in Bremen uraufgeführt wurde, spielt in einem Land des gefrorenen Lächelns.
Von Herzenswärme ist auf dieser rätselhaften Insel, an deren Ufer ein unerklärter, namenloser Fremder als Zeitreisender strandet, nichts zu hören, nichts zu sehen. Das Mysterium beginnt mit unheilvoll rumpelnden Kontrabass-Klängen, und man ahnt schon jetzt: Mit Happy End wird das hier garantiert nichts werden. Die Kurzgeschichte von "Kryos"’, das ist eine Mischung aus "Robinson Crusoe", einer Dosis Michel Houellebecqs "Möglichkeit einer Insel" und dem Soundtrack-Geraune des TV-Bilderrätsels "Lost". In einer Zukunft weit nach der uns angedrohten Klimakatastrophe und verpackt in die eiskalte Utopie eines Kollektivs aus harmoniesüchtigen Dauergrinsern, das perfekte Paare berechnet und Menschen über eine Klippe in den Tod schickt, wenn deren Frischhaltedatum im selig machenden Eis überschritten ist.
Erleuchtende Stabilität und Zusammenhalt liefert in diesem Eiswürfel auf der Bühne das Singen eines Spektralklangs, in dem die Individuen im blendenden Scheinwerferlicht zu einem Chor-Klumpen verschmelzen.
Die Auseinandersetzung mit Kälte jenseits des berechenbar Physikalischen hat es dem Komponisten Jörn Arnecke, dessen Karriere vor einigen Jahren an der Hamburgischen Staatsoper begann, angetan, denn jedes seiner Bühnenwerke beschäftigt sich mit dem Abkühlen von Gesellschaftsmodellen und den erschreckenden Auswirkungen auf Einzelne, ob es nun Aids-Kranke sind ("Das Fest im Meer"), verzweifelte Flüchtlinge aus Afrika ("Butterfly Blues") oder coole Unternehmensberater ("Unter Eis’"), die geldgierig in ihr Verderben rennen.
Mit "Kryos" hat die Bremer Oper ein Kammerspiel als Uraufführung und Auftragsarbeit auf ihre Bühne gebracht, das mit 80 pausen- und schwächenlosen Minuten so kurz wie gut ist. Das liegt einerseits an der Prägnanz des Librettos von Hannah Dübgen und der Regie von Philipp Himmelmann und ebenso an dem bestechend effektiven Bühnenbild von Raimund Bauer. Er hat eine leere Kühlbox entworfen, eingerahmt mit Vorhängen aus kalt funkelnden Eiskugeln, zwischen denen der Bremer Theaterchor als Bewohner von Kryos liegend wie abgepackte Tiefkühlkost auf seine Einsätze vor einer Wand aus Scheinwerferlicht wartet.
Einer der Insel-Oberen heißt Nono, vielleicht eine dezente Anspielung und Hommage für den Avantgarde-Komponisten, der so gern mit Klängen und dem Einsatz von Stille verblüffte. Die Idee des heilbringenden Spektralklangs erinnert dafür umso deutlicher an die Ideen von Arneckes Pariser Lehrer Gérard Grisey, der Klangfarben wie in einem Prisma auffächerte und so ihrem Geist nachzuspüren versuchte. Hierbei ist Arnecke beeindruckend findig fündig geworden, seine Tonsprache ist anspruchsvoll, aber nicht abschreckend, raffiniert, aber nicht verschroben.
Diese Musik, die den Bremer Philharmonikern unter Leitung von GMD Markus Poschner sicher gelingt, zieht an; sie nimmt mit, ist packend und kommt - keineswegs eine Selbstverständlichkeit für Zeitgenossen - unmissverständlich auf den Punkt.
Dem Fremden (Uwe Kramer) versagt Arnecke mit seiner Sprechrolle konsequent die Integration ins Unerforschte, seine Inselbekanntschaft Maja (ausdrucksfein: Tamara Klivadenko) ringt in ihrer klar gearbeiteten Partie mit der Angst, auftauen zu können und so womöglich menschlich zu werden. Doch der Annäherungsversuch scheitert, es knirscht in den Fugen von Kryos. Der Rest ist Schweigen, und dann wohl Schmelzen.
Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt
Erleuchtende Stabilität und Zusammenhalt liefert in diesem Eiswürfel auf der Bühne das Singen eines Spektralklangs, in dem die Individuen im blendenden Scheinwerferlicht zu einem Chor-Klumpen verschmelzen.
Die Auseinandersetzung mit Kälte jenseits des berechenbar Physikalischen hat es dem Komponisten Jörn Arnecke, dessen Karriere vor einigen Jahren an der Hamburgischen Staatsoper begann, angetan, denn jedes seiner Bühnenwerke beschäftigt sich mit dem Abkühlen von Gesellschaftsmodellen und den erschreckenden Auswirkungen auf Einzelne, ob es nun Aids-Kranke sind ("Das Fest im Meer"), verzweifelte Flüchtlinge aus Afrika ("Butterfly Blues") oder coole Unternehmensberater ("Unter Eis’"), die geldgierig in ihr Verderben rennen.
Mit "Kryos" hat die Bremer Oper ein Kammerspiel als Uraufführung und Auftragsarbeit auf ihre Bühne gebracht, das mit 80 pausen- und schwächenlosen Minuten so kurz wie gut ist. Das liegt einerseits an der Prägnanz des Librettos von Hannah Dübgen und der Regie von Philipp Himmelmann und ebenso an dem bestechend effektiven Bühnenbild von Raimund Bauer. Er hat eine leere Kühlbox entworfen, eingerahmt mit Vorhängen aus kalt funkelnden Eiskugeln, zwischen denen der Bremer Theaterchor als Bewohner von Kryos liegend wie abgepackte Tiefkühlkost auf seine Einsätze vor einer Wand aus Scheinwerferlicht wartet.
Einer der Insel-Oberen heißt Nono, vielleicht eine dezente Anspielung und Hommage für den Avantgarde-Komponisten, der so gern mit Klängen und dem Einsatz von Stille verblüffte. Die Idee des heilbringenden Spektralklangs erinnert dafür umso deutlicher an die Ideen von Arneckes Pariser Lehrer Gérard Grisey, der Klangfarben wie in einem Prisma auffächerte und so ihrem Geist nachzuspüren versuchte. Hierbei ist Arnecke beeindruckend findig fündig geworden, seine Tonsprache ist anspruchsvoll, aber nicht abschreckend, raffiniert, aber nicht verschroben.
Diese Musik, die den Bremer Philharmonikern unter Leitung von GMD Markus Poschner sicher gelingt, zieht an; sie nimmt mit, ist packend und kommt - keineswegs eine Selbstverständlichkeit für Zeitgenossen - unmissverständlich auf den Punkt.
Dem Fremden (Uwe Kramer) versagt Arnecke mit seiner Sprechrolle konsequent die Integration ins Unerforschte, seine Inselbekanntschaft Maja (ausdrucksfein: Tamara Klivadenko) ringt in ihrer klar gearbeiteten Partie mit der Angst, auftauen zu können und so womöglich menschlich zu werden. Doch der Annäherungsversuch scheitert, es knirscht in den Fugen von Kryos. Der Rest ist Schweigen, und dann wohl Schmelzen.
Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt
Nach der Klimakatastrophe wird nur noch gesungen
Jörn Arneckes bemerkenswerte Opernutopie "Kryos" in Bremen
Jörn Arneckes bemerkenswerte Opernutopie "Kryos" in Bremen
Singen verwandelt, es bezwingt Furien und erweckt die Toten. Seit Anbeginn der Gattung Oper ist der Gesang viel mehr als nur ein musikalisches Mittel unter vielen, mehr auch als bloßer Träger von Affekten. Mit Auftritt des Sängers Orpheus sind Mythos und Magie der menschlichen Stimme selbst zum bestimmenden Thema des Musiktheaters geworden.
Ganz so weit zurück zu den orphischen Urgründen der Oper will sich Jörn Arnecke zwar nicht zurückbesinnen, bekennt sich der junge Tonsetzer doch dezidiert zu Stoffen der Gegenwart. Seine für die Staatsoper Hamburg und die RuhrTriennale geschaffenen Werke "Unter Eis", "Butterfly Blues" und "Das Fest im Meer" versichern sich der radikalen Zeitgenossenschaft des Musiktheaters, indem sie schon mal die Schicksale illegaler Immigrantinnen auf der Opernbühne verhandeln.
Ohne seinen grundsätzlichen Weg zu verlassen, geht der Komponist jetzt einen Schritt zurück, um sich dem Gesang als sinn- und gemeinschaftsstiftender Kommunikationsform zuzuwenden: Die Gesellschaft der von Arnecke und Librettistin Hannah Dübgen erfundenen Insel Kryos (griechisch: Kälte, Frost) verständigt sich nämlich ausdrücklich singend. Das Gemeinwesen von Kryos entsteht als eine vielstimmige Singfonie, in der ein jeder Mensch seinen Ton und so seinen Platz im Kollektiv findet.
Dazu hat Arnecke einen vom ihm gern verwandten Kunstgriff weiterentwickelt und zu einer berückend schönen, farbklaren wie leuchtkräftigen Klanglichkeit perfektioniert. Wie einst Richard Wagner das Werden der Welt mit dem berühmten Beginn des "Rheingold" als auskomponierte Obertonreihe auf dem Ton Es ersonnen hat, entwirft Arnecke nun sogenannte Spektralklänge aus einem Grundton und dessen Obertönen. Da die Abstände zwischen den Tönen nach oben immer enger werden, wird der Klang zwar mit komplexen Vierteltönen angereichert, erscheint dem Ohr aber als natürlich, freundlich und hell.
Die Partitur von Arneckes neuester Oper, jüngst in Bremen uraufgeführt, schillert und duftet gar köstlich, sie lebt von leuchtenden Crescendi, sie ist konzise und kristallin durchwirkt, klangfein und kraftvoll gearbeitet. Dabei ist sie so gänzlich frei von den Bruitismen der Avantgarde, als habe Arnecke hier aus dem Geiste des späten Wagner und dessen lyrischer "Parsifal"-Besonnenheit geschöpft, um dieser poetischen Reduktion aufs Wesentliche noch die irisierende Intimität eines Debussy beizumischen.
Und die wirklich wunderbare Erfahrung dieses musikalisch so entschiedenen Abends ist diese: Arnecke kann für Stimmen schreiben wie kaum ein Komponist seiner Generation. Da schmeicheln sich die lieblichen Kantilenen zweier Frauenstimmen nicht nur ohne Umschweife ins mitfühlende Ohr, sie sind auch derart geschickt, also ohne fette Mittelstimmen, orchestral untermalt, dass ein jedes Wort zu verstehen ist.
Auch die Geschichte von "Kryos" entfaltet sich in der jeden Naturalismus klug meidenden Inszenierung von Philipp Himmelmann, der schlichten starken weißen Bühne von Raimund Bauer und den kollektiv graumausigen Kostümen von Katherine Kopp in größter Selbstverständlichkeit: Kryos ist eine Insel im 23. Jahrhundert, auf der ein Häuflein Menschen die Klimakatastrophe überlebt haben, die der Generation ihrer Großeltern das Leben gekostet hat.
Statt Machtgeilheit und egoistischem Glücksverlangen übt man sich auf Kryos in singender Selbstvergewisserung und lebt trotz dauernder Kälte und begrenzten Ressourcen nach der Maxime "Stabilität und Harmonie". Diese etwas naive Wiedergeburt einer jeder Veränderung abholden sozialistischen Utopie, die sich immer wieder in grandiosen, gleich mönchischen Ritualen angestimmten Chören offenbart, wird erst gestört, als, wie weiland Parsifal, ein Fremder auf die Insel der Seligen gelangt.
Der hatte sich offenbar vor der Katastrophe einfrieren lassen, dann nach dem Auftauen die Erinnerung verloren und vertritt als Überbleibender unserer Zeit deren Denkweisen. Und: Er kann nicht singen, er spricht nur. Dennoch verliebt sich die Tochter des Chefadministrators in ihn und begehrt ein Kind der Liebe von ihm - was hier als überlebtes Konstrukt aus längst vergangnen Zeiten individueller Glücksmaximierung gilt und in der kollektiven Kontinuität von Kryos keinen Platz haben darf. Die schöne neue Welt erhält hier offensichtlich Orwell'sche Dimensionen, die das Libretto zu zart, Himmelmanns Inszenierung dafür deutlich benennt.
Peter Krause, Die Welt, 25. Mai 2011
Ganz so weit zurück zu den orphischen Urgründen der Oper will sich Jörn Arnecke zwar nicht zurückbesinnen, bekennt sich der junge Tonsetzer doch dezidiert zu Stoffen der Gegenwart. Seine für die Staatsoper Hamburg und die RuhrTriennale geschaffenen Werke "Unter Eis", "Butterfly Blues" und "Das Fest im Meer" versichern sich der radikalen Zeitgenossenschaft des Musiktheaters, indem sie schon mal die Schicksale illegaler Immigrantinnen auf der Opernbühne verhandeln.
Ohne seinen grundsätzlichen Weg zu verlassen, geht der Komponist jetzt einen Schritt zurück, um sich dem Gesang als sinn- und gemeinschaftsstiftender Kommunikationsform zuzuwenden: Die Gesellschaft der von Arnecke und Librettistin Hannah Dübgen erfundenen Insel Kryos (griechisch: Kälte, Frost) verständigt sich nämlich ausdrücklich singend. Das Gemeinwesen von Kryos entsteht als eine vielstimmige Singfonie, in der ein jeder Mensch seinen Ton und so seinen Platz im Kollektiv findet.
Dazu hat Arnecke einen vom ihm gern verwandten Kunstgriff weiterentwickelt und zu einer berückend schönen, farbklaren wie leuchtkräftigen Klanglichkeit perfektioniert. Wie einst Richard Wagner das Werden der Welt mit dem berühmten Beginn des "Rheingold" als auskomponierte Obertonreihe auf dem Ton Es ersonnen hat, entwirft Arnecke nun sogenannte Spektralklänge aus einem Grundton und dessen Obertönen. Da die Abstände zwischen den Tönen nach oben immer enger werden, wird der Klang zwar mit komplexen Vierteltönen angereichert, erscheint dem Ohr aber als natürlich, freundlich und hell.
Die Partitur von Arneckes neuester Oper, jüngst in Bremen uraufgeführt, schillert und duftet gar köstlich, sie lebt von leuchtenden Crescendi, sie ist konzise und kristallin durchwirkt, klangfein und kraftvoll gearbeitet. Dabei ist sie so gänzlich frei von den Bruitismen der Avantgarde, als habe Arnecke hier aus dem Geiste des späten Wagner und dessen lyrischer "Parsifal"-Besonnenheit geschöpft, um dieser poetischen Reduktion aufs Wesentliche noch die irisierende Intimität eines Debussy beizumischen.
Und die wirklich wunderbare Erfahrung dieses musikalisch so entschiedenen Abends ist diese: Arnecke kann für Stimmen schreiben wie kaum ein Komponist seiner Generation. Da schmeicheln sich die lieblichen Kantilenen zweier Frauenstimmen nicht nur ohne Umschweife ins mitfühlende Ohr, sie sind auch derart geschickt, also ohne fette Mittelstimmen, orchestral untermalt, dass ein jedes Wort zu verstehen ist.
Auch die Geschichte von "Kryos" entfaltet sich in der jeden Naturalismus klug meidenden Inszenierung von Philipp Himmelmann, der schlichten starken weißen Bühne von Raimund Bauer und den kollektiv graumausigen Kostümen von Katherine Kopp in größter Selbstverständlichkeit: Kryos ist eine Insel im 23. Jahrhundert, auf der ein Häuflein Menschen die Klimakatastrophe überlebt haben, die der Generation ihrer Großeltern das Leben gekostet hat.
Statt Machtgeilheit und egoistischem Glücksverlangen übt man sich auf Kryos in singender Selbstvergewisserung und lebt trotz dauernder Kälte und begrenzten Ressourcen nach der Maxime "Stabilität und Harmonie". Diese etwas naive Wiedergeburt einer jeder Veränderung abholden sozialistischen Utopie, die sich immer wieder in grandiosen, gleich mönchischen Ritualen angestimmten Chören offenbart, wird erst gestört, als, wie weiland Parsifal, ein Fremder auf die Insel der Seligen gelangt.
Der hatte sich offenbar vor der Katastrophe einfrieren lassen, dann nach dem Auftauen die Erinnerung verloren und vertritt als Überbleibender unserer Zeit deren Denkweisen. Und: Er kann nicht singen, er spricht nur. Dennoch verliebt sich die Tochter des Chefadministrators in ihn und begehrt ein Kind der Liebe von ihm - was hier als überlebtes Konstrukt aus längst vergangnen Zeiten individueller Glücksmaximierung gilt und in der kollektiven Kontinuität von Kryos keinen Platz haben darf. Die schöne neue Welt erhält hier offensichtlich Orwell'sche Dimensionen, die das Libretto zu zart, Himmelmanns Inszenierung dafür deutlich benennt.
Peter Krause, Die Welt, 25. Mai 2011
Oper "Kryos" geht unter die Haut
Uraufführung im Bremer Theater
Uraufführung im Bremer Theater
Aktueller kann Oper nicht sein. Gerade erleben wir eine lange Trockenperiode, da führt uns Jörn Arneckes Musikdrama "Kryos" die erschreckenden Folgen einer Klimakatastrophe vor Augen. Eine Uraufführung, die unter die Haut geht.
Die Oper Kryos wurde für das Bremer Theater geschrieben und inszeniert. Komponiert wurde die Oper auf ein Libretto von Hannah Dübgen. Es ist eine Sciencefiction-Story mit Tiefgang und doppeltem Boden, die sich da auf der Bühne des Theaters am Goetheplatz abspielt. Im 23. Jahrhundert, nachdem ein Großteil der Menschheit an einer apokalyptischen Überschwemmung zu Grunde gegangen ist, haben sich einige Davongekommene auf dem eisigen Berg Kryos, der am Pol aus dem Wasser herausragt, zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen.
Alles scheint bestens zu funktionieren, bis auf einmal ein Fremder, "wie aufgetaut aus einer anderen Zeit", an den Strand gespült wird und durch sein Auftreten, seine Art zu kommunizieren (er spricht, während alle anderen singen) die Ordnung auf Kyros gründlich durcheinander bringt. Er stellt unbequeme Fragen, hört bedrohliche Geräusche, die den übrigen verborgen bleiben. Steht die Welt vor einer erneuten Katastrophe?
Die Autoren beantworten diese Frage nicht. Die klar durchgegliederte, auf ein offenes Ende hin angelegte Handlung, die atmosphärisch dichte Musik beschreiben Zustände, keine Lösungen. Dabei lässt der Komponist den Zuhörer in faszinierende Klangwelten eintauchen, mal ätherisch, fast impressionistisch subtil, dann wieder aufgipfelnd im Instrumentalensemble des groß besetzten Orchesters. Stilprägend wirkt sich dabei der Einsatz des sogenannten Spektralklangs aus, der neben den geläufigen Intervallen auch den Obertonbereich mit Vierteltonschritten einbezieht.
Klangliche Besonderheiten
Die Bremer Philharmoniker unter Markus Poschner präsentieren solche klanglichen Besonderheiten mit geübter Hand. Sie können sich dabei auf ihre langjährige Erfahrung mit zahlreichen Uraufführungen am Bremer Theater stützen, aber auch auf eine ungemein präzise Notation durch den Komponisten, durch die sich die Partitur auszeichnet. Erneut erlebt man an diesem Abend eine herausragende Leistung des bremischen Orchesters.
Regisseur Philipp Himmelmann hat das Bühnengeschehen innerhalb eines streng durchgeformten szenischen Rahmens abstrahiert, hat es fast einer konzertanten Produktion angenähert. Die konkreten Anweisungen des Librettos werden ignoriert. Statt dessen entsteht vor einem "Eisvorhang" aus unzähligen gläsernen Flaschen (Bühnenbild: Raimund Bauer, Licht: Christian Kemmetmüller) die Vision einer in Kälte erstarrten Gesellschaft, uniform gekleidet (Kostüme: Katherina Kopp), in uniformen Bewegungen. Nur selten löst sich aus dieser gleichsam erstarrten "Masse Mensch" ein Individuum zu einer eigenen Aktion. Eine in ihrer Konzentration eindrucksvolle wie werkgerechte Umsetzung des Stückes, zu der allerdings sicher auch Alternativen denkbar wären.
Besonders der Chor ist in Arneckes Oper in vielen Bereichen gefordert, sowohl was die choreografische Exaktheit angeht, als auch in der gesanglichen Ausführung, die höchste Ansprüche stellt. Bewundernswert, wie der Chor des Theater Bremen diese Aufgaben löst. Nicht zuletzt tragen dazu bei die zahlreichen Chorsolisten (Maja Gabriel, Tatjana Kluge, Achim Rikus, Yosuke Kodama, Allan Parkes, Daniel Ratchev und Wolfgang von Borries), die jeder für sich in ihren oft kurzen Einwürfen ein anschauliches Porträt entstehen lassen. Einen Höhepunkt der Chorpartie aber bildet das in seiner kompositorischen Struktur an den gregorianischen Gesang angelehnte Ritual des Spektralklangs, dessen Vortrag durch Stimmfülle und Stimmschönheit beeindruckt.
Ungewöhnlich zarte Töne
Loren Lang singt den Chefadministrator Nono mit kernigem und - der Rolle angemessen - etwas grob geführtem Bassbariton, Nadine Lehner die Suna mit tragfähigem, ausstrahlungsreichem Sopran und Christian-Andreas Engelhardt den intriganten Toru mit durchsetzungsfähigem Charaktertenor. Ungewöhnlich zarte Töne hört man von Tamara Klivadenko als Maja, der es beeindruckend gelingt, die zwei Seiten dieser Figur stimmlich zu verdeutlichen: Die angepasste an die Gemeinschaft von Kryos und die aus diesem Zwang ausbrechende weiblich-gefühlvolle. Ihre beiden größeren Solo-Passagen in der zweiten und in der zehnten Szene, beide in kantablem Duktus geschrieben, gestaltete die Mezzosopranistin mit hoher emotionaler Anteilnahme. Uwe Kramer als der "Fremde" hatte als Schauspieler unter den Sängern keinen leichten Stand, konnte sich aber dank seiner diszipliniert in den musikalischen Ablauf eingeordneten Sprechweise mühelos behaupten.
Es war ein thematisch wichtiger, allerdings auch ein zweifellos nicht leicht zu konsumierender Abend. Das spürbar berührte Publikum hielt die 70 Minuten der pausenlosen Aufführung konzentriert durch und belohnte Musiker, Regieteam und die anwesenden Autoren mit starkem, anerkennenden Beifall, in den sich etliche Bravorufe mischten.
Gerhart Asche, Weser-Kurier, 15. Mai 2011
Die Oper Kryos wurde für das Bremer Theater geschrieben und inszeniert. Komponiert wurde die Oper auf ein Libretto von Hannah Dübgen. Es ist eine Sciencefiction-Story mit Tiefgang und doppeltem Boden, die sich da auf der Bühne des Theaters am Goetheplatz abspielt. Im 23. Jahrhundert, nachdem ein Großteil der Menschheit an einer apokalyptischen Überschwemmung zu Grunde gegangen ist, haben sich einige Davongekommene auf dem eisigen Berg Kryos, der am Pol aus dem Wasser herausragt, zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen.
Alles scheint bestens zu funktionieren, bis auf einmal ein Fremder, "wie aufgetaut aus einer anderen Zeit", an den Strand gespült wird und durch sein Auftreten, seine Art zu kommunizieren (er spricht, während alle anderen singen) die Ordnung auf Kyros gründlich durcheinander bringt. Er stellt unbequeme Fragen, hört bedrohliche Geräusche, die den übrigen verborgen bleiben. Steht die Welt vor einer erneuten Katastrophe?
Die Autoren beantworten diese Frage nicht. Die klar durchgegliederte, auf ein offenes Ende hin angelegte Handlung, die atmosphärisch dichte Musik beschreiben Zustände, keine Lösungen. Dabei lässt der Komponist den Zuhörer in faszinierende Klangwelten eintauchen, mal ätherisch, fast impressionistisch subtil, dann wieder aufgipfelnd im Instrumentalensemble des groß besetzten Orchesters. Stilprägend wirkt sich dabei der Einsatz des sogenannten Spektralklangs aus, der neben den geläufigen Intervallen auch den Obertonbereich mit Vierteltonschritten einbezieht.
Klangliche Besonderheiten
Die Bremer Philharmoniker unter Markus Poschner präsentieren solche klanglichen Besonderheiten mit geübter Hand. Sie können sich dabei auf ihre langjährige Erfahrung mit zahlreichen Uraufführungen am Bremer Theater stützen, aber auch auf eine ungemein präzise Notation durch den Komponisten, durch die sich die Partitur auszeichnet. Erneut erlebt man an diesem Abend eine herausragende Leistung des bremischen Orchesters.
Regisseur Philipp Himmelmann hat das Bühnengeschehen innerhalb eines streng durchgeformten szenischen Rahmens abstrahiert, hat es fast einer konzertanten Produktion angenähert. Die konkreten Anweisungen des Librettos werden ignoriert. Statt dessen entsteht vor einem "Eisvorhang" aus unzähligen gläsernen Flaschen (Bühnenbild: Raimund Bauer, Licht: Christian Kemmetmüller) die Vision einer in Kälte erstarrten Gesellschaft, uniform gekleidet (Kostüme: Katherina Kopp), in uniformen Bewegungen. Nur selten löst sich aus dieser gleichsam erstarrten "Masse Mensch" ein Individuum zu einer eigenen Aktion. Eine in ihrer Konzentration eindrucksvolle wie werkgerechte Umsetzung des Stückes, zu der allerdings sicher auch Alternativen denkbar wären.
Besonders der Chor ist in Arneckes Oper in vielen Bereichen gefordert, sowohl was die choreografische Exaktheit angeht, als auch in der gesanglichen Ausführung, die höchste Ansprüche stellt. Bewundernswert, wie der Chor des Theater Bremen diese Aufgaben löst. Nicht zuletzt tragen dazu bei die zahlreichen Chorsolisten (Maja Gabriel, Tatjana Kluge, Achim Rikus, Yosuke Kodama, Allan Parkes, Daniel Ratchev und Wolfgang von Borries), die jeder für sich in ihren oft kurzen Einwürfen ein anschauliches Porträt entstehen lassen. Einen Höhepunkt der Chorpartie aber bildet das in seiner kompositorischen Struktur an den gregorianischen Gesang angelehnte Ritual des Spektralklangs, dessen Vortrag durch Stimmfülle und Stimmschönheit beeindruckt.
Ungewöhnlich zarte Töne
Loren Lang singt den Chefadministrator Nono mit kernigem und - der Rolle angemessen - etwas grob geführtem Bassbariton, Nadine Lehner die Suna mit tragfähigem, ausstrahlungsreichem Sopran und Christian-Andreas Engelhardt den intriganten Toru mit durchsetzungsfähigem Charaktertenor. Ungewöhnlich zarte Töne hört man von Tamara Klivadenko als Maja, der es beeindruckend gelingt, die zwei Seiten dieser Figur stimmlich zu verdeutlichen: Die angepasste an die Gemeinschaft von Kryos und die aus diesem Zwang ausbrechende weiblich-gefühlvolle. Ihre beiden größeren Solo-Passagen in der zweiten und in der zehnten Szene, beide in kantablem Duktus geschrieben, gestaltete die Mezzosopranistin mit hoher emotionaler Anteilnahme. Uwe Kramer als der "Fremde" hatte als Schauspieler unter den Sängern keinen leichten Stand, konnte sich aber dank seiner diszipliniert in den musikalischen Ablauf eingeordneten Sprechweise mühelos behaupten.
Es war ein thematisch wichtiger, allerdings auch ein zweifellos nicht leicht zu konsumierender Abend. Das spürbar berührte Publikum hielt die 70 Minuten der pausenlosen Aufführung konzentriert durch und belohnte Musiker, Regieteam und die anwesenden Autoren mit starkem, anerkennenden Beifall, in den sich etliche Bravorufe mischten.
Gerhart Asche, Weser-Kurier, 15. Mai 2011
Eisige Szenerie – eruptive Musik
Uraufführung Oper "Kryos" von Jörn Arnecke im Bremer Theater am Goetheplatz
Uraufführung Oper "Kryos" von Jörn Arnecke im Bremer Theater am Goetheplatz
Es gibt Opern, die nach ihrer Uraufführung wieder spurlos in der Versenkung verschwinden, und andere, die ihren Weg auf viele Bühnen finden. "Kryos" mit der Musik von Jörn Arnecke auf ein Libretto von Hannah Dübgen dürfte zur zweiten Gruppe gehören, wenn die Eindrücke der großartigen Uraufführung im Bremer Theater richtig gedeutet werden. Und das nicht nur, weil apokalyptische Szenarien und Endzeitstimmung Konjunktur haben.
Totalitäre Gesellschaft
Kryos (griechisch "Kälte", "Frost") ist eine eisige Insel, auf der im 23. Jahrhundert die wenigen Menschen leben, die eine gigantische Klimakatastrophe überstanden haben. Dort hat sich eine totalitäre Gesellschaftsordnung entwickelt, in der Tod und Geburt "staatlich" geregelt sind. Die Bewohner sind gleichgeschaltet, was durch synchrone Bewegungen verdeutlicht wird. Die Bewohner kennen keinen Gott, aber ein festes Ritual, den Spektralklang, bei dem jede Stimme ihre genau festgelegte Funktion hat. Wer von wem ein Kind bekommen darf, wird danach berechnet, ob die Stimme in den Spektralklang passt.
Zu Beginn der Handlung wird ein Fremder aus vergangenen Zeiten an den Strand gespült (Uwe Kramer gestaltete diese einzige Sprechrolle sehr pointiert). Er allein hört bedrohliche Geräusche aus dem Eisberg, die auf eine bevorstehende neue Naturkatastrophe hindeuten. Aber seine Warnungen werden ignoriert. Geschichte scheint sich zu wiederholen, obwohl das Ende offen bleibt. Aber dass sich Maja, die Tochter des Chefadministrators, ausgerechnet in diesen Fremden verliebt, deutet auf eine utopische Hoffnung hin.
Philipp Himmelmann inszenierte fast minimalistisch und betonte die konforme Struktur dieser ständig lächelnden Inselgemeinschaft. Das Bühnenbild von Raimund Bauer beschreibt die Eiswelt mit Vorhängen, die aus Tausenden von Flaschen bestehen, in denen sich gleißendes Licht bei den rituellen Beschwörungen bricht.
Klangliche Wucht
Die Musik von Jörn Arnecke ist vielschichtig und subtil. Die moderne Tonsprache verletzt das Ohr nie, im Gegenteil: Die großen Chorszenen haben klangliche Wucht und geradezu vulkanische Kraft, die vom Chor des Bremer Theaters mit kulinarischer Opulenz umgesetzt wurden. Aber auch die Solopartien bewegen sich in kantablen Bahnen. Besonders die Partie der Maja hat Arnecke sehr dankbar ausgestaltet.
Mezzosopranistin Tamara Klivadenko begeisterte mit leuchtkräftiger Stimme und emotionaler Anteilnahme. Loren Lang, Nadine Lehner und Christian-Andreas Engelhardt gaben ihren (vergleichsweise kürzeren) Rollen punktgenaues Profil. Ergänzt wurde das Ensemble durch Chorsolisten in vielen kleinen Rollen.
Markus Poschner und die Bremer Philharmoniker setzten Arneckes Musik hervorragend um, gleich ob es die Stakkato-Klänge der bedrohlichen Eisberg-Geräusche, die hymnisch gesteigerten Chorsätze oder die feineren, kammermusikartigen Passagen waren. Insgesamt war es ein intensiver, nachdenklich stimmender Opernabend.
Totalitäre Gesellschaft
Kryos (griechisch "Kälte", "Frost") ist eine eisige Insel, auf der im 23. Jahrhundert die wenigen Menschen leben, die eine gigantische Klimakatastrophe überstanden haben. Dort hat sich eine totalitäre Gesellschaftsordnung entwickelt, in der Tod und Geburt "staatlich" geregelt sind. Die Bewohner sind gleichgeschaltet, was durch synchrone Bewegungen verdeutlicht wird. Die Bewohner kennen keinen Gott, aber ein festes Ritual, den Spektralklang, bei dem jede Stimme ihre genau festgelegte Funktion hat. Wer von wem ein Kind bekommen darf, wird danach berechnet, ob die Stimme in den Spektralklang passt.
Zu Beginn der Handlung wird ein Fremder aus vergangenen Zeiten an den Strand gespült (Uwe Kramer gestaltete diese einzige Sprechrolle sehr pointiert). Er allein hört bedrohliche Geräusche aus dem Eisberg, die auf eine bevorstehende neue Naturkatastrophe hindeuten. Aber seine Warnungen werden ignoriert. Geschichte scheint sich zu wiederholen, obwohl das Ende offen bleibt. Aber dass sich Maja, die Tochter des Chefadministrators, ausgerechnet in diesen Fremden verliebt, deutet auf eine utopische Hoffnung hin.
Philipp Himmelmann inszenierte fast minimalistisch und betonte die konforme Struktur dieser ständig lächelnden Inselgemeinschaft. Das Bühnenbild von Raimund Bauer beschreibt die Eiswelt mit Vorhängen, die aus Tausenden von Flaschen bestehen, in denen sich gleißendes Licht bei den rituellen Beschwörungen bricht.
Klangliche Wucht
Die Musik von Jörn Arnecke ist vielschichtig und subtil. Die moderne Tonsprache verletzt das Ohr nie, im Gegenteil: Die großen Chorszenen haben klangliche Wucht und geradezu vulkanische Kraft, die vom Chor des Bremer Theaters mit kulinarischer Opulenz umgesetzt wurden. Aber auch die Solopartien bewegen sich in kantablen Bahnen. Besonders die Partie der Maja hat Arnecke sehr dankbar ausgestaltet.
Mezzosopranistin Tamara Klivadenko begeisterte mit leuchtkräftiger Stimme und emotionaler Anteilnahme. Loren Lang, Nadine Lehner und Christian-Andreas Engelhardt gaben ihren (vergleichsweise kürzeren) Rollen punktgenaues Profil. Ergänzt wurde das Ensemble durch Chorsolisten in vielen kleinen Rollen.
Markus Poschner und die Bremer Philharmoniker setzten Arneckes Musik hervorragend um, gleich ob es die Stakkato-Klänge der bedrohlichen Eisberg-Geräusche, die hymnisch gesteigerten Chorsätze oder die feineren, kammermusikartigen Passagen waren. Insgesamt war es ein intensiver, nachdenklich stimmender Opernabend.
Dasein für Chor und Klang
Jörn Arneckes Musiktheaterstück "Kryos" am Theater Bremen uraufgeführt
Jörn Arneckes Musiktheaterstück "Kryos" am Theater Bremen uraufgeführt
Eine Gesellschaft, die auf den Pfeilern Stabilität und Harmonie ruht. Wer wollte eine solche politische Programmatik nicht spontan bejubeln. Jörn Arneckes Musiktheaterstück "Kryos", am Samstag am Theater Bremen uraufgeführt, weckt allerdings Skepsis gegenüber der Vision einer reibungsfreien sozialen Gemeinschaft.
Gläserne Vorhänge (Bühnenbild: Raimund Bauer) stecken in Philipp Himmelmanns Inszenierung den Raum für ein künstliches, keimfreies Szenario ab. Die Insel Kryos (griechisch: Kälte, Frost), einziges verbliebenes Stück Land nach der Klimakatastrophe im 22. Jahrhundert, beherbergt die letzten Vertreter der Gattung Mensch. Sie liegen in Reih und Glied am Boden, graue uniforme Thermo-Kluft (Kostüme: Katharina Kopp) schützt sie gegen Dauerkälte. Sie bewegen sich parallel, ihre Augen sind nach vorn gerichtet, kein Blickkontakt untereinander, keine Berührungen. Ihr seliges Dauerlachen resultiert aus dem Gleichmaß ihres Tuns und der Dienstbarkeit für die gemeinsame Sache. Gesellschaftliches Ziel und Bestimmung jedes Gemeindegliedes ist die Erzeugung eines komplexen Spektralklangs, ein Ritus auf dem Kryos fußt, ein Chor, auf den Dasein, Organisation und Fortpflanzung abgestimmt sind.
Eine Geschichte finden, die sich nur im Musiktheater erzählen lässt – mit "Kryos" ist Arnecke dieser Kunstgriff, zugleich ein Plädoyer für die Oper als Gattung von heute und als Medium für aktuelle Themen, gelungen. Wenn auch Hannah Dübgens Libretto allzu bekannte Fiktionen einer uniformen, allein dem Kalkül gehorchenden, Individualität und Sinne unterdrückenden Gesellschaft und einer finalen Klimakatastrophe bemüht. Wenn auch Sprache und dramatische Struktur schlicht ausfallen – als musikalisches und szenisches Ereignis besitzt Arneckes jüngstes Auftragswerk für die Opernbühne größte Energie und Eindringlichkeit.
Regisseur Himmelmann gelingt es, in der Reduktion der Form und durch präzise Personenführung einen visuellen Echoraum für das musikalische Geschehen zu schaffen. Partitur und stilisierte Performance der Akteure werden eng verklammert. Die Unwirklichkeit steigert Suggestivkraft und Sinnbildcharakter. Arneckes musikalische Sprache ist direkt, zugespitzt und reibungsvoll geschichtet. Sie setzt weniger auf herkömmliche melodische und rhythmische Strukturen, sondern lebt von bedrängendem Strom und spannungsvollen Ballungen. Im Spektralklang-Motiv der Geschichte klingt das kompositorische Verfahren an, das im rituellen Chorauftritt die Höhe- und Wendepunkte des dramatischen Verlaufs trägt. Intervalle im mikrotonalen Bereich lassen flirrende und explosive Klänge entstehen, Effekte und Ausdrucksgehalte von hoher Intensität, die nur im großorchestralen Miteinander zu verwirklichen sind.
Dirigent Markus Poschner, die Bremer Philharmoniker und der großartige Bremer Theater-Chor gestalten die Facetten der Partitur differenziert. Der Horror der antiseptischen Kryos-Gemeinde, die Ferne von Natur, untergründig grummelnde Gefahr, Identitätskrücke durch Spiegelung im Kristall-Fetisch – all das ist purer Klang und in der Wirkung gesteigert durch Gegenpole. Ein solcher ist "Der Fremde", bisweilen reichlich forciert gespielt von Uwe Kramer. Die Sprechrolle ist handlungsbegründet. Der Ankömmling ist nicht nur aus der Zeit gerutscht, sondern fällt auch aus der Harmonie und droht so das Fundament von Kryos zu erschüttern. Das Korsett des Zwangsstaates verlässt auch Maja, die sich in den Fremden verliebt und damit anachronistische Gefühle aktiviert. In Tamara Klivadenkos souveräner, berührender Interpretation gewinnen die ariosen Partien der Maja Glanz und Kryos-untypische Wärme. Die Duette mit Suna (wie gewohnt gesanglich und darstellerisch überzeugend Nadine Lehner) bilden Inseln von Diskurs und individuellem Empfinden in der Zwangsgemeinschaft, die Chefadministrator Nono (Loren Lang) repräsentiert.
Zum abrupten Schluss hin klumpen sich die Menschen von Kryos, unfähig zur Eigenbewegung, wenn die Harmonie zerfällt.
Rainer Beßling, Kreiszeitung Syke, 16. Mai 2011
Gläserne Vorhänge (Bühnenbild: Raimund Bauer) stecken in Philipp Himmelmanns Inszenierung den Raum für ein künstliches, keimfreies Szenario ab. Die Insel Kryos (griechisch: Kälte, Frost), einziges verbliebenes Stück Land nach der Klimakatastrophe im 22. Jahrhundert, beherbergt die letzten Vertreter der Gattung Mensch. Sie liegen in Reih und Glied am Boden, graue uniforme Thermo-Kluft (Kostüme: Katharina Kopp) schützt sie gegen Dauerkälte. Sie bewegen sich parallel, ihre Augen sind nach vorn gerichtet, kein Blickkontakt untereinander, keine Berührungen. Ihr seliges Dauerlachen resultiert aus dem Gleichmaß ihres Tuns und der Dienstbarkeit für die gemeinsame Sache. Gesellschaftliches Ziel und Bestimmung jedes Gemeindegliedes ist die Erzeugung eines komplexen Spektralklangs, ein Ritus auf dem Kryos fußt, ein Chor, auf den Dasein, Organisation und Fortpflanzung abgestimmt sind.
Eine Geschichte finden, die sich nur im Musiktheater erzählen lässt – mit "Kryos" ist Arnecke dieser Kunstgriff, zugleich ein Plädoyer für die Oper als Gattung von heute und als Medium für aktuelle Themen, gelungen. Wenn auch Hannah Dübgens Libretto allzu bekannte Fiktionen einer uniformen, allein dem Kalkül gehorchenden, Individualität und Sinne unterdrückenden Gesellschaft und einer finalen Klimakatastrophe bemüht. Wenn auch Sprache und dramatische Struktur schlicht ausfallen – als musikalisches und szenisches Ereignis besitzt Arneckes jüngstes Auftragswerk für die Opernbühne größte Energie und Eindringlichkeit.
Regisseur Himmelmann gelingt es, in der Reduktion der Form und durch präzise Personenführung einen visuellen Echoraum für das musikalische Geschehen zu schaffen. Partitur und stilisierte Performance der Akteure werden eng verklammert. Die Unwirklichkeit steigert Suggestivkraft und Sinnbildcharakter. Arneckes musikalische Sprache ist direkt, zugespitzt und reibungsvoll geschichtet. Sie setzt weniger auf herkömmliche melodische und rhythmische Strukturen, sondern lebt von bedrängendem Strom und spannungsvollen Ballungen. Im Spektralklang-Motiv der Geschichte klingt das kompositorische Verfahren an, das im rituellen Chorauftritt die Höhe- und Wendepunkte des dramatischen Verlaufs trägt. Intervalle im mikrotonalen Bereich lassen flirrende und explosive Klänge entstehen, Effekte und Ausdrucksgehalte von hoher Intensität, die nur im großorchestralen Miteinander zu verwirklichen sind.
Dirigent Markus Poschner, die Bremer Philharmoniker und der großartige Bremer Theater-Chor gestalten die Facetten der Partitur differenziert. Der Horror der antiseptischen Kryos-Gemeinde, die Ferne von Natur, untergründig grummelnde Gefahr, Identitätskrücke durch Spiegelung im Kristall-Fetisch – all das ist purer Klang und in der Wirkung gesteigert durch Gegenpole. Ein solcher ist "Der Fremde", bisweilen reichlich forciert gespielt von Uwe Kramer. Die Sprechrolle ist handlungsbegründet. Der Ankömmling ist nicht nur aus der Zeit gerutscht, sondern fällt auch aus der Harmonie und droht so das Fundament von Kryos zu erschüttern. Das Korsett des Zwangsstaates verlässt auch Maja, die sich in den Fremden verliebt und damit anachronistische Gefühle aktiviert. In Tamara Klivadenkos souveräner, berührender Interpretation gewinnen die ariosen Partien der Maja Glanz und Kryos-untypische Wärme. Die Duette mit Suna (wie gewohnt gesanglich und darstellerisch überzeugend Nadine Lehner) bilden Inseln von Diskurs und individuellem Empfinden in der Zwangsgemeinschaft, die Chefadministrator Nono (Loren Lang) repräsentiert.
Zum abrupten Schluss hin klumpen sich die Menschen von Kryos, unfähig zur Eigenbewegung, wenn die Harmonie zerfällt.
Rainer Beßling, Kreiszeitung Syke, 16. Mai 2011
Auf einer Insel von morgen
Kryos ist eine Insel, die es im 21. Jahrhundert noch nicht gibt. Sie ist durch die globale Klimakatastrophe, durch den Anstieg der Meeresspiegel infolge der schmelzenden Pole entstanden. Auf dieser Insel gibt es, im 23. Jahrhundert angekommen, keine Gerüche, keine Geschmäcker, nur noch eine einzige sinnliche Wahrnehmung: einen Kristall, in dem sich das weiße Licht bricht und in seine einzelnen Farben, die Spektralfarben, zerstreut wird. Die Bewohner der Insel Kryos sind von diesem Phänomen so fasziniert, dass sie nicht mehr sprechen, sondern nur noch singen. Das gebrochene Licht wird besungen, jeder Bewohner singt mit einem individuellen Ton eine der Farben an, die durch die Brechung entstehen. In diese künstliche, überästhetisierte Gesellschaft dringt ein Fremder ein, Er kommt aus einer anderen Zeit, aus der Vergangenheit, und trifft auf etwas, das ihm völlig fremd ist.
Das ist das Grundgerüst der Geschichte, aus der Jörn Arnecke und seine Librettistin Hannah Dübgen ihr neues Musiktheater für die Oper Bremen entwickelt haben. Es ist eine Geschichte über Menschen, die sich ihren eigenen Lebensraum zerstört haben und jetzt in einer Welt leben, die sie nicht mehr mit Leben, sondern nur noch mit stereotypem Gemeinschaftssinn erfüllt, der in seiner Substanz nahezu leer ist. Die Geschichte entwickelt ihre Stärken im Aufzeigen des unmöglichen Miteinanders der Welt des Fremden und der hermetischen Sphäre der Bewohner Kryos‘. Die Annäherung zwischen einer der Bewohnerinnen und dem Fremden, die Flucht als einzige Existenzmöglichkeit dieser Liebe fällt dagegen etwas in allzu oft erprobte Konventionen ab. Das Ende des Stücks beschreibt die Gefahr für Kryos, wenn – duurch eben diese Flucht – einer aus der Gesellschaft ausbricht. Die klangliche Sphäre der Bewohner steigert sich in fast unerträgliche Geräusche. Dieser Moment bleibt im Gedächtnis.
Die Geschichte spielt in einer weiten Zukunft. In dem Gesellschaftbild, was sie entwickelt, hat sie aber auch mit uns heute zu tun. Arneckes Musiksprache bewegt sich zwischen sphärischen, fein ausgearbeiteten Klangflächen und massiven Geräuschkulissen. Sie ist ist stark chromatisch gefärbt, hüllt die im Libretto vorgegebene Kälte jedoch in ebenso kühle Klänge. Der von der Masse zelebrierte Ritus des Spektralklangs ist, auch als musiktheatrales Gebilde, einer der Höhepunkte der Partitur.
Regisseur Philipp Himmelmann setzt auf klare, strukturierte Bilder. Raimund Bauer hat ihm dafür eine schlichte, aber atmosphärisch dichte Bühne gebaut: Wände aus vielen gläsernen Elementen, die in überwiegend kaltes Licht – von Christian Kemmetmüller gestaltet – gehüllt werden, ergeben eine kühle, künstliche und unpersönliche Atmosphäre. Dazu passen die Kostüme von Katherina Kopp. Alle bis auf den Fremden, im schwarzen Anzug, tragen graue, eng am Körper anliegende Anzüge, Gesicht und Haare sind von fahler grauer Farbe gezeichnet. Alle liegen zu Beginn zusammengekauert auf dem Boden, vollziehen synchronisierte Bewegungen, keiner ist hier individuell. Die Solisten erheben sich immer dann, wenn sie etwas zu tun haben, aus dieser Masse. Alle haben fast permanent ein gezwungenes Lächeln auf dem Gesicht. Zu tiefen, persönlichen und vor allem echten Empfindungen ist hier keiner mehr in der Lage. So schafft Himmelmann Räume und Bilder, die zwar manches im Libretto bezeichnete und sicher nicht unwichtige Detail außen vor lassen, dabei aber doch für Arneckes Partitur einen kongenialen Raum schaffen.
Die musikalische Umsetzung des Werks lässt die vom Haus im Vorfeld noch einmal expliziert betonte Erfahrung mit Uraufführungen am Bremer Haus durchaus erkennen. Markus Poschner hat die gut disponierten Bremer Philharmoniker souverän im Griff und auf die Klippen der Partitur sicher vorbereitet. Ebenfalls ist er dem Ensemble ein versierter Begleiter. So können allen voran Nadine Lehner und Tamara Klivadenko, aber auch Loren Lang und Christian-Andreas Engelhardt ihre starken vokalen Qualitäten ganz ausspielen. Der Fremde ist ein Schauspieler – er muss sich schließlich von der Gesellschaft, in die er geraten ist, abheben. Uwe Schwarz verkörpert die Figur eindringlich und mit großer Hingabe an den Text. Als eindringliches Kollektiv agiert der von Daniel Mayr präzise vorbereitete Chor.
Am Ende bleibt großer Respekt vor Jörn Arneckes neuer Schöpfung und ihrer Umsetzung zurück. Ob das Werk nachhaltige neue Impulse für das zeitgenössische Musiktheater setzen wird, bleibt als Frage offen. Das Bremer Publikum stellte offenbar noch mehr Fragen an das Stück. Sehr zurückhaltenden, verhaltenen Beifall gab es für Jörn Arnecke und Hannah Dübgen, wohlwollende, aber auch recht kurze Zustimmung für alle Musiker und das Regieteam um Philipp Himmelmann.
Christian Schütte, Opernnetz.de
Das ist das Grundgerüst der Geschichte, aus der Jörn Arnecke und seine Librettistin Hannah Dübgen ihr neues Musiktheater für die Oper Bremen entwickelt haben. Es ist eine Geschichte über Menschen, die sich ihren eigenen Lebensraum zerstört haben und jetzt in einer Welt leben, die sie nicht mehr mit Leben, sondern nur noch mit stereotypem Gemeinschaftssinn erfüllt, der in seiner Substanz nahezu leer ist. Die Geschichte entwickelt ihre Stärken im Aufzeigen des unmöglichen Miteinanders der Welt des Fremden und der hermetischen Sphäre der Bewohner Kryos‘. Die Annäherung zwischen einer der Bewohnerinnen und dem Fremden, die Flucht als einzige Existenzmöglichkeit dieser Liebe fällt dagegen etwas in allzu oft erprobte Konventionen ab. Das Ende des Stücks beschreibt die Gefahr für Kryos, wenn – duurch eben diese Flucht – einer aus der Gesellschaft ausbricht. Die klangliche Sphäre der Bewohner steigert sich in fast unerträgliche Geräusche. Dieser Moment bleibt im Gedächtnis.
Die Geschichte spielt in einer weiten Zukunft. In dem Gesellschaftbild, was sie entwickelt, hat sie aber auch mit uns heute zu tun. Arneckes Musiksprache bewegt sich zwischen sphärischen, fein ausgearbeiteten Klangflächen und massiven Geräuschkulissen. Sie ist ist stark chromatisch gefärbt, hüllt die im Libretto vorgegebene Kälte jedoch in ebenso kühle Klänge. Der von der Masse zelebrierte Ritus des Spektralklangs ist, auch als musiktheatrales Gebilde, einer der Höhepunkte der Partitur.
Regisseur Philipp Himmelmann setzt auf klare, strukturierte Bilder. Raimund Bauer hat ihm dafür eine schlichte, aber atmosphärisch dichte Bühne gebaut: Wände aus vielen gläsernen Elementen, die in überwiegend kaltes Licht – von Christian Kemmetmüller gestaltet – gehüllt werden, ergeben eine kühle, künstliche und unpersönliche Atmosphäre. Dazu passen die Kostüme von Katherina Kopp. Alle bis auf den Fremden, im schwarzen Anzug, tragen graue, eng am Körper anliegende Anzüge, Gesicht und Haare sind von fahler grauer Farbe gezeichnet. Alle liegen zu Beginn zusammengekauert auf dem Boden, vollziehen synchronisierte Bewegungen, keiner ist hier individuell. Die Solisten erheben sich immer dann, wenn sie etwas zu tun haben, aus dieser Masse. Alle haben fast permanent ein gezwungenes Lächeln auf dem Gesicht. Zu tiefen, persönlichen und vor allem echten Empfindungen ist hier keiner mehr in der Lage. So schafft Himmelmann Räume und Bilder, die zwar manches im Libretto bezeichnete und sicher nicht unwichtige Detail außen vor lassen, dabei aber doch für Arneckes Partitur einen kongenialen Raum schaffen.
Die musikalische Umsetzung des Werks lässt die vom Haus im Vorfeld noch einmal expliziert betonte Erfahrung mit Uraufführungen am Bremer Haus durchaus erkennen. Markus Poschner hat die gut disponierten Bremer Philharmoniker souverän im Griff und auf die Klippen der Partitur sicher vorbereitet. Ebenfalls ist er dem Ensemble ein versierter Begleiter. So können allen voran Nadine Lehner und Tamara Klivadenko, aber auch Loren Lang und Christian-Andreas Engelhardt ihre starken vokalen Qualitäten ganz ausspielen. Der Fremde ist ein Schauspieler – er muss sich schließlich von der Gesellschaft, in die er geraten ist, abheben. Uwe Schwarz verkörpert die Figur eindringlich und mit großer Hingabe an den Text. Als eindringliches Kollektiv agiert der von Daniel Mayr präzise vorbereitete Chor.
Am Ende bleibt großer Respekt vor Jörn Arneckes neuer Schöpfung und ihrer Umsetzung zurück. Ob das Werk nachhaltige neue Impulse für das zeitgenössische Musiktheater setzen wird, bleibt als Frage offen. Das Bremer Publikum stellte offenbar noch mehr Fragen an das Stück. Sehr zurückhaltenden, verhaltenen Beifall gab es für Jörn Arnecke und Hannah Dübgen, wohlwollende, aber auch recht kurze Zustimmung für alle Musiker und das Regieteam um Philipp Himmelmann.
Christian Schütte, Opernnetz.de