Kristallisationen (2007/08)
Uraufführung (UA): Hamburg, Laeiszhalle / Musikhalle, 7. Juni 2009;
Rupert Wachter (Klarinette), Christian Kunert (Fagott), Philharmoniker Hamburg, Leitung: GMD Simone Young
Auftrag des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg
Besetzung:
Cl solo - Fg solo
2 Fl (2. auch Picc) - 2 Ob - 2 Kl (2. auch Bkl) - 2 Fg (2. auch Kfg);
4 Hr - 2 Trp - 2 Pos;
Hrf; Pk - Sz (1 Sp);
Streicher
Dauer: ca. 18 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Rupert Wachter (Klarinette), Christian Kunert (Fagott), Philharmoniker Hamburg, Leitung: GMD Simone Young
Auftrag des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg
Besetzung:
Cl solo - Fg solo
2 Fl (2. auch Picc) - 2 Ob - 2 Kl (2. auch Bkl) - 2 Fg (2. auch Kfg);
4 Hr - 2 Trp - 2 Pos;
Hrf; Pk - Sz (1 Sp);
Streicher
Dauer: ca. 18 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Einführung
Orchester ist die Königsdisziplin im Konzert, der volle Farbtopf, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. So machte ich mich im Herbst 2007 voller Vorfreude an die Arbeit – und empfand es als Ehre, als Hamburger Komponist ein Auftragswerk für die Philharmoniker und Frau Young zu schreiben. Zwei Wünsche wurden an mich herangetragen: Das Stück sollte ein Doppelkonzert sein und zugleich den Aspekt von „Thema“ und „Variationen“ aufgreifen, der den roten Faden durch das Konzertprogramm am 7. und 8. Juni 2009 legt. Aber akademische Themen-Abspaltungen und verschnörkelte Melodielinien stehen dabei nicht im Blickpunkt: Variiert wird eine Klangfolge, die in verschiedenen Konstellationen unterschiedliche Verdichtungen erlebt.
Die beiden Solo-Instrumente durfte ich vorschlagen. Mich reizten Klarinette und Fagott wegen der dunklen Klangfarbe, und ich wollte mich gern ausführlich mit Bläsern beschäftigen, nachdem die Streicher die bestimmende Klangfarbe in meinem letzten Musiktheater „Unter Eis“ (einem Auftragswerk der RuhrTriennale in Kooperation mit der Oper Frankfurt) gebildet hatten. Mit den beiden Solisten Rupert Wachter und Christian Kunert konnte ich schon während des Arbeitsprozesses in Kontakt treten und besondere Möglichkeiten ihrer Instrumente ausloten.
(Jörn Arnecke, 2009)
Die beiden Solo-Instrumente durfte ich vorschlagen. Mich reizten Klarinette und Fagott wegen der dunklen Klangfarbe, und ich wollte mich gern ausführlich mit Bläsern beschäftigen, nachdem die Streicher die bestimmende Klangfarbe in meinem letzten Musiktheater „Unter Eis“ (einem Auftragswerk der RuhrTriennale in Kooperation mit der Oper Frankfurt) gebildet hatten. Mit den beiden Solisten Rupert Wachter und Christian Kunert konnte ich schon während des Arbeitsprozesses in Kontakt treten und besondere Möglichkeiten ihrer Instrumente ausloten.
(Jörn Arnecke, 2009)
Rezensionen
Vom Originalen zum Originellen
Vier Komponisten mit vier Variationen über Themen von sechs Komponisten? Klingt wie verzählt, geht aber, denn Reger verarbeitete als Zeichen der Bewunderung eine Anleihe von Mozart, Brahms eine von Haydn.
Theoretisch ergäbe diese Zusammenstellung eine Unmenge stilistischer Kombinationen, die Generalmusikdirektorin Simone Young im letzten Abo-Konzert dieser Spielzeit aufs Programm setzte. Praktisch bewies sie vor allem, dass die individuelle Handschrift auch dann klar durchklingt, wenn das Motiv gut gewählt ist und die jeweils gewählte Technik stimmt.
Der mit Abstand Jüngste der vier in der Laeiszhalle Gespielten, der Hamburger Komponist Jörn Arnecke, war derjenige, bei dem sich die Variationskunst vor allem im Klangfarben-Bereich abspielte. Seine "Kristallisationen" für Klarinette, Fagott und Orchester (nach zwei Kammeropern für die hiesige Bühne eine Auftragsarbeit der Philharmoniker) hinterfragten und erkundeten die Möglichkeiten, die sich auftun, wenn man Timbres und Reibungen aufeinandertreffen lässt, ohne dabei auf frontalen Konfrontationskurs mit den Hörerwartungen oder schlimmstenfalls -befürchtungen zu gehen.
Die beiden orchestereigenen Solisten Rupert Wachter und Christian Kunert waren an der Entstehung dieser weitgehend dezent gehaltenen Kolorationsstudie aktiv beteiligt gewesen, ihr Bühnen-Engagement stabilisierte das Interesse im gesamten Klangkörper, der Arneckes fein verästelte Abstufungen prägnant durchschimmern ließ. Selbst der Mittelteil, in dem Arnecke seinen Solisten etabliert unklassische Spieltechniken (Mehrtönigkeit, Klappen-Klappern) vorschrieb, blieb der Eindruck, hier geht es nicht um bloße Show-Effekte aus der gängigen Neutöner-Rappelkiste, sondern um notwendige Mittel, die Struktur und Spannung ergeben. Ein Stück, das Avantgarde-Konzepte nicht mit Aktionismus überfrachtet und das mit jedem Wiederhören an Reiz gewinnen dürfte.
Von Dvoraks "Sinfonischen Variationen" ließ sich das bei dieser Gelegenheit nicht so ganz behaupten, denn Young und ihrem Orchester ging, warum auch immer, eher stiefmütterlich und spröde damit um. Ungleich größer war die hörbare Sympathie für Regers "Mozart-Variationen", die zuckerwattig opulent aufgebauscht wurden, bevor das Konzert mit einer sicher gestandenen Version der Brahmsschen "Haydn-Variationen" endete. Wäre ja auch noch schöner, wenn ausgerechnet der Hausheilige Probleme größeren Ausmaßes bereiten würde.
jomi, Hamburger Abendblatt, 8. Juni 2009
Theoretisch ergäbe diese Zusammenstellung eine Unmenge stilistischer Kombinationen, die Generalmusikdirektorin Simone Young im letzten Abo-Konzert dieser Spielzeit aufs Programm setzte. Praktisch bewies sie vor allem, dass die individuelle Handschrift auch dann klar durchklingt, wenn das Motiv gut gewählt ist und die jeweils gewählte Technik stimmt.
Der mit Abstand Jüngste der vier in der Laeiszhalle Gespielten, der Hamburger Komponist Jörn Arnecke, war derjenige, bei dem sich die Variationskunst vor allem im Klangfarben-Bereich abspielte. Seine "Kristallisationen" für Klarinette, Fagott und Orchester (nach zwei Kammeropern für die hiesige Bühne eine Auftragsarbeit der Philharmoniker) hinterfragten und erkundeten die Möglichkeiten, die sich auftun, wenn man Timbres und Reibungen aufeinandertreffen lässt, ohne dabei auf frontalen Konfrontationskurs mit den Hörerwartungen oder schlimmstenfalls -befürchtungen zu gehen.
Die beiden orchestereigenen Solisten Rupert Wachter und Christian Kunert waren an der Entstehung dieser weitgehend dezent gehaltenen Kolorationsstudie aktiv beteiligt gewesen, ihr Bühnen-Engagement stabilisierte das Interesse im gesamten Klangkörper, der Arneckes fein verästelte Abstufungen prägnant durchschimmern ließ. Selbst der Mittelteil, in dem Arnecke seinen Solisten etabliert unklassische Spieltechniken (Mehrtönigkeit, Klappen-Klappern) vorschrieb, blieb der Eindruck, hier geht es nicht um bloße Show-Effekte aus der gängigen Neutöner-Rappelkiste, sondern um notwendige Mittel, die Struktur und Spannung ergeben. Ein Stück, das Avantgarde-Konzepte nicht mit Aktionismus überfrachtet und das mit jedem Wiederhören an Reiz gewinnen dürfte.
Von Dvoraks "Sinfonischen Variationen" ließ sich das bei dieser Gelegenheit nicht so ganz behaupten, denn Young und ihrem Orchester ging, warum auch immer, eher stiefmütterlich und spröde damit um. Ungleich größer war die hörbare Sympathie für Regers "Mozart-Variationen", die zuckerwattig opulent aufgebauscht wurden, bevor das Konzert mit einer sicher gestandenen Version der Brahmsschen "Haydn-Variationen" endete. Wäre ja auch noch schöner, wenn ausgerechnet der Hausheilige Probleme größeren Ausmaßes bereiten würde.
jomi, Hamburger Abendblatt, 8. Juni 2009
Nun fehlt dem Kristall nur noch der Schliff
Philharmoniker-Konzert: Vielversprechende Uraufführung von Jörn Arneckes "Kristallisationen" für Klarinette und Fagott
Philharmoniker-Konzert: Vielversprechende Uraufführung von Jörn Arneckes "Kristallisationen" für Klarinette und Fagott
"Variatio delectat", Abwechslung erfreut, fanden schon die alten Römer. Gegebenes in neues Licht zu rücken ist ein ästhetisches Grundbedürfnis. Vorbilder liefert die Natur tausendfältig. Besonders ausgeprägt ist das Prinzip des Gestaltwandels in der Musik. Im Barock galten Variationen über einem gleichbleibenden Bass-Gerüst, Chaconne oder Passacaglia, als Königsweg. Die simple Melodie-Variation konnte großen Meistern nicht genügen. Ihrem Drang, ein Thema so eingreifend zu verändern, dass nur ein Schatten übrig blieb, entsprang die Charakter-Variation. Virtuosen dieses Formzweigs sind Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Dvorák und Max Reger.
Womit wir beim Programm des zehnten und letzten Philharmonischen Konzerts der Saison wären, das Simone Young dem Genre "Orchester-Variation" vorbehielt. Zwischen Zyklen von Dvorák, Reger und Brahms hielt sie einen Ehrenplatz für einen Komponisten frei, dem sich Staatsoper und Philharmonie seit Jahren verbunden fühlen: Jörn Arnecke. Aus Hameln eingewandert, studierte er Komposition bei Peter Michael Hamel, bevor er mit den Kammeropern "Butterfly Blues" und "Das Fest im Meer" auf sich aufmerksam machte. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik und Theater arbeitet er im Rahmen eines Education-Projekts der Philharmoniker mit musikbegabten Schülern des Goethe-Gymnasiums.
An ihren Kompositionsauftrag knüpfte Simone Young zwei Bedingungen: Zum einen sollte das neue Stück der thematischen Idee des Konzerts entsprechen, zum anderen "Stimmführern" des Orchesters Gelegenheit geben, sich solistisch hervorzutun. Dieser Vorgabe kam Arnecke mit der Wahl zweier Holzbläser nach, die den Philharmonikern zur Zierde gereichen: Rupert Wachter, als Soloklarinettist häufig Gast der Reihe "das neue werk" des NDR, und Christian Kunert, als Fagott-Virtuose kürzlich zwiefacher Preisträger beim Musikwettbewerb der ARD. Mit diesem Glücksgriff sicherte sich der Komponist einen Trumpf: Sind Doppelkonzerte an sich schon ein rares Gut, so ist ein Konzert für Klarinette und Fagott nachgerade ein Unikat. Der enge Kontakt mit den Solisten während des Komponierens half ihm zudem, die spieltechnischen, klangfarblichen und artikulatorischen Möglichkeiten beider Instrumente auszureizen, ohne den Forderungskatalog zu überdehnen.
Was die Idee der Variation anbetrifft, so zog sich Arnecke angesichts der geballten Meisterschaft im Programm-Ambiente - Dvoráks "Sinfonische Variationen" über eine eigene Chormelodie, Brahms' "Haydn-Variationen" und Regers grandiose Variationen und Doppelfuge über das Thema aus Mozarts A-Dur-Klaviersonate - geschickt aus der Affäre. Moderne Späße wie "Variationen suchen ein Thema" variierend, errichtet er zu Beginn seiner "Kristallisationen" einen irisierenden Halbton-Cluster, der sich binnen 18 Minuten zur markigen Ganzton-Säule aufspreizt. Auf ihrem Weg dorthin zieht die Musik zähe Ton- und Geräuschfäden, bildet aber auch verwunschene Klanginseln aus und erzielt Raumwirkungen, die man gern ein zweites und drittes Mal hörte. Vielleicht ließe sich das orchestrale Gekröse da und dort noch ein wenig lichten - der edlen Sanftmut des Fagotts zuliebe. Dirigentin und Orchester förderten die Kristallbildung nach Kräften, um sich hernach an Reger und Brahms zu laben.
Lutz Lesle, Die Welt, 9. Juni 2009
Womit wir beim Programm des zehnten und letzten Philharmonischen Konzerts der Saison wären, das Simone Young dem Genre "Orchester-Variation" vorbehielt. Zwischen Zyklen von Dvorák, Reger und Brahms hielt sie einen Ehrenplatz für einen Komponisten frei, dem sich Staatsoper und Philharmonie seit Jahren verbunden fühlen: Jörn Arnecke. Aus Hameln eingewandert, studierte er Komposition bei Peter Michael Hamel, bevor er mit den Kammeropern "Butterfly Blues" und "Das Fest im Meer" auf sich aufmerksam machte. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik und Theater arbeitet er im Rahmen eines Education-Projekts der Philharmoniker mit musikbegabten Schülern des Goethe-Gymnasiums.
An ihren Kompositionsauftrag knüpfte Simone Young zwei Bedingungen: Zum einen sollte das neue Stück der thematischen Idee des Konzerts entsprechen, zum anderen "Stimmführern" des Orchesters Gelegenheit geben, sich solistisch hervorzutun. Dieser Vorgabe kam Arnecke mit der Wahl zweier Holzbläser nach, die den Philharmonikern zur Zierde gereichen: Rupert Wachter, als Soloklarinettist häufig Gast der Reihe "das neue werk" des NDR, und Christian Kunert, als Fagott-Virtuose kürzlich zwiefacher Preisträger beim Musikwettbewerb der ARD. Mit diesem Glücksgriff sicherte sich der Komponist einen Trumpf: Sind Doppelkonzerte an sich schon ein rares Gut, so ist ein Konzert für Klarinette und Fagott nachgerade ein Unikat. Der enge Kontakt mit den Solisten während des Komponierens half ihm zudem, die spieltechnischen, klangfarblichen und artikulatorischen Möglichkeiten beider Instrumente auszureizen, ohne den Forderungskatalog zu überdehnen.
Was die Idee der Variation anbetrifft, so zog sich Arnecke angesichts der geballten Meisterschaft im Programm-Ambiente - Dvoráks "Sinfonische Variationen" über eine eigene Chormelodie, Brahms' "Haydn-Variationen" und Regers grandiose Variationen und Doppelfuge über das Thema aus Mozarts A-Dur-Klaviersonate - geschickt aus der Affäre. Moderne Späße wie "Variationen suchen ein Thema" variierend, errichtet er zu Beginn seiner "Kristallisationen" einen irisierenden Halbton-Cluster, der sich binnen 18 Minuten zur markigen Ganzton-Säule aufspreizt. Auf ihrem Weg dorthin zieht die Musik zähe Ton- und Geräuschfäden, bildet aber auch verwunschene Klanginseln aus und erzielt Raumwirkungen, die man gern ein zweites und drittes Mal hörte. Vielleicht ließe sich das orchestrale Gekröse da und dort noch ein wenig lichten - der edlen Sanftmut des Fagotts zuliebe. Dirigentin und Orchester förderten die Kristallbildung nach Kräften, um sich hernach an Reger und Brahms zu laben.
Lutz Lesle, Die Welt, 9. Juni 2009