Unter Eis (2006/07)
Uraufführung (UA): Bochum, Jahrhunderthalle, 28. September 2007
Auftragswerk der RuhrTriennale in Kooperation mit der Oper Frankfurt
Musiktheater in 13 Szenen nach dem Libretto von Falk Richter
Markus Brück (Paul Niemand), André Szymanski (Karl Sonnenschein), Thomas Wodianka (Aurelius Glasenapp)
Knabensopran der Chorakademie Dortmund, Chorsolisten des Philharmonia Chors Wien
Ensemble Resonanz
Regie: Falk Richter
Musikalische Leitung: Johannes Debus
Bühne: Alex Harb
Kostüme: Tina Kloempken
Licht: Carsten Sander
Video: Meika Dresenkamp
Dramaturgie: Thomas Fiedler
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Die Textrechte für Falk Richter liegen beim S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.
Besetzung Solisten:
Paul Niemand - Bariton; Karl Sonnenschein, Aurelius Glasenapp - Schauspieler; Kind - Knabensopran
5 weitere Berater - 2 Tenöre, Bariton, 2 Bässe
Besetzung Orchester:
4 Hr
4 Sz
6 Vl I - 5 Vl II - 4 Va - 3 Vc - 2 Kb
Auftragswerk der RuhrTriennale in Kooperation mit der Oper Frankfurt
Musiktheater in 13 Szenen nach dem Libretto von Falk Richter
Markus Brück (Paul Niemand), André Szymanski (Karl Sonnenschein), Thomas Wodianka (Aurelius Glasenapp)
Knabensopran der Chorakademie Dortmund, Chorsolisten des Philharmonia Chors Wien
Ensemble Resonanz
Regie: Falk Richter
Musikalische Leitung: Johannes Debus
Bühne: Alex Harb
Kostüme: Tina Kloempken
Licht: Carsten Sander
Video: Meika Dresenkamp
Dramaturgie: Thomas Fiedler
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Die Textrechte für Falk Richter liegen beim S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.
Besetzung Solisten:
Paul Niemand - Bariton; Karl Sonnenschein, Aurelius Glasenapp - Schauspieler; Kind - Knabensopran
5 weitere Berater - 2 Tenöre, Bariton, 2 Bässe
Besetzung Orchester:
4 Hr
4 Sz
6 Vl I - 5 Vl II - 4 Va - 3 Vc - 2 Kb
Einführung
»Paul Niemand, zu alt für einen Neuanfang, zu jung, um sich schon aufzugeben, in ein paar Jahren ist alles vorbei.«
(Unter Eis, 1. Szene)
Paul Niemand und seine Kollegen sind Berater. Sie reden die spezifische Sprache der Berater, sie entlassen Menschen, sie versprechen Lösungen für jedes Problem und garantieren einen reibungslosen Ablauf. Das nach äußerster wirtschaftlicher Effizienz strebende System der Consulting-Firmen will alle Lebensbereiche optimieren, doch auch die Berater selbst sind diesem Leistungsanspruch ausgeliefert. Paul Niemand ist ein Mann, der anfängt, seine Kraft zu verlieren. Sein drohender Abstieg führt ihn in eine alptraumhafte Konfrontation mit seinen jüngeren Kollegen und mit der Bedeutungslosigkeit seiner bisherigen Existenz.
Das Theaterstück "Unter Eis" von Falk Richter wurde im Frühjahr 2004 als letzter Teil des Großprojektes "Das System" an der Berliner Schaubühne uraufgeführt. Es ist die erschreckende Analyse einer Sprache und Ideologie, die die gesamte Existenz erfasst. Es fragt nach den Auswirkungen eines technokratischen Denkens, nach dem Menschbild der Berater und wie ihre Weltanschauung auf den Einzelnen zurückschlägt.
Für die RuhrTriennale hat Falk Richter sein Stück zu einem Libretto umgearbeitet, das der junge und bereits mehrfach preisgekrönte Komponist Jörn Arnecke vertont. Die im Theaterstück formulierten Zustände wirtschaftspolitischer Machtstrukturen erfahren im Musiktheater "Unter Eis" eine Zuspitzung. In einer großen musikalischen Installation hört Paul Niemand seine Umgebung, er hört, wie die Worte der anderen zu Eis gefrieren, wie sein eigenes Blut gefriert und wie sie alle unter einer Eisdecke verschwinden. Und doch ringt er um eine eigene Sprache und sucht nach einem kritischen Standpunkt in diesem System, das mit seiner unüberschaubar wuchernden Struktur aus Zahlen, Rechnungen und Wirtschaftsrhetorik unsere Welt überflutet.
(Unter Eis, 1. Szene)
Paul Niemand und seine Kollegen sind Berater. Sie reden die spezifische Sprache der Berater, sie entlassen Menschen, sie versprechen Lösungen für jedes Problem und garantieren einen reibungslosen Ablauf. Das nach äußerster wirtschaftlicher Effizienz strebende System der Consulting-Firmen will alle Lebensbereiche optimieren, doch auch die Berater selbst sind diesem Leistungsanspruch ausgeliefert. Paul Niemand ist ein Mann, der anfängt, seine Kraft zu verlieren. Sein drohender Abstieg führt ihn in eine alptraumhafte Konfrontation mit seinen jüngeren Kollegen und mit der Bedeutungslosigkeit seiner bisherigen Existenz.
Das Theaterstück "Unter Eis" von Falk Richter wurde im Frühjahr 2004 als letzter Teil des Großprojektes "Das System" an der Berliner Schaubühne uraufgeführt. Es ist die erschreckende Analyse einer Sprache und Ideologie, die die gesamte Existenz erfasst. Es fragt nach den Auswirkungen eines technokratischen Denkens, nach dem Menschbild der Berater und wie ihre Weltanschauung auf den Einzelnen zurückschlägt.
Für die RuhrTriennale hat Falk Richter sein Stück zu einem Libretto umgearbeitet, das der junge und bereits mehrfach preisgekrönte Komponist Jörn Arnecke vertont. Die im Theaterstück formulierten Zustände wirtschaftspolitischer Machtstrukturen erfahren im Musiktheater "Unter Eis" eine Zuspitzung. In einer großen musikalischen Installation hört Paul Niemand seine Umgebung, er hört, wie die Worte der anderen zu Eis gefrieren, wie sein eigenes Blut gefriert und wie sie alle unter einer Eisdecke verschwinden. Und doch ringt er um eine eigene Sprache und sucht nach einem kritischen Standpunkt in diesem System, das mit seiner unüberschaubar wuchernden Struktur aus Zahlen, Rechnungen und Wirtschaftsrhetorik unsere Welt überflutet.
Es geht immer darum, einen Schritt weiterzugehen: Karl Sonnenschein (André Szymanski, links) und Aurelius Glasenapp (Thomas Wodianka) beraten.
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Das Leben, das vor mir liegt, wurde schon tausendmal gelebt: Das Kind (hier: Alexander Niessen) tröstet Paul Niemand (Markus Brück).
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Machen Sie den Kunden zum Helden seiner ganz persönlichen Erfolgsstory: Die Berater — groß: Karl Sonnenschein (André Szymanski) — haben sich in einem Zelt eingerichtet
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Bei der nächsten Geschäftsreise stürze ich mich aus dem Fenster aus zehntausend Meter Höhe: Paul Niemand (Markus Brück, rechts) steht auf der Kippe
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Hier bin ich / Und hier löst sich vor meinen Augen die Welt auf: Dem Chor (...) und Paul Niemand (Markus Brück, hinten und auf der Projektion) steht das Wasser bis zum Knöchel.
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Eine Gruppe Seelöwen in der Antarktis: Karl Sonnenschein (André Szymanski, hinten links) und Aurelius Glasenapp (Thomas Wodianka) entwerfen ein Musical.
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Alle Fotos: Arno Declair / RuhrTriennale
Für weitere Auskünfte wenden Sie sich bitte an die Edition Gravis - oder an Jörn Arnecke. Kontakt
Rezensionen
Stürmischer Applaus
Effizienz als Albtraum
Effizienz als Albtraum
In Jörn Arneckes "Unter Eis" heulen Unternehmensberater wie gefährliche Wölfe. Der alternde Angestellte Paul Niemand fühlt sich mit seinen Ängsten hilflos wie in einem zufrierenden Kanal.
Mit der Uraufführung am Freitagabend bei der Ruhrtriennale in Bochum gehen Arnecke (Musik) und Falk Richter, der das Libretto auf der Grundlage seines gleichnamigen Buches schrieb, thematisch neue Wege für das Musiktheater: Mitten im von Arbeitslosigkeit betroffenen Ruhrgebiet geht es um die hohlen Phrasen der Effizienz-Berater, Personalabbau und die Albträume der Betroffenen. Das Ganze in der Jahrhunderthalle, einer riesigen ausrangierten Industrieanlage, zu Arneckes avantgardistischer Musik: Das Publikum reagierte mit minutenlangem begeisterten Beifall.
In 13 Bildern zeigt das zweistündige Stück die langsame Zersetzung des Beraters Niemand (Markus Brück, Bariton), dessen Abschlüsse immer schlechter und dessen Monologe immer verzweifelter werden - bis hin zum Delirium, in dem er sich aus dem 20. Stock seines Bürohochhauses fliegen und unterwegs zu Eis erstarren sieht.
Seine Gegenspieler sind der aggressiv dynamische Karl Sonnenschein (André Szymanski) und sein Kollege Aurelius Glasenapp (Thomas Wodianka). Sie beten das Consulting-Mantra der Marktwirtschaft, das den Besuchern schon vor Beginn des Stücks aus Lautsprechern entgegenschallt: "Risiko akzeptieren, Möglichkeiten schaffen, Chancen des Marktes zu Kapital machen".
Richter, der auch Regie führt, und Alex Harb (Bühne) haben für das Stück ein riesiges Zelt und ein etwa 20 Meter langes Wasserbassin in der Halle aufbauen lassen. Im grellweißen Zelt sitzen Sonnenschein, Glasenapp und fünf weitere streng gescheitelte Berater in weißen Anzügen mit Laptops und Rollkoffern auf der Bühne.
Nur Paul Niemand trägt schwarz. Zum Ende rollt die Bühne von den Zuschauern weg über die Wasserfläche. Beim Finale watet Niemand im Wasser - wie in seinen Angstvorstellungen von einer im Eiskanal festgefrorenen Katze. Das Stück balanciert an der Grenze zwischen Musik und Theater. Nur die Hauptfigur ist mit einem Sänger besetzt, der zwischen Text, Sprechgesang und Bariton hin- und herwechselt. Die fünf Berater begleiten ihn mit langen Akkorden als Chor, als Niemand sich sehnsüchtig an seine Kindheit erinnert.
Für die moderne Welt stehen die mit Schauspielern besetzten Rollen Sonnenschein und Glasenapp: Kein Gesang, dafür fast hysterische Aufzählungen des Consulting-Credos, allenfalls begleitet vom rhythmischen Klopfen der Bleistifte auf dem Tisch. Das auf Streicher, Hörner und Schlaginstrumente beschränkte Orchester hat Arnecke auf vier Inseln rund um das Zuschauerzelt angeordnet. Dadurch entfällt der Orchestergraben, die Einsätze des vor der Bühne dirigierenden Johannes Debus werden den Musikern per Video zugespielt. Der Klang kommt für die Zuschauer aus allen Richtungen. Die Musiker sind sogar in das Stück einbezogen: Als in einer Szene Berater wegen schwacher Leistung aussortiert und gefeuert werden, stehen auch die Streicher und Bläser einer nach dem anderen auf und verlassen an der Bühne vorbei den Raum.
Einen versöhnlichen Schluss wollen Arnecke und Richter den Zuschauern nicht bieten: In der letzten Szene sieht auch Niemands kindliches Alter Ego (Carlo Wilfart, Knabensopran) für seine Zukunft nur Einsamkeit mit dem "leise atmenden Computer" als einzigem Freund. Trotzdem verlässt das Publikum hochzufrieden den Saal - vorbei an der täuschend echten Kunstharz-Nachbildung einer "im Eis erfrorenen" Katze.
dpa/lnw, 29. September 2007
Mit der Uraufführung am Freitagabend bei der Ruhrtriennale in Bochum gehen Arnecke (Musik) und Falk Richter, der das Libretto auf der Grundlage seines gleichnamigen Buches schrieb, thematisch neue Wege für das Musiktheater: Mitten im von Arbeitslosigkeit betroffenen Ruhrgebiet geht es um die hohlen Phrasen der Effizienz-Berater, Personalabbau und die Albträume der Betroffenen. Das Ganze in der Jahrhunderthalle, einer riesigen ausrangierten Industrieanlage, zu Arneckes avantgardistischer Musik: Das Publikum reagierte mit minutenlangem begeisterten Beifall.
In 13 Bildern zeigt das zweistündige Stück die langsame Zersetzung des Beraters Niemand (Markus Brück, Bariton), dessen Abschlüsse immer schlechter und dessen Monologe immer verzweifelter werden - bis hin zum Delirium, in dem er sich aus dem 20. Stock seines Bürohochhauses fliegen und unterwegs zu Eis erstarren sieht.
Seine Gegenspieler sind der aggressiv dynamische Karl Sonnenschein (André Szymanski) und sein Kollege Aurelius Glasenapp (Thomas Wodianka). Sie beten das Consulting-Mantra der Marktwirtschaft, das den Besuchern schon vor Beginn des Stücks aus Lautsprechern entgegenschallt: "Risiko akzeptieren, Möglichkeiten schaffen, Chancen des Marktes zu Kapital machen".
Richter, der auch Regie führt, und Alex Harb (Bühne) haben für das Stück ein riesiges Zelt und ein etwa 20 Meter langes Wasserbassin in der Halle aufbauen lassen. Im grellweißen Zelt sitzen Sonnenschein, Glasenapp und fünf weitere streng gescheitelte Berater in weißen Anzügen mit Laptops und Rollkoffern auf der Bühne.
Nur Paul Niemand trägt schwarz. Zum Ende rollt die Bühne von den Zuschauern weg über die Wasserfläche. Beim Finale watet Niemand im Wasser - wie in seinen Angstvorstellungen von einer im Eiskanal festgefrorenen Katze. Das Stück balanciert an der Grenze zwischen Musik und Theater. Nur die Hauptfigur ist mit einem Sänger besetzt, der zwischen Text, Sprechgesang und Bariton hin- und herwechselt. Die fünf Berater begleiten ihn mit langen Akkorden als Chor, als Niemand sich sehnsüchtig an seine Kindheit erinnert.
Für die moderne Welt stehen die mit Schauspielern besetzten Rollen Sonnenschein und Glasenapp: Kein Gesang, dafür fast hysterische Aufzählungen des Consulting-Credos, allenfalls begleitet vom rhythmischen Klopfen der Bleistifte auf dem Tisch. Das auf Streicher, Hörner und Schlaginstrumente beschränkte Orchester hat Arnecke auf vier Inseln rund um das Zuschauerzelt angeordnet. Dadurch entfällt der Orchestergraben, die Einsätze des vor der Bühne dirigierenden Johannes Debus werden den Musikern per Video zugespielt. Der Klang kommt für die Zuschauer aus allen Richtungen. Die Musiker sind sogar in das Stück einbezogen: Als in einer Szene Berater wegen schwacher Leistung aussortiert und gefeuert werden, stehen auch die Streicher und Bläser einer nach dem anderen auf und verlassen an der Bühne vorbei den Raum.
Einen versöhnlichen Schluss wollen Arnecke und Richter den Zuschauern nicht bieten: In der letzten Szene sieht auch Niemands kindliches Alter Ego (Carlo Wilfart, Knabensopran) für seine Zukunft nur Einsamkeit mit dem "leise atmenden Computer" als einzigem Freund. Trotzdem verlässt das Publikum hochzufrieden den Saal - vorbei an der täuschend echten Kunstharz-Nachbildung einer "im Eis erfrorenen" Katze.
dpa/lnw, 29. September 2007
Eiskalte Engel
Der Welt erste "Consulting-Oper": Jörn Arneckes Musiktheater "Unter Eis" wird auf der RuhrTriennale gefeiert
Der Welt erste "Consulting-Oper": Jörn Arneckes Musiktheater "Unter Eis" wird auf der RuhrTriennale gefeiert
Risiko akzeptieren. Möglichkeiten schaffen. Verschieben Sie ständig ihre Grenzen. Sie müssen das, was Sie kaputt macht, als Partner begreifen." Diese und andere Hohlheiten im Consulter-Slang beschallen den Vorplatz. Im Foyer hat eine Armada attraktiver Hostessen Aufstellung genommen, um die Gäste in Empfang zu nehmen. "Kann ich Ihnen helfen?", fragen sie mit honigsüßem Unterton und setzen dabei ihr strahlendstes Zahnpastalächeln auf. Sie tragen ein Button an der Bluse - "Beratung ist Heilung", steht da drauf. Was während der nächsten rund zweieinhalb Stunden in der imposanten Bochumer Jahrhunderthalle, einem ehemaligen Gaskraftwerk, passiert, ist allerdings eher die Antithese zu diesem markigen Slogan. Der 1973 in Hameln geborene und mittlerweile in Hamburg lebende Komponist Jörn Arnecke hat sich einen brisanten (Zünd-)Stoff für sein jüngstes Musiktheater ausgesucht: "Unter Eis" spielt in der knallharten Welt der Consulting-Firmen. Es schildert den stetigen Abstieg und das emotionale Erkalten des Unternehmensberaters Paul Niemand (in jeder Hinsicht intensiv: der Bariton Markus Brück), der, so heißt es im Libretto, "im Angriffsmodus nicht mehr so richtig bissig ist".
Und wer in dieser ausschließlich dem eiskalten Effizienzdenken verpflichteten Branche nicht kräftig zubeißen kann, wird, wie es ebenfalls im Libretto heißt, kurzerhand "rejected" - also gefeuert. "Unter Eis" basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück des Autors und Theatermachers Falk Richter. Es ist Bestandteil seines 2004 an der Berliner Schaubühne uraufgeführten Zyklus' "Das System", einer kritischen Analyse der Auswüchse westlicher Leistungsgesellschaften. In ihrer musiktheatralischen Neufassung gewinnt diese Analyse an zusätzlicher Schärfe und Eindringlichkeit. Erst recht, weil Jörn Arnecke das Publikum geradezu ins Geschehen hineinzieht, es förmlich mit Musik umspült.
Die knapp 30 inspiriert und präzise aufspielenden Musiker vom Ensemble Resonanz (souveränes Ferndirigat via Videokamera: Johannes Debus) verteilt der Komponist in kleinen Gruppen rund um den Zuschauerraum, einem riesigen, blick- und schalldurchlässigen Gazezelt. Aus den unterschiedlichsten Richtungen werden den Zuhörern Klänge von fast schmerzhafter Intensität zugetragen, Klänge, die reich sind an Farben, an Texturen, an insistierenden Rhythmen, an perkussiver Härte und manchmal ganz überraschend auch an Süße, an Zärtlichkeit.
Ein ähnlich umfangreiches Ausdrucksspektrum verlangt Arnecke der menschliche Stimme ab. Unterschiedlichste Formen des Sprechens (frei oder ausnotiert) gehen nahtlos in mal klassischklangschönes, mal bewusst kunstloses Singen über, das Singen wiederum steigert sich bisweilen zum (kontrollierten) Schrei oder zu anderen, ähnlich existenziellen Lautäußerungen. Der Bühnenbildner Alex Harb hat das Gazezelt schlicht, aber eindrucksvoll möbliert. Das in engelsweiße Anzüge gewandete Beraterteam (Kostüme: Tina Kloempken) konferiert an einer erhöht stehenden, hufeisenförmigen Tischlandschaft, die ebenso einen Gerichtssaal zieren könnte. Die Szenerie hat in ihrer Helle und Sauberkeit geradezu etwas von einem himmlischen Tribunal. Doch der (Heiligen-)Schein trügt: Paul Niemand wird an diesem Tisch penibel begutachtet, für leistungsunfähig befunden und schließlich aussortiert. In Gewissheit seines Karriereendes fällt er dem Wahn anheim.
Niemands Bruch mit der Wirklichkeit wird zur beklemmendsten Szene des Abends: Die Gerichtstribüne koppelt sich wie ein Floß vom Rest des Zuschauerzelts ab und gleitet wie von unsichtbaren Mächten gesteuert durch das riesige Wasserbassin im Zentrum der Jahrhunderthalle. Die Akteure verlieren sich in tunnelartiger Ferne, irren dann rat- und rastlos umher im knöcheltiefen Wasser, inmitten dieser morbidmonumentalen Seelenlandschaft aus Stahl und Beton - ein verstörendes, ein schier überwältigendes Bild.
Derartig dringlichem, und vom ersten bis zum letzten Takt grandios zum Klingen gebrachtem Musiktheater mag sich niemand entziehen: frenetische Ovationen für alle Beteiligten.
Die nächste Aufführungen am 3., 5. und 6. Oktober. Karten unter Telefon 0700 / 20 02 34 56
Daniel Behrendt, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 1. Oktober 2007
Und wer in dieser ausschließlich dem eiskalten Effizienzdenken verpflichteten Branche nicht kräftig zubeißen kann, wird, wie es ebenfalls im Libretto heißt, kurzerhand "rejected" - also gefeuert. "Unter Eis" basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück des Autors und Theatermachers Falk Richter. Es ist Bestandteil seines 2004 an der Berliner Schaubühne uraufgeführten Zyklus' "Das System", einer kritischen Analyse der Auswüchse westlicher Leistungsgesellschaften. In ihrer musiktheatralischen Neufassung gewinnt diese Analyse an zusätzlicher Schärfe und Eindringlichkeit. Erst recht, weil Jörn Arnecke das Publikum geradezu ins Geschehen hineinzieht, es förmlich mit Musik umspült.
Die knapp 30 inspiriert und präzise aufspielenden Musiker vom Ensemble Resonanz (souveränes Ferndirigat via Videokamera: Johannes Debus) verteilt der Komponist in kleinen Gruppen rund um den Zuschauerraum, einem riesigen, blick- und schalldurchlässigen Gazezelt. Aus den unterschiedlichsten Richtungen werden den Zuhörern Klänge von fast schmerzhafter Intensität zugetragen, Klänge, die reich sind an Farben, an Texturen, an insistierenden Rhythmen, an perkussiver Härte und manchmal ganz überraschend auch an Süße, an Zärtlichkeit.
Ein ähnlich umfangreiches Ausdrucksspektrum verlangt Arnecke der menschliche Stimme ab. Unterschiedlichste Formen des Sprechens (frei oder ausnotiert) gehen nahtlos in mal klassischklangschönes, mal bewusst kunstloses Singen über, das Singen wiederum steigert sich bisweilen zum (kontrollierten) Schrei oder zu anderen, ähnlich existenziellen Lautäußerungen. Der Bühnenbildner Alex Harb hat das Gazezelt schlicht, aber eindrucksvoll möbliert. Das in engelsweiße Anzüge gewandete Beraterteam (Kostüme: Tina Kloempken) konferiert an einer erhöht stehenden, hufeisenförmigen Tischlandschaft, die ebenso einen Gerichtssaal zieren könnte. Die Szenerie hat in ihrer Helle und Sauberkeit geradezu etwas von einem himmlischen Tribunal. Doch der (Heiligen-)Schein trügt: Paul Niemand wird an diesem Tisch penibel begutachtet, für leistungsunfähig befunden und schließlich aussortiert. In Gewissheit seines Karriereendes fällt er dem Wahn anheim.
Niemands Bruch mit der Wirklichkeit wird zur beklemmendsten Szene des Abends: Die Gerichtstribüne koppelt sich wie ein Floß vom Rest des Zuschauerzelts ab und gleitet wie von unsichtbaren Mächten gesteuert durch das riesige Wasserbassin im Zentrum der Jahrhunderthalle. Die Akteure verlieren sich in tunnelartiger Ferne, irren dann rat- und rastlos umher im knöcheltiefen Wasser, inmitten dieser morbidmonumentalen Seelenlandschaft aus Stahl und Beton - ein verstörendes, ein schier überwältigendes Bild.
Derartig dringlichem, und vom ersten bis zum letzten Takt grandios zum Klingen gebrachtem Musiktheater mag sich niemand entziehen: frenetische Ovationen für alle Beteiligten.
Die nächste Aufführungen am 3., 5. und 6. Oktober. Karten unter Telefon 0700 / 20 02 34 56
Daniel Behrendt, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 1. Oktober 2007
Oper über das Scheitern macht die Bühne zum Star
RuhrTriennale: Uraufführung "Unter Eis"
RuhrTriennale: Uraufführung "Unter Eis"
Das Bild von einer Katze, die aus dem Fenster geworfen wurde und in einem zufrierenden Kanal starb, hat sich bei Paul Niemand eingebrannt. Seitdem ist der Unternehmensberater zum Scheitern verurteilt. Dieses Scheitern zeigt Komponist Jörn Arnecke mit Librettist und Regisseur Falk Richter in der Oper "Unter Eis", die Freitag bei der RuhrTriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle uraufgeführt wurde - als Gesamtkunstwerk, dessen Star das spektakuläre Bühnenbild ist.
Dass das Publikum Teil eines Events ist, machen Stewardessen deutlich: Sie schleusen die Zuschauer vorbei an Licht-Eiswürfeln - auf einem liegt die eingefrorene Katze - in die Halle. Hinter einem rund 30 mal 20 Meter großen Wasserbecken hat Richter eine Halle in der Halle aus Gaze-Vorhängen gebaut, in der das Publikum sitzt. Dirigent Johannes Debus steht in der Mitte, die Musiker (vom vorzüglichen Ensemble Resonanz) sind in Kammermusik-Ensembles um Zelt und Wasserbecken herum platziert. Für das Publikum entsteht dadurch der Eindruck, mitten im Orchester zu sitzen. Das ist spannender als das Bühnengeschehen im 1. Akt. Etwas statisch kommt diese Oper daher, mehr als Musiktheater ist dies ein Psychogramm aus Filmsequenzen, die auf den Vorhang projiziert werden, aus Erinnerungen von Paul Niemand, den Bariton Markus Brück mit starker Bühnenpräsenz singt, und Motivations-Lehrstunden des jüngeren und optimistischeren Unternehmensberaters Karl Sonnenschein (André Szymanski).
Eisig ist die Arbeitsatmosphäre rund um den sterilen weißen Schreibtisch. Arnecke hat dazu eine flächige Musik geschrieben, die oft verfremdet klingt. Spannend wurde diese Oper im 2. Akt, als der hintere Vorhang der Gaze-Halle hoch und der Schreibtisch über das Wasserbecken zurück fuhr. Karl Sonnenschein baumelt an einem Seil unter der Hallendecke und motiviert die Mannschaft, ein Kind singt mit schönem Knabensopran als kleiner geschniegelter Erwachsener von seinem Business-Leben und Paul Niemand watet wie im Delirium einsam durch das Wasser. Bilder, die sich einprägen, hat die Oper am Schluss. - Auch wenn sie mehr Film- als Opernelemente hat.
Termine: 3., 5. und 6.10., jeweils 20 Uhr, Jahrhunderthalle Bochum. Karten: 0700 / 20 02 34 56. - www.ruhrtriennale.de
Julia Gaß, Ruhr Nachrichten, 1. Oktober 2007
Dass das Publikum Teil eines Events ist, machen Stewardessen deutlich: Sie schleusen die Zuschauer vorbei an Licht-Eiswürfeln - auf einem liegt die eingefrorene Katze - in die Halle. Hinter einem rund 30 mal 20 Meter großen Wasserbecken hat Richter eine Halle in der Halle aus Gaze-Vorhängen gebaut, in der das Publikum sitzt. Dirigent Johannes Debus steht in der Mitte, die Musiker (vom vorzüglichen Ensemble Resonanz) sind in Kammermusik-Ensembles um Zelt und Wasserbecken herum platziert. Für das Publikum entsteht dadurch der Eindruck, mitten im Orchester zu sitzen. Das ist spannender als das Bühnengeschehen im 1. Akt. Etwas statisch kommt diese Oper daher, mehr als Musiktheater ist dies ein Psychogramm aus Filmsequenzen, die auf den Vorhang projiziert werden, aus Erinnerungen von Paul Niemand, den Bariton Markus Brück mit starker Bühnenpräsenz singt, und Motivations-Lehrstunden des jüngeren und optimistischeren Unternehmensberaters Karl Sonnenschein (André Szymanski).
Eisig ist die Arbeitsatmosphäre rund um den sterilen weißen Schreibtisch. Arnecke hat dazu eine flächige Musik geschrieben, die oft verfremdet klingt. Spannend wurde diese Oper im 2. Akt, als der hintere Vorhang der Gaze-Halle hoch und der Schreibtisch über das Wasserbecken zurück fuhr. Karl Sonnenschein baumelt an einem Seil unter der Hallendecke und motiviert die Mannschaft, ein Kind singt mit schönem Knabensopran als kleiner geschniegelter Erwachsener von seinem Business-Leben und Paul Niemand watet wie im Delirium einsam durch das Wasser. Bilder, die sich einprägen, hat die Oper am Schluss. - Auch wenn sie mehr Film- als Opernelemente hat.
Termine: 3., 5. und 6.10., jeweils 20 Uhr, Jahrhunderthalle Bochum. Karten: 0700 / 20 02 34 56. - www.ruhrtriennale.de
Julia Gaß, Ruhr Nachrichten, 1. Oktober 2007
Powerpoint-Passion vom Hamburg-Consulting
Die Belehrung beginnt schon im Foyer. Straff frisierte Messehostessen huschen durchs Bochumer Premierenpublikum und geben Handzeichen, an ihren Bleistiftröckchen baumeln Schildchen mit dem Slogan "Beratung ist Heilung". Neben dem Weg zur Bühne in der für das Abenteuer Kultur entdeckten Industrie-Ruine Jahrhunderthalle hängen Musiker in ihren Stühlen. Outsourcing-Opfer, die es schon vor der Ouvertüre erwischt hat.
Für die opulent designte Produktion von "Unter Eis", mit dem flotten Namen "Consulting-Oper" provokant zugespitzt, hat RuhrTriennale-Intendant Jürgen Flimm auf junge, aber schon bewährte Kräfte aus Hamburg zurückgegriffen: den Regisseur und Autor Falk Richter, einen seiner Meisterschüler, Jörn Arnecke als Komponisten und die personell aufgestockten Musiker vom Ensemble Resonanz. Sie erzählen die in den Wahn abdriftende Geschichte von Paul Niemand (Markus Brück), einem kafkaesk armen Kerl, der erkennt, dass er unaufhaltsam durch das Unternehmensberater-Raster seiner überdynamischen Kollegen ins Nichts gleitet. Alex Harb hat für diese Powerpoint-Passion sehr nah an Berger/Boston/McKinsey eine Einheitsbühne in aseptischem Weiß in ein Riesenzelt platziert, in dem sehnige Management-Models über den dicklichen Effizienzverweigerer zu Gericht sitzen.
Richters treffsicher holzhämmernde Abrechnung mit den Kapitalismusfaschisten ist vor allem ein Theaterstück mit Begleit-Soundtrack, bei dem André Szymanski und Thomas Wodianka wahre Prachtexemplare dieser glatten Beratungs-Klone verkörpern. Anders als in seinen Kammerspielen für die Hamburger Oper hat Arneckes Tonfall in diesem übergroßen Ambiente als Stimmungsverstärker zu dienen. Das macht er dann auch, sehr geschickt sogar, mit Klängen, die vor allem die mangelnde Tiefe der handelnden Subjekte reflektieren; kühle Klangfächen, über die Melodiewellen huschen. In einer Szene, in der sich die Berater als gruppendynamische Teamarbeit ein hirnrissiges Musical über eine singende Robbe zurechtoptimieren, wird so plump mit Klischees gearbeitet, dass selbst der ignoranteste Consultant, sollte er sich hierher verirren, merken müsste, wie dünn das Eis ist, auf dem sich seine Branche bewegt.
Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt, 1. Oktober 2007
Für die opulent designte Produktion von "Unter Eis", mit dem flotten Namen "Consulting-Oper" provokant zugespitzt, hat RuhrTriennale-Intendant Jürgen Flimm auf junge, aber schon bewährte Kräfte aus Hamburg zurückgegriffen: den Regisseur und Autor Falk Richter, einen seiner Meisterschüler, Jörn Arnecke als Komponisten und die personell aufgestockten Musiker vom Ensemble Resonanz. Sie erzählen die in den Wahn abdriftende Geschichte von Paul Niemand (Markus Brück), einem kafkaesk armen Kerl, der erkennt, dass er unaufhaltsam durch das Unternehmensberater-Raster seiner überdynamischen Kollegen ins Nichts gleitet. Alex Harb hat für diese Powerpoint-Passion sehr nah an Berger/Boston/McKinsey eine Einheitsbühne in aseptischem Weiß in ein Riesenzelt platziert, in dem sehnige Management-Models über den dicklichen Effizienzverweigerer zu Gericht sitzen.
Richters treffsicher holzhämmernde Abrechnung mit den Kapitalismusfaschisten ist vor allem ein Theaterstück mit Begleit-Soundtrack, bei dem André Szymanski und Thomas Wodianka wahre Prachtexemplare dieser glatten Beratungs-Klone verkörpern. Anders als in seinen Kammerspielen für die Hamburger Oper hat Arneckes Tonfall in diesem übergroßen Ambiente als Stimmungsverstärker zu dienen. Das macht er dann auch, sehr geschickt sogar, mit Klängen, die vor allem die mangelnde Tiefe der handelnden Subjekte reflektieren; kühle Klangfächen, über die Melodiewellen huschen. In einer Szene, in der sich die Berater als gruppendynamische Teamarbeit ein hirnrissiges Musical über eine singende Robbe zurechtoptimieren, wird so plump mit Klischees gearbeitet, dass selbst der ignoranteste Consultant, sollte er sich hierher verirren, merken müsste, wie dünn das Eis ist, auf dem sich seine Branche bewegt.
Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt, 1. Oktober 2007
Bis Tauwetter kommt
An diesem Abend ist in der Jahrhunderthalle manches anders als sonst. Auf dem Weg zu den Garderoben grüßt eine Stewardess. In der Halle warten auf den Besucher von Jörn Arneckes Musiktheater "Unter Eis" im Raum verteilte Musiker. Das Bühnenbild ist aufwändig: ein groß dimensioniertes Wasserbecken, am Ende ein weißes, schalldurchlässiges Zelt.
In diesem aseptischen Treibhaus, erdacht von Bühnenbildner Alex Harb, begegnet man einem Menschenschlag, der auf Flughäfen zuhause ist: Unternehmensberatern. Sie werden engagiert, um Einblick zu nehmen in die Finanzen und Strukturen von Firmen. Eine seltsame Kaste, ein System für sich.
"Paul Niemand bitte zu Gate 17" tönt ein scheppernder Lautsprecher. Aber der Protagonist des Stückes liebt es, auf die letzte Minute zu erscheinen. Mit seinen weiß gekleideten Kollegen sitzt er am Konferenztisch, eine Szene wie beim letzten Abendmahl. Während die Mitstreiter Sonnenschein (André Szymanski) und Glasenapp (Thomas Wodianka) einwandfrei funktionieren, ist sein Leben längst in Schräglage geraten. Es zieht an seinem inneren Auge vorbei, auch die Kindheit wird wieder lebendig - in Bochum wird sie durch großflächige Videoprojektionen illustriert. Paul wird sich seines verschwendeten Lebens bewusst.
Regisseur und Autor Falk Richter hat sein Stück "Unter Eis" bereits vor einigen Jahren an der Berliner Schaubühne präsentiert. Für die Ruhr Triennale hat er daraus ein Libretto destilliert und das Stück auch gleich auf die Bühne gebracht: stimmig, gerade auch im Verein mit dem spektakulären Bühnenbild.
Leider aber ist "Unter Eis" viel zu sehr Theater und viel zu wenig Musiktheater. Daran ändern insbesondere auch die Klänge von Jörn Arnecke nichts, die zu oft nur den gemäßigten avantgardistischen Soundtrack zu diesem Drama um die geschundene Beraterseele liefern.
Fast alle Rollen sind mit Schauspielern besetzt, allein Markus Brück als Niemand darf viel und lyrisch singen. Eine dankbare und schwierige Partie, die er sängerisch und schauspielerisch grandios bewältigt. Jörn Arnecke geht mit seiner Musik gerne auf sein Publikum zu. Das ist gut, und legitim ist es auch. Doch leider ist das klangliche Ergebnis recht eintönig ausgefallen. Gewiss ist dieses eingeschränkte Repertoire an Gesten und Techniken der Avantgarde absichtsvoll gewählt, macht das Ganze aber wenig abwechslungsreich. Über manche recht platte musikalische Symbolik (das Wort "Kultur" wird zum Beispiel als klassisch geformter Akkord begleitet) gerät man ebenfalls ins Grübeln. Hätte man bei einem Musiktheater über ein solches Thema nicht auch viel mehr mit Sprache spielen müssen? In "Unter Eis" geschieht das nur halbherzig.
Die Musiker des "Ensemble Resonanz", per Videokamera geleitet von Johannes Debus, sind seitlich außerhalb des Zuschauerraums positioniert, der Zuhörer ist von Musik umringt. Eine Konstellation und eine Chance, die Arnecke leider nur in Ansätzen ausschöpft.
Im zweiten Teil von "Unter Eis" öffnet sich das Treibhaus zur Halle hin, die Berater treiben aufs Wasser hinaus. Die Eiszeit hat ein Ende, Tauwetter in den Herzen ist angesagt. Paul Niemands kindliches Alter Ego, anrührend gesungen und gespielt von Carlo Wilfart, hat das Schlusswort.
Das Publikum war von "Unter Eis" angetan. Doch das Stück wartet mit sehr viel Plakativem auf. Eine magere Ausbeute für solch einen hohen Aufwand.
Markus Bruderreck, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 1. Oktober 2007
In diesem aseptischen Treibhaus, erdacht von Bühnenbildner Alex Harb, begegnet man einem Menschenschlag, der auf Flughäfen zuhause ist: Unternehmensberatern. Sie werden engagiert, um Einblick zu nehmen in die Finanzen und Strukturen von Firmen. Eine seltsame Kaste, ein System für sich.
"Paul Niemand bitte zu Gate 17" tönt ein scheppernder Lautsprecher. Aber der Protagonist des Stückes liebt es, auf die letzte Minute zu erscheinen. Mit seinen weiß gekleideten Kollegen sitzt er am Konferenztisch, eine Szene wie beim letzten Abendmahl. Während die Mitstreiter Sonnenschein (André Szymanski) und Glasenapp (Thomas Wodianka) einwandfrei funktionieren, ist sein Leben längst in Schräglage geraten. Es zieht an seinem inneren Auge vorbei, auch die Kindheit wird wieder lebendig - in Bochum wird sie durch großflächige Videoprojektionen illustriert. Paul wird sich seines verschwendeten Lebens bewusst.
Regisseur und Autor Falk Richter hat sein Stück "Unter Eis" bereits vor einigen Jahren an der Berliner Schaubühne präsentiert. Für die Ruhr Triennale hat er daraus ein Libretto destilliert und das Stück auch gleich auf die Bühne gebracht: stimmig, gerade auch im Verein mit dem spektakulären Bühnenbild.
Leider aber ist "Unter Eis" viel zu sehr Theater und viel zu wenig Musiktheater. Daran ändern insbesondere auch die Klänge von Jörn Arnecke nichts, die zu oft nur den gemäßigten avantgardistischen Soundtrack zu diesem Drama um die geschundene Beraterseele liefern.
Fast alle Rollen sind mit Schauspielern besetzt, allein Markus Brück als Niemand darf viel und lyrisch singen. Eine dankbare und schwierige Partie, die er sängerisch und schauspielerisch grandios bewältigt. Jörn Arnecke geht mit seiner Musik gerne auf sein Publikum zu. Das ist gut, und legitim ist es auch. Doch leider ist das klangliche Ergebnis recht eintönig ausgefallen. Gewiss ist dieses eingeschränkte Repertoire an Gesten und Techniken der Avantgarde absichtsvoll gewählt, macht das Ganze aber wenig abwechslungsreich. Über manche recht platte musikalische Symbolik (das Wort "Kultur" wird zum Beispiel als klassisch geformter Akkord begleitet) gerät man ebenfalls ins Grübeln. Hätte man bei einem Musiktheater über ein solches Thema nicht auch viel mehr mit Sprache spielen müssen? In "Unter Eis" geschieht das nur halbherzig.
Die Musiker des "Ensemble Resonanz", per Videokamera geleitet von Johannes Debus, sind seitlich außerhalb des Zuschauerraums positioniert, der Zuhörer ist von Musik umringt. Eine Konstellation und eine Chance, die Arnecke leider nur in Ansätzen ausschöpft.
Im zweiten Teil von "Unter Eis" öffnet sich das Treibhaus zur Halle hin, die Berater treiben aufs Wasser hinaus. Die Eiszeit hat ein Ende, Tauwetter in den Herzen ist angesagt. Paul Niemands kindliches Alter Ego, anrührend gesungen und gespielt von Carlo Wilfart, hat das Schlusswort.
Das Publikum war von "Unter Eis" angetan. Doch das Stück wartet mit sehr viel Plakativem auf. Eine magere Ausbeute für solch einen hohen Aufwand.
Markus Bruderreck, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 1. Oktober 2007
Herr Niemand, gefrostet
MUSIKTHEATER. Cool, sehr heutig und ein bisschen klischeehaltig: "Unter Eis", eine abendfüllende Kammeroper von Jörn Arnecke und Falk Richter für die Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle.
Thematisch und ästhetisch fällt Jörn Arneckes abendfüllende Kammeroper "Unter Eis" aus dem Rahmen der gegenwärtigen Produktions-Staffel der Ruhrtriennale. Die Leiden und Hoffnungen des Unternehmensberaters Paul Niemand in einer eiskalt durchrationalisierten Business-Welt lassen sich nur schwerlich mit der Mittelalter-Thematik dieses Herbstes verbinden. Folgerichtig erwarteten den Zuschauer der Uraufführung in der Bochumer Jahrhunderthalle auch keine Totentänze oder Ritterepen, sondern eine blütenweiße Zivilisationswüste wie aus Jacques Tatis zeitkritischen Film-Satiren.
Adrette Damen mit festgetackertem Dauerlächeln begrüßen die Zuschauer bereits an den Eingängen. Das weiße Bühnenzelt wird flankiert von einem tristen Wasserbecken und frostig hell illuminierten Podesten, auf denen sich ein Teil des "Ensembles Resonanz" ausbreitet. Die Bühne besteht - natürlich ganz in Weiß - aus einem Konferenztisch, an dem eifrige Berater ihre Verkaufsstrategien optimieren. Nur Herr Niemand will sich mit der unpersönlichen Philosophie der modernen Geschäftswelt nicht anfreunden. Er hat noch Kindheitserlebnisse aufzuarbeiten, die immer wieder mit der mechanisierten Realität kollidieren.
Librettist und Regisseur Falk Richter, Hausregisseur der Berliner Schaubühne, vermischt die disparaten Ebenen in einer Folge von 13 knappen Szenen bis zur surrealen Auflösung. Gespielt wird recht wenig, dafür bieten Videosequenzen an der Frontseite des Zeltes Kontrapunkte zum gesprochenen oder vom Bariton Markus Brück fulminant gesungenen Wort.
Das von 20 Streichern beherrschte Kammerorchester musiziert räumlich verteilt außerhalb des Bühnenzelts. Jörn Arnecke begnügt sich mit einer Reihe von Leitmotiven mit starkem Geräuschanteil. Klänge, die eine geschickt montierte Hintergrundkulisse bilden, aber kein substantielles Rückgrat aufweisen. Das Klappern der Computertastaturen, Bleistifthämmern, unruhig vibrierende Streichertremoli, einzelne Bläsersignale: all das wirkt konstruiert und künstlich wie das Lebensumfeld des Protagonisten. Dazu passt, dass, von der Hauptrolle abgesehen, Schauspieler mit teils überlangen Monologen das Stück dominieren.
Eine Produktion, die in ihrer befremdlichen Nüchternheit von einer ganz anderen Ästhetik bestimmt wird als die vital-blutvollen Höhepunkte der bisherigen Triennale. Ein diskutabler, aber bisweilen klischeehafter Reflex auf Menschenbilder unserer Zeit.
Die nächsten Aufführungen der Koproduktion mit der Frankfurter Oper in der Jarhunderthalle: 30. September, 3., 5., und 6. Oktober, 20 Uhr.
Karten: www.ruhrtriennale.de.
Pedro Obiera, Neue Ruhr/Rhein Zeitung, 1. Oktober 2007
Thematisch und ästhetisch fällt Jörn Arneckes abendfüllende Kammeroper "Unter Eis" aus dem Rahmen der gegenwärtigen Produktions-Staffel der Ruhrtriennale. Die Leiden und Hoffnungen des Unternehmensberaters Paul Niemand in einer eiskalt durchrationalisierten Business-Welt lassen sich nur schwerlich mit der Mittelalter-Thematik dieses Herbstes verbinden. Folgerichtig erwarteten den Zuschauer der Uraufführung in der Bochumer Jahrhunderthalle auch keine Totentänze oder Ritterepen, sondern eine blütenweiße Zivilisationswüste wie aus Jacques Tatis zeitkritischen Film-Satiren.
Adrette Damen mit festgetackertem Dauerlächeln begrüßen die Zuschauer bereits an den Eingängen. Das weiße Bühnenzelt wird flankiert von einem tristen Wasserbecken und frostig hell illuminierten Podesten, auf denen sich ein Teil des "Ensembles Resonanz" ausbreitet. Die Bühne besteht - natürlich ganz in Weiß - aus einem Konferenztisch, an dem eifrige Berater ihre Verkaufsstrategien optimieren. Nur Herr Niemand will sich mit der unpersönlichen Philosophie der modernen Geschäftswelt nicht anfreunden. Er hat noch Kindheitserlebnisse aufzuarbeiten, die immer wieder mit der mechanisierten Realität kollidieren.
Librettist und Regisseur Falk Richter, Hausregisseur der Berliner Schaubühne, vermischt die disparaten Ebenen in einer Folge von 13 knappen Szenen bis zur surrealen Auflösung. Gespielt wird recht wenig, dafür bieten Videosequenzen an der Frontseite des Zeltes Kontrapunkte zum gesprochenen oder vom Bariton Markus Brück fulminant gesungenen Wort.
Das von 20 Streichern beherrschte Kammerorchester musiziert räumlich verteilt außerhalb des Bühnenzelts. Jörn Arnecke begnügt sich mit einer Reihe von Leitmotiven mit starkem Geräuschanteil. Klänge, die eine geschickt montierte Hintergrundkulisse bilden, aber kein substantielles Rückgrat aufweisen. Das Klappern der Computertastaturen, Bleistifthämmern, unruhig vibrierende Streichertremoli, einzelne Bläsersignale: all das wirkt konstruiert und künstlich wie das Lebensumfeld des Protagonisten. Dazu passt, dass, von der Hauptrolle abgesehen, Schauspieler mit teils überlangen Monologen das Stück dominieren.
Eine Produktion, die in ihrer befremdlichen Nüchternheit von einer ganz anderen Ästhetik bestimmt wird als die vital-blutvollen Höhepunkte der bisherigen Triennale. Ein diskutabler, aber bisweilen klischeehafter Reflex auf Menschenbilder unserer Zeit.
Die nächsten Aufführungen der Koproduktion mit der Frankfurter Oper in der Jarhunderthalle: 30. September, 3., 5., und 6. Oktober, 20 Uhr.
Karten: www.ruhrtriennale.de.
Pedro Obiera, Neue Ruhr/Rhein Zeitung, 1. Oktober 2007
Abstieg eines Unternehmensberaters
Tief stößt uns die jüngste Musikproduktion der RuhrTriennale hinein in die Welt kalten Kosten-Nutzen-Rechnens. In einem sterilen Konferenzraum, wo man sich bei der Entsorgung von Arbeitskräften möglichst nicht die Finger schmutzig macht, konfrontiert sie uns mit dem alb-traumhaften Abstieg des Unternehmensberaters Paul Niemand, einem Willy Loman des 21. Jahrhunderts.
"Unter Eis" heißt das beim Komponisten Jörn Arnecke bestellte Auftragswerk, das jetzt in der Bochumer Jahrhunderthalle seine Uraufführung erlebte. Es fußt auf dem letzten Teil des Großprojekts "Das System" an der Berliner Schaubühne, wo der Autor und Regisseur Falk Richter im Frühjahr 2004 kritisch nach den Folgen allumfassenden ökonomischen Denkens fragte. Aus dieser Vorlage destillierte Richter ein 13 Szenen umfassendes Libretto, das grelle Schlaglichter wirft: auf Pauls Sturz ins Bodenlose ebenso wie auf die Ideologie der Unternehmensberater, deren Ungeist er genüsslich an der Sprache vorführt. Da stehen ungelenkes "Ich-sag-mal"-Gestammel und schlagwortverliebtes Globalisierungs-Denglisch neben brandgefährlicher Diffamierung der Demokratie.
Die Musik von Jörn Ar-necke überlässt dem Text willig das Primat. Sie beschränkt sich darauf, den Figuren verständnisvoll zur Seite zu stehen. Paul Niemand, diese austauschbare Existenz mit Laptop und Rollköfferchen, ist keine ausgeprägte Gesangspartie. Der Bariton Markus Brück erfüllt die Hauptrolle glaubhaft mit Sehnsucht und Depression, muss dabei aber viel sprechen. Sein Stimmpotenzial blitzt daher nur in kurzen lyrischen Phrasen auf.
Das pseudosouveräne Geschwätz der Berater Sonnenschein und Glasenapp, von den Schauspielern André Szymanski und Thomas Wodianka virtuos als leere Gecken dargestellt, überlappt sich teils raffiniert mit dem Chor von fünf weiteren Beratern. Das im Raum verteilte "Ensemble Resonanz" imitiert unter dem Dirigat von Johannes Debus Sprachrhythmen oder schafft durch Liegetöne Atmosphäre. Hörner blasen zum Weltverbesserungs-Pathos ironische Fanfaren, die Schlagzeug-Abteilung setzt oft und gerne Ausrufezeichen.
Wo Menschen sitzend vor aufgeklappten Laptops arbeiten, fällt eine Personenführung schwer. Regisseur Falk Richter macht das Beste aus den beschränkten Möglichkeiten, doch wer lieber den Text mitliest statt zur Bühne zu sehen, verpasst im Grunde nicht viel. Was als Musiktheater angekündigt war, gleicht eher einer musikalischen Installation - zumal es der spektakuläre Bühnenraum von Alex Harb ist, der sich ins Gedächtnis brennt.
Bevor die Premierengäste sich in das weiße Zelt begeben, in dem das Spiel seinen Lauf nimmt, müssen sie an einem riesigen Wasserbecken vorbei, dessen Schwärze schaudern lässt. Auf diesen Kunstsee driften Paul und seine Kollegen später hinaus. Ihr steriler Konferenztisch, Bruder aller "Newsdesks" dieser schönen, relaunchten Medienwelt, wird zur Insel. Alles gleitet ins Absurde, wenn Paul und seine Kollegen in Unterwäsche ziellos mit Bürostühlen durchs Wasser pflügen.
Am Ende begegnet Paul einem Kind, das um sein vorprogrammiertes Leben zwischen Hotels und Abflughalle weiß (Knabensopran: Carlo Wilfart). Mehr als das süßliche Finale rührt indes Pauls Erzählung von einer Katze, die er auf dem Heimweg in einen zugefrorenen Kanal fliegen sieht. Jemand hat das Tier mit Absicht aus einem hohen Fenster geworfen. Die Panik der schuldlosen Kreatur, ihr lautloses Sterben im Eis wird zum Symbol.
Termine: 3., 5., 6. Oktober. Karten: 0700 / 20 02 34 56.
Anke Demirsoy, Westfälische Rundschau, 1. Oktober 2007
"Unter Eis" heißt das beim Komponisten Jörn Arnecke bestellte Auftragswerk, das jetzt in der Bochumer Jahrhunderthalle seine Uraufführung erlebte. Es fußt auf dem letzten Teil des Großprojekts "Das System" an der Berliner Schaubühne, wo der Autor und Regisseur Falk Richter im Frühjahr 2004 kritisch nach den Folgen allumfassenden ökonomischen Denkens fragte. Aus dieser Vorlage destillierte Richter ein 13 Szenen umfassendes Libretto, das grelle Schlaglichter wirft: auf Pauls Sturz ins Bodenlose ebenso wie auf die Ideologie der Unternehmensberater, deren Ungeist er genüsslich an der Sprache vorführt. Da stehen ungelenkes "Ich-sag-mal"-Gestammel und schlagwortverliebtes Globalisierungs-Denglisch neben brandgefährlicher Diffamierung der Demokratie.
Die Musik von Jörn Ar-necke überlässt dem Text willig das Primat. Sie beschränkt sich darauf, den Figuren verständnisvoll zur Seite zu stehen. Paul Niemand, diese austauschbare Existenz mit Laptop und Rollköfferchen, ist keine ausgeprägte Gesangspartie. Der Bariton Markus Brück erfüllt die Hauptrolle glaubhaft mit Sehnsucht und Depression, muss dabei aber viel sprechen. Sein Stimmpotenzial blitzt daher nur in kurzen lyrischen Phrasen auf.
Das pseudosouveräne Geschwätz der Berater Sonnenschein und Glasenapp, von den Schauspielern André Szymanski und Thomas Wodianka virtuos als leere Gecken dargestellt, überlappt sich teils raffiniert mit dem Chor von fünf weiteren Beratern. Das im Raum verteilte "Ensemble Resonanz" imitiert unter dem Dirigat von Johannes Debus Sprachrhythmen oder schafft durch Liegetöne Atmosphäre. Hörner blasen zum Weltverbesserungs-Pathos ironische Fanfaren, die Schlagzeug-Abteilung setzt oft und gerne Ausrufezeichen.
Wo Menschen sitzend vor aufgeklappten Laptops arbeiten, fällt eine Personenführung schwer. Regisseur Falk Richter macht das Beste aus den beschränkten Möglichkeiten, doch wer lieber den Text mitliest statt zur Bühne zu sehen, verpasst im Grunde nicht viel. Was als Musiktheater angekündigt war, gleicht eher einer musikalischen Installation - zumal es der spektakuläre Bühnenraum von Alex Harb ist, der sich ins Gedächtnis brennt.
Bevor die Premierengäste sich in das weiße Zelt begeben, in dem das Spiel seinen Lauf nimmt, müssen sie an einem riesigen Wasserbecken vorbei, dessen Schwärze schaudern lässt. Auf diesen Kunstsee driften Paul und seine Kollegen später hinaus. Ihr steriler Konferenztisch, Bruder aller "Newsdesks" dieser schönen, relaunchten Medienwelt, wird zur Insel. Alles gleitet ins Absurde, wenn Paul und seine Kollegen in Unterwäsche ziellos mit Bürostühlen durchs Wasser pflügen.
Am Ende begegnet Paul einem Kind, das um sein vorprogrammiertes Leben zwischen Hotels und Abflughalle weiß (Knabensopran: Carlo Wilfart). Mehr als das süßliche Finale rührt indes Pauls Erzählung von einer Katze, die er auf dem Heimweg in einen zugefrorenen Kanal fliegen sieht. Jemand hat das Tier mit Absicht aus einem hohen Fenster geworfen. Die Panik der schuldlosen Kreatur, ihr lautloses Sterben im Eis wird zum Symbol.
Termine: 3., 5., 6. Oktober. Karten: 0700 / 20 02 34 56.
Anke Demirsoy, Westfälische Rundschau, 1. Oktober 2007
Kultur braucht Dur
Schöner sterben mit Musik: Jörn Arnecke hat das Drama "Unter Eis" von Falk Richter in eine Oper verwandelt
Schöner sterben mit Musik: Jörn Arnecke hat das Drama "Unter Eis" von Falk Richter in eine Oper verwandelt
Klassische Texte kennen kein Verfallsdatum, auch wenn Kostüme von Motten und Requisiten vom Zahn der Zeit benagt werden. Ein Wort wie "Musterkoffer" mag heute im Aussterben liegen, doch der Tod eines Handlungsreisenden findet immer noch täglich statt. Erst im Jahr 2000 ist Arthur Millers Broadwaystück "Death of a Salesman" (1949) zum wiederholten Mal neu verfilmt worden. Und vor drei Jahren fuhr Falk Richter einen unmissverständlichen Erfolg an der Berliner Schaubühne ein mit seinem Dreimanndrama "Unter Eis" - einem Stück, das wie Hochhuths "McKinsey kommt" in der Welt mächtiger Consultingfirmen spielt, aber im Kern nichts weiter ist als ein verschärftes Miller-Update.
Aus dem Handelsvertreter Willy Lowman ist der Berater Paul Niemand geworden: aus dem erniedrigten kleinen Mann ein Nichts. Dieser Niemand handelt mit Worthülsen und Statistiken, war als Anfänger in der Firma mal höchst erfolgreich, steht jetzt unmittelbar vor der Ausmusterung: "Eine vom Terror überwältigte Figur, die in die Leere ruft um Hilfe, die niemals kommen wird" (Miller über Lowman). Falk Richter hat ihr zwei smarte jüngere Kollegen namens Karl Sonnenschein und Aurelius Glasenapp zur Seite gestellt. Sie sind, was Niemand selbst einmal war und zugleich zwei der Nägel zu seinem Sarg - eine diffuse Opfer-Täter-Mischung, die im wortgebundenen Schauspiel tatsächlich noch wirklichkeitsnah, zugleich distanzfördernd wirkt: Man muss keine dieser Figuren lieben. Jetzt aber hat Richter das Stück im Auftrag der Ruhrtriennale zum Opernlibretto umgeschrieben, und der junge Hamburger Jörn Arnecke, der zuletzt in dem Aids-Stück "Das Fest im Meer" auf Hamburg-Kampnagel schon einmal mit raummusikalischen Pattern experimentiert hatte, lieferte die Musik dazu.
Und mit Musik geht nicht nur alles besser, es spitzt sich leidenschaftlich zu. Das liegt natürlich auch an der Intensität, mit der Bariton Markus Brück sich aus tonlosem Sprechgesang aufschwingt zu eindrucksvoller, durch starke Intervallsprünge beschwerte Belcanto-Klage. Die Figur des Paul Niemand wächst und gewinnt in der Oper, erreicht Tragödenformat mit exemplarischem Faltenwurf. Während die übrigen zurücktreten ins Glied, als Chor- oder auch als maschinengewehrschnelle Buffo-Partien. Der famose Schauspieler André Szymanski ist ein artistischer Sonnenschein und sein Partner Thomas Wodianka als Glasenapp verwandelt sich am Ende, auf seiner kleinen tonalkomponierten Insel als Musical-Star, sogar in einen Schnulzier mit allerschönstem Brio. Doch der Fokus der Sympathien liegt auf dem ernsten Sänger Niemand.
Die opernidealtypische Verdichtung des Stücks wird unterstützt von der gleißnerisch-eingängigen Musik Arneckes, der sparsam, aber effektvoll alle derzeit handelsüblichen Mittel einsetzt, vom lockenden Naturhörnerruf bis hin zu Mikrotonalem und Geräuschhaftem, vom Obertongesang bis zum Rap. Richter selbst hat Regie geführt. Und Alex Harb, der kürzlich gemeinsam mit Richter den umstrittenen "Freischütz" in Salzburg ausstattete, erfand eine Bühnen-Raum-Installation, die das Publikum buchstäblich hineinnimmt in das Stück, es bis zum atemraubenden Ende nicht mehr aus dem Griff lässt.
Die alte Guckkastensituation ist bei der Ruhrtriennale in heller Auflösung begriffen. Schon beim Hineinspazieren in die Jahrhunderthalle begegnet man nicht nur den Eisenbahnschienen, auf denen dieser Tage wieder die "Zeitbühne" von Zimmermanns "Soldaten" fahren wird. Man hört auch von allen Seiten Wort- und Melodiefetzen, auf Monitoren reden zwei blasse Geschäftsleute, Streicher üben sich ein, die Kontrabassistin sitzt erschöpft am Rand und schrammelt wie im Schlaf nur noch auf leerer Saite. Auch die im Eiswasser ertrunkene Katze, die später eine Schlüsselrolle spielen soll in Niemands Verzweiflungsmonologen, liegt bereits auf erleuchtetem Sockel herum, gegossen in Acryl. Mintfarben kostümierte Hostessen geleiten ins mintfarbene Riesenzelt aus Glasfiber, darin an den Wänden später Kindheitsmuster als Videoalbträume auftauchen. Drinnen, am Konferenztisch in klinischem Weiß, hacken die Berater Botschaften in ihre Laptops. Es ist dieses polyrhythmische Klopfen bereits Teil der Partitur. Die übrigen Perkussionsinstrumente nebst den zwanzig Streichern und den vier Hörnern des Ensemble Resonanz sitzen in Holzboxen außerhalb, rund um das Zelt herum, über Monitore koordiniert von Johannes Debus. Man sieht sie nicht, man hört sie nur. Sie liefern eine diskrete, dichtgefügte, manchmal mit tonmalerischen Tupfern etwas gefällig garnierte Bühnenmusik. Später wechseln die Musiker ihre Position, sie laufen dem Stück wie in einer Abschiedssymphonie davon. Doch sind Richters vergiftete Texte auf jeden Fall stärker als Arneckes Musik.
Nur ein einziges Mal schert Arnecke aus dem getreuen Korrepetitordasein aus und greift zum guten, alten Mittel der Verfremdung. Als die Berater das Wort "Kultur" skandieren, tönt, als Echo oder Tusch, ein von Streichern satt wattierter C-Dur-Akkord, vom Philharmonia Chor Wien süffig wie von den Comedian Harmonists intoniert. Je öfter sich das wiederholt, desto ulkiger wird es. Eine Komödie springt dennoch nicht heraus, nicht einmal ein Fünkchen Hoffnung. Melancholisch tönt am Ende der Schlussgesang des Kindersoprans (Carlo Wilfart) über ferne Wasser herüber, Hommage an Brittens "Malo"-Gesänge. Der spektakuläre Bühneneffekt dazu soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Spontinis Elefanten waren ein Klacks dagegen.
Eleonore Büning, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Oktober 2007
Aus dem Handelsvertreter Willy Lowman ist der Berater Paul Niemand geworden: aus dem erniedrigten kleinen Mann ein Nichts. Dieser Niemand handelt mit Worthülsen und Statistiken, war als Anfänger in der Firma mal höchst erfolgreich, steht jetzt unmittelbar vor der Ausmusterung: "Eine vom Terror überwältigte Figur, die in die Leere ruft um Hilfe, die niemals kommen wird" (Miller über Lowman). Falk Richter hat ihr zwei smarte jüngere Kollegen namens Karl Sonnenschein und Aurelius Glasenapp zur Seite gestellt. Sie sind, was Niemand selbst einmal war und zugleich zwei der Nägel zu seinem Sarg - eine diffuse Opfer-Täter-Mischung, die im wortgebundenen Schauspiel tatsächlich noch wirklichkeitsnah, zugleich distanzfördernd wirkt: Man muss keine dieser Figuren lieben. Jetzt aber hat Richter das Stück im Auftrag der Ruhrtriennale zum Opernlibretto umgeschrieben, und der junge Hamburger Jörn Arnecke, der zuletzt in dem Aids-Stück "Das Fest im Meer" auf Hamburg-Kampnagel schon einmal mit raummusikalischen Pattern experimentiert hatte, lieferte die Musik dazu.
Und mit Musik geht nicht nur alles besser, es spitzt sich leidenschaftlich zu. Das liegt natürlich auch an der Intensität, mit der Bariton Markus Brück sich aus tonlosem Sprechgesang aufschwingt zu eindrucksvoller, durch starke Intervallsprünge beschwerte Belcanto-Klage. Die Figur des Paul Niemand wächst und gewinnt in der Oper, erreicht Tragödenformat mit exemplarischem Faltenwurf. Während die übrigen zurücktreten ins Glied, als Chor- oder auch als maschinengewehrschnelle Buffo-Partien. Der famose Schauspieler André Szymanski ist ein artistischer Sonnenschein und sein Partner Thomas Wodianka als Glasenapp verwandelt sich am Ende, auf seiner kleinen tonalkomponierten Insel als Musical-Star, sogar in einen Schnulzier mit allerschönstem Brio. Doch der Fokus der Sympathien liegt auf dem ernsten Sänger Niemand.
Die opernidealtypische Verdichtung des Stücks wird unterstützt von der gleißnerisch-eingängigen Musik Arneckes, der sparsam, aber effektvoll alle derzeit handelsüblichen Mittel einsetzt, vom lockenden Naturhörnerruf bis hin zu Mikrotonalem und Geräuschhaftem, vom Obertongesang bis zum Rap. Richter selbst hat Regie geführt. Und Alex Harb, der kürzlich gemeinsam mit Richter den umstrittenen "Freischütz" in Salzburg ausstattete, erfand eine Bühnen-Raum-Installation, die das Publikum buchstäblich hineinnimmt in das Stück, es bis zum atemraubenden Ende nicht mehr aus dem Griff lässt.
Die alte Guckkastensituation ist bei der Ruhrtriennale in heller Auflösung begriffen. Schon beim Hineinspazieren in die Jahrhunderthalle begegnet man nicht nur den Eisenbahnschienen, auf denen dieser Tage wieder die "Zeitbühne" von Zimmermanns "Soldaten" fahren wird. Man hört auch von allen Seiten Wort- und Melodiefetzen, auf Monitoren reden zwei blasse Geschäftsleute, Streicher üben sich ein, die Kontrabassistin sitzt erschöpft am Rand und schrammelt wie im Schlaf nur noch auf leerer Saite. Auch die im Eiswasser ertrunkene Katze, die später eine Schlüsselrolle spielen soll in Niemands Verzweiflungsmonologen, liegt bereits auf erleuchtetem Sockel herum, gegossen in Acryl. Mintfarben kostümierte Hostessen geleiten ins mintfarbene Riesenzelt aus Glasfiber, darin an den Wänden später Kindheitsmuster als Videoalbträume auftauchen. Drinnen, am Konferenztisch in klinischem Weiß, hacken die Berater Botschaften in ihre Laptops. Es ist dieses polyrhythmische Klopfen bereits Teil der Partitur. Die übrigen Perkussionsinstrumente nebst den zwanzig Streichern und den vier Hörnern des Ensemble Resonanz sitzen in Holzboxen außerhalb, rund um das Zelt herum, über Monitore koordiniert von Johannes Debus. Man sieht sie nicht, man hört sie nur. Sie liefern eine diskrete, dichtgefügte, manchmal mit tonmalerischen Tupfern etwas gefällig garnierte Bühnenmusik. Später wechseln die Musiker ihre Position, sie laufen dem Stück wie in einer Abschiedssymphonie davon. Doch sind Richters vergiftete Texte auf jeden Fall stärker als Arneckes Musik.
Nur ein einziges Mal schert Arnecke aus dem getreuen Korrepetitordasein aus und greift zum guten, alten Mittel der Verfremdung. Als die Berater das Wort "Kultur" skandieren, tönt, als Echo oder Tusch, ein von Streichern satt wattierter C-Dur-Akkord, vom Philharmonia Chor Wien süffig wie von den Comedian Harmonists intoniert. Je öfter sich das wiederholt, desto ulkiger wird es. Eine Komödie springt dennoch nicht heraus, nicht einmal ein Fünkchen Hoffnung. Melancholisch tönt am Ende der Schlussgesang des Kindersoprans (Carlo Wilfart) über ferne Wasser herüber, Hommage an Brittens "Malo"-Gesänge. Der spektakuläre Bühneneffekt dazu soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Spontinis Elefanten waren ein Klacks dagegen.
Eleonore Büning, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Oktober 2007
Ruhrtriennale
Opfer des Systems
Opfer des Systems
Jörn Arnecke vertont Falk Richters Unternehmensberaterstück "Unter Eis"
Im Programmheft des Musiktheaters "Unter Eis" von Jörn Arnecke und Falk Richter findet sich dankenswerterweise ein Glossar zur Branche des Unternehmensberaters. So kann man sich schon mal all die dynamisch-breitbeinig auftretenden Worthülsen einprägen, die in dem folgenden Stück eine Rolle spielen: von Boot-Camps, Burn-Out und Cash-Flow bis zu Outplacement, Win-Win-Situation und Work-Life-Balance. In den Heißluftfloskeln dampft freilich nicht nur die aufgeblasene Wichtigkeit, die dem Metier der Beobachter und Analytiker unserer Wirtschaft beigemessen wird. Die stolz herausgeprusteten Anglizismen sind die Sprache eines geschlossenen Systems, das auf Bestenauslese und Effizienz beruht. Grow or go, up or out - steile Karriere bis zum bitteren Ende.
Paul Niemand ist ein Opfer des Systems. Weil er älter wird, das Gehirn langsamer läuft und er die Work-Life-Balance weder durch brutale Entlassungen noch durch Squash bis zum Umfallen in den Griff bekommt, ist seine Zeit abgelaufen. Das Theaterstück "Unter Eis", das Falk Richter vor drei Jahren an der Berliner Schaubühne als Teil seines ambitionierten Zyklus "Das System" herausbrachte, bilanziert die fortschreitende (Selbst)Auslöschung des Paul Niemand. Wobei sich Richters künstlerische Freiheit manches Klischee genehmigt. Junge Kollegen zermalmen den Selbstzweifler im Räderwerk einer Diktatur der Effizienz und übertreffen ihn sogar an politischer Konsequenz: Wenn die Demokratie volkswirtschaftlich versagt hat - so das Denkspiel von Karl Sonnenschein, den André Szymanski mit brillantem Zynismus spielt -, warum ersetzen wir sie dann nicht durch die Oligarchie der Berater?
Falk Richter, der sein Stück im Auftrag der Ruhrtriennale zum Libretto bearbeitet und in der Bochumer Jahrhunderthalle selbst inszeniert hat, lässt die Kaste der Berater in blendend weißen Anzügen mit obligatorischem Laptop auftreten, posieren, turnen, gelegentlich sogar fliegen. Vor allem aber lässt er sie ein Tribunal abhalten. Mit ihrer ökonomischen Radikalität kann der einst so forsche Niemand nicht mithalten. Er vegetiert nur noch in Erinnerungen: an die Kindheit, die lieblosen Eltern, seinen rücksichtslosen Aufstieg.
In diese Schere zwischen knallharten Business-Prinzipien und einer zerfallenden Persönlichkeit setzt der 34-jährige Komponist Jörn Arnecke seine Musik. Aus dem harten Tippen der Bleistifte aufs Desk und dem Hämmern in die Laptop-Tasten entwickelt Arnecke ein mechanisches Rattern und Klappern, das sich in der Sprache der zwei Schauspieler, die Niemands jüngere Kollegen spielen, und dem hinzu erfundenen Vokalquintett gnadenlos ausbreitet. Wenn beim Freizeitprogramm das Musical "Der König der Löwen" einstudiert wird, jubeln vier Hörner zum Beben der Buschtrommeln auf. Dumm und öde soll das wirken, wobei die Musik der knalligen Parodie des Textes willig aufsitzt.
Immer aber, wenn Paul Niemand (äußerst präsent: der Bariton Markus Brück) sich aus dem Betrieb ausklinkt, wenn er in den Videos von Meika Dresenkamp als Kind durch den Wald hetzt, von den Eltern mit eisigen Blicken verfolgt - dann produziert ein Ensemble von 20 Streichern (das großartige Ensemble Resonanz mit dem Dirigenten Johannes Debus) fahle Klänge und eng verwobene Linien wie hörbar gemachte Hirnströme. Der Bühnenbildner Alex Harb hat Publikum und Darsteller in ein Zelt aus Gaze gesetzt, während Streicher, Hörner und Schlagzeug in hölzernen Kojen außerhalb des Zelts platziert sind.
Doch gibt es einen Moment, den schönsten des ganzen Abends, in dem der hermetische Raum sich öffnet. Wenn die jungen Berater mit ihren Phrasen sich in einen surrealen Wahnsinn steigern, gleitet ihr Podium lautlos durch die geöffnete Rückwand, hinaus auf eine spiegelglatte Wasserfläche unter dem weiten Dach der Jahrhunderthalle, wo Niemand im wahrsten Sinne des Wortes aussteigt und abtaucht. Immergleiche chromatische Tonketten trudeln ihm durch den Kopf, bis am Ende der Mann ausgelöscht ist und nur noch das Kind (der wunderbare Knabensopran Carlo Wilfart) übrig bleibt: "Mich erwartet nichts mehr, ich habe kein Leben vor mir."
So endet das als "erste Consulting-Oper" angekündigte Werk in trostloser Melancholie. Darin liegt das Charakteristische, aber auch die Gefahr des Projekts: Was die Oper dem Schauspiel an visionärer, humaner Kraft einbringt, raubt sie dem auf die politische Gegenwart zielenden Stoff an Schärfe und Biss. Die Klischees in Richters Text haben sich dabei bruchlos in Arneckes Partitur hinübergerettet.
Michael Struck-Schloen, Süddeutsche Zeitung, 1. Oktober 2007
Im Programmheft des Musiktheaters "Unter Eis" von Jörn Arnecke und Falk Richter findet sich dankenswerterweise ein Glossar zur Branche des Unternehmensberaters. So kann man sich schon mal all die dynamisch-breitbeinig auftretenden Worthülsen einprägen, die in dem folgenden Stück eine Rolle spielen: von Boot-Camps, Burn-Out und Cash-Flow bis zu Outplacement, Win-Win-Situation und Work-Life-Balance. In den Heißluftfloskeln dampft freilich nicht nur die aufgeblasene Wichtigkeit, die dem Metier der Beobachter und Analytiker unserer Wirtschaft beigemessen wird. Die stolz herausgeprusteten Anglizismen sind die Sprache eines geschlossenen Systems, das auf Bestenauslese und Effizienz beruht. Grow or go, up or out - steile Karriere bis zum bitteren Ende.
Paul Niemand ist ein Opfer des Systems. Weil er älter wird, das Gehirn langsamer läuft und er die Work-Life-Balance weder durch brutale Entlassungen noch durch Squash bis zum Umfallen in den Griff bekommt, ist seine Zeit abgelaufen. Das Theaterstück "Unter Eis", das Falk Richter vor drei Jahren an der Berliner Schaubühne als Teil seines ambitionierten Zyklus "Das System" herausbrachte, bilanziert die fortschreitende (Selbst)Auslöschung des Paul Niemand. Wobei sich Richters künstlerische Freiheit manches Klischee genehmigt. Junge Kollegen zermalmen den Selbstzweifler im Räderwerk einer Diktatur der Effizienz und übertreffen ihn sogar an politischer Konsequenz: Wenn die Demokratie volkswirtschaftlich versagt hat - so das Denkspiel von Karl Sonnenschein, den André Szymanski mit brillantem Zynismus spielt -, warum ersetzen wir sie dann nicht durch die Oligarchie der Berater?
Falk Richter, der sein Stück im Auftrag der Ruhrtriennale zum Libretto bearbeitet und in der Bochumer Jahrhunderthalle selbst inszeniert hat, lässt die Kaste der Berater in blendend weißen Anzügen mit obligatorischem Laptop auftreten, posieren, turnen, gelegentlich sogar fliegen. Vor allem aber lässt er sie ein Tribunal abhalten. Mit ihrer ökonomischen Radikalität kann der einst so forsche Niemand nicht mithalten. Er vegetiert nur noch in Erinnerungen: an die Kindheit, die lieblosen Eltern, seinen rücksichtslosen Aufstieg.
In diese Schere zwischen knallharten Business-Prinzipien und einer zerfallenden Persönlichkeit setzt der 34-jährige Komponist Jörn Arnecke seine Musik. Aus dem harten Tippen der Bleistifte aufs Desk und dem Hämmern in die Laptop-Tasten entwickelt Arnecke ein mechanisches Rattern und Klappern, das sich in der Sprache der zwei Schauspieler, die Niemands jüngere Kollegen spielen, und dem hinzu erfundenen Vokalquintett gnadenlos ausbreitet. Wenn beim Freizeitprogramm das Musical "Der König der Löwen" einstudiert wird, jubeln vier Hörner zum Beben der Buschtrommeln auf. Dumm und öde soll das wirken, wobei die Musik der knalligen Parodie des Textes willig aufsitzt.
Immer aber, wenn Paul Niemand (äußerst präsent: der Bariton Markus Brück) sich aus dem Betrieb ausklinkt, wenn er in den Videos von Meika Dresenkamp als Kind durch den Wald hetzt, von den Eltern mit eisigen Blicken verfolgt - dann produziert ein Ensemble von 20 Streichern (das großartige Ensemble Resonanz mit dem Dirigenten Johannes Debus) fahle Klänge und eng verwobene Linien wie hörbar gemachte Hirnströme. Der Bühnenbildner Alex Harb hat Publikum und Darsteller in ein Zelt aus Gaze gesetzt, während Streicher, Hörner und Schlagzeug in hölzernen Kojen außerhalb des Zelts platziert sind.
Doch gibt es einen Moment, den schönsten des ganzen Abends, in dem der hermetische Raum sich öffnet. Wenn die jungen Berater mit ihren Phrasen sich in einen surrealen Wahnsinn steigern, gleitet ihr Podium lautlos durch die geöffnete Rückwand, hinaus auf eine spiegelglatte Wasserfläche unter dem weiten Dach der Jahrhunderthalle, wo Niemand im wahrsten Sinne des Wortes aussteigt und abtaucht. Immergleiche chromatische Tonketten trudeln ihm durch den Kopf, bis am Ende der Mann ausgelöscht ist und nur noch das Kind (der wunderbare Knabensopran Carlo Wilfart) übrig bleibt: "Mich erwartet nichts mehr, ich habe kein Leben vor mir."
So endet das als "erste Consulting-Oper" angekündigte Werk in trostloser Melancholie. Darin liegt das Charakteristische, aber auch die Gefahr des Projekts: Was die Oper dem Schauspiel an visionärer, humaner Kraft einbringt, raubt sie dem auf die politische Gegenwart zielenden Stoff an Schärfe und Biss. Die Klischees in Richters Text haben sich dabei bruchlos in Arneckes Partitur hinübergerettet.
Michael Struck-Schloen, Süddeutsche Zeitung, 1. Oktober 2007
Wenn Heuschrecken ein Robben-Musical proben
Bei der Ruhrtriennale wurde das Musiktheater "Unter Eis" von Falk Richters und Jörn Arnecke uraufgeführt
Bei der Ruhrtriennale wurde das Musiktheater "Unter Eis" von Falk Richters und Jörn Arnecke uraufgeführt
Man freut sich. Endlich mal keine Oper mit Mythen, Griechen, Römern, germanischen Göttern, verblasstem, mehr oder weniger historischem Personal. Sondern mit Dax-Menschen von heute, erfrischend gefühllosen Spekulanten, Abzockern, Börsenhaien. Typen, deren Geiz nicht nur geil ist, sondern auch noch singt. Dazwischen ein Verliererwürstchen, ein Unternehmensberater namens Paul Niemand, mit einem Rest Humanhaushalt, in dem Emotion köchelt. Es wird schon durch eine tote Katze aus der Bahn geworfen, erlebt am Ende sogar eine Art Epiphanie des schönen Scheiterns. Das schreit doch nach Oper. Nach "Consulting Oper", wie es in der Vorankündigung der Ruhrtriennale heißt. Es wurde aber dann doch Musiktheater, Betonung auf dem zweiten Substantiv. Falk Richter hat den Mittelteil seiner von ihm selbst urinszenierten "System"-Trilogie für die Bochumer Jahrhunderthalle aufbereitet. Diesmal mit der tönenden Begleitung zu den 13 Schauspielszenen. Jörn Arnecke, einer der methodisch offensten jüngeren Komponisten, hat bereits in seinen zwei Hamburger Opernarbeiten "Das Fest im Meer" (2003) und "Butterfly Blues" (2005) Texte von John Berger und Henning Mankell erfolgreich auf die Bühne gebracht. Diesmal aber dominiert das Wort.
Neben dem famosen Bariton Markus Brück spult der toughe Schauspieler André Szymanski als Karl Sonnenschein, Oberberater mit Profidurchblick, seine grotesken, mit Anglizismen verunreinigten Glaubensgrundsätze im Dauerstaccato ab. Sein Kollege Aurelius Glasenapp (Thomas Wodianka) darf für ein paar, ebenfalls gesprochene Gefühlsmomente sorgen, wenn er davon schwärmt, wie man zur Stärkung der Gruppenabzockmotivation ein Musical entwickelt hat - die Heuschrecken spielen Robben in Fleeceschlafsäcken. Dazu röhren vier Hörner, klappert ein wenig Perkussion und schmalzen 20 Streicher. Mehr nicht. Der 1973 in Hameln geborene Jörn Arnecke hat sich beschränkt. Was nicht unklug war. Er unterlegt Falk Richters virtuos aufgezäumte, oft witzigen Wirtschaftsinvektiven mit einem brodelnden, vorantreibenden Sound, der das eigentlich öd Banale nobilitiert, rhythmisiert und sich nur selten in den Vordergrund schiebt. Immerhin dramatisiert Arneckes Partitur den Text genügend, lässt ihn irreal werden. Es ist aber insgesamt mehr Film- oder Bühnenmusik als Oper.
Immerhin, Markus Brück, der gefühlsgeschüttelte Mr. Nobody, darf sich nach dem konkreten Beginn aus Laptoptastengeklapper und Kalkulatorenschnurren auch arios aufschwingen, darf zweifeln und barmen. Dazu verbreitet ein Quintett als sekundierender Beraterchor entschleunigende Madrigalstimmung. Ein schüchterner Knabensopran wird zum anderen, nicht börsennotierten Ich, das im zart sich aufschwingenden Finale freilich auch in Kantilenen wie "Ich habe kein Leben mehr vor mir" wenig Heil findet. Pathos darf sein, es nimmt aber nicht überhand. Falk Richter durfte als sein eigener Ur- Inszenator optisch in die Vollen greifen. Denn die Ruhrtriennalen-Mannschaft beherrscht inzwischen souverän die szenische Urbarmachung ihrer Hallen. Man wird von gefroren lächelnden Hostessen in sie hineingeleitet, flaniert an präludierenden Instrumentalisten und einer ominösen Katze aus Acryleis vorbei. Und ganz weit hinten in der Jahrhunderthalle steht ein weißes, halbtransparentes Zelt. Um dieses herum, in Echokammern aus Sperrholz, sind die präzisen Musiker des Ensembles Recherche platziert. Innen hantiert ganz traditionell der sicher das alles zusammenfügende Dirigent Johannes Debus vor einer Art Büroabendmahlstisch, um den sich die Protagonisten aufreihen, alle in aseptischstem Weiß. Nur der mit seinem schmutzigen Gedanken das Business-Idyll störende Abweichler Niemand trägt Graublau. Brück lamentiert sich anrührend und doch angemessen distanziert in Versagensängste und Rachefantasien, wird hin und her geworfen von den Stimmungsschwankungen seiner Kollegenkonkurrenten.
Die steigern sich zwar nur verbal, aber mit ariosem Furor in ihrem Dummsprech aus Effizienzregeln und Core-Value-Phrasen, machen selbst ein Squashspiel noch zum Sprachduell und besingen dann laienhaft sentimental den Wert von KULTUR. Während über das Orchester eine Entlassungswelle rollt. Es trollt sich wie weiland bei Haydns Abschiedssinfonie. Am Ende treibt Richter sein karges, bisweilen ideobeflimmertes Oratorium in die Apotheose, wenn der Tisch auf eine weite Wasserfläche hinausfährt. Eine musikalische Farce, erfrischend zynisch, aber mit einem liebvollen Herzen.
Kein Meilenstein, aber eine gelungene Etappe. Und sicher richtig für die koproduzierende Oper Frankfurt, wo mehr Top-Dog-Zielpublikum sitzt als im downgesizten Bochum.
Termine: 3., 5., 6. Oktober; ab Juni in Frankfurt am Main; Karten: 0700 / 20 02 34 56
Manuel Brug, Die Welt, 1. Oktober 2007
Neben dem famosen Bariton Markus Brück spult der toughe Schauspieler André Szymanski als Karl Sonnenschein, Oberberater mit Profidurchblick, seine grotesken, mit Anglizismen verunreinigten Glaubensgrundsätze im Dauerstaccato ab. Sein Kollege Aurelius Glasenapp (Thomas Wodianka) darf für ein paar, ebenfalls gesprochene Gefühlsmomente sorgen, wenn er davon schwärmt, wie man zur Stärkung der Gruppenabzockmotivation ein Musical entwickelt hat - die Heuschrecken spielen Robben in Fleeceschlafsäcken. Dazu röhren vier Hörner, klappert ein wenig Perkussion und schmalzen 20 Streicher. Mehr nicht. Der 1973 in Hameln geborene Jörn Arnecke hat sich beschränkt. Was nicht unklug war. Er unterlegt Falk Richters virtuos aufgezäumte, oft witzigen Wirtschaftsinvektiven mit einem brodelnden, vorantreibenden Sound, der das eigentlich öd Banale nobilitiert, rhythmisiert und sich nur selten in den Vordergrund schiebt. Immerhin dramatisiert Arneckes Partitur den Text genügend, lässt ihn irreal werden. Es ist aber insgesamt mehr Film- oder Bühnenmusik als Oper.
Immerhin, Markus Brück, der gefühlsgeschüttelte Mr. Nobody, darf sich nach dem konkreten Beginn aus Laptoptastengeklapper und Kalkulatorenschnurren auch arios aufschwingen, darf zweifeln und barmen. Dazu verbreitet ein Quintett als sekundierender Beraterchor entschleunigende Madrigalstimmung. Ein schüchterner Knabensopran wird zum anderen, nicht börsennotierten Ich, das im zart sich aufschwingenden Finale freilich auch in Kantilenen wie "Ich habe kein Leben mehr vor mir" wenig Heil findet. Pathos darf sein, es nimmt aber nicht überhand. Falk Richter durfte als sein eigener Ur- Inszenator optisch in die Vollen greifen. Denn die Ruhrtriennalen-Mannschaft beherrscht inzwischen souverän die szenische Urbarmachung ihrer Hallen. Man wird von gefroren lächelnden Hostessen in sie hineingeleitet, flaniert an präludierenden Instrumentalisten und einer ominösen Katze aus Acryleis vorbei. Und ganz weit hinten in der Jahrhunderthalle steht ein weißes, halbtransparentes Zelt. Um dieses herum, in Echokammern aus Sperrholz, sind die präzisen Musiker des Ensembles Recherche platziert. Innen hantiert ganz traditionell der sicher das alles zusammenfügende Dirigent Johannes Debus vor einer Art Büroabendmahlstisch, um den sich die Protagonisten aufreihen, alle in aseptischstem Weiß. Nur der mit seinem schmutzigen Gedanken das Business-Idyll störende Abweichler Niemand trägt Graublau. Brück lamentiert sich anrührend und doch angemessen distanziert in Versagensängste und Rachefantasien, wird hin und her geworfen von den Stimmungsschwankungen seiner Kollegenkonkurrenten.
Die steigern sich zwar nur verbal, aber mit ariosem Furor in ihrem Dummsprech aus Effizienzregeln und Core-Value-Phrasen, machen selbst ein Squashspiel noch zum Sprachduell und besingen dann laienhaft sentimental den Wert von KULTUR. Während über das Orchester eine Entlassungswelle rollt. Es trollt sich wie weiland bei Haydns Abschiedssinfonie. Am Ende treibt Richter sein karges, bisweilen ideobeflimmertes Oratorium in die Apotheose, wenn der Tisch auf eine weite Wasserfläche hinausfährt. Eine musikalische Farce, erfrischend zynisch, aber mit einem liebvollen Herzen.
Kein Meilenstein, aber eine gelungene Etappe. Und sicher richtig für die koproduzierende Oper Frankfurt, wo mehr Top-Dog-Zielpublikum sitzt als im downgesizten Bochum.
Termine: 3., 5., 6. Oktober; ab Juni in Frankfurt am Main; Karten: 0700 / 20 02 34 56
Manuel Brug, Die Welt, 1. Oktober 2007
Wenn Berater ratlos werden
"Unter Eis", 2004 an der Berliner Schaubühne uraufgeführt, lobten Kritiker als eins der besten Stücke des Jahres. Aus ihm destillierte Autor Falk Richter (37) das Libretto für ein Musiktheater, dem Jörn Arnecke, 34, seine ganz eigene musikalische Note hinzufügte. Die von Richter inszenierte Uraufführung begeisterte das Publikum der Ruhr-Triennale in der Jahrhunderthalle Bochum.
Hochhackige Pumps, enge grüne Röcke, das Blondhaar hoch gesteckt: Junge Damen begrüßen den Gast im Foyer. Über Lautsprecher wird Herr Niemand gesucht. Der Gang durch die Halle zum Schau-Platz des Abends ist mit Niemand-Klonen gespickt. Am Rande einer weiten Wasserfläche erstrahlt ein in grelles Weiß getauchtes großes Zelt. In ihm beherrscht ein Vorstandstisch die Szene (Bühnenraum Alex Harb). Acht Männer hämmern auf ihre Laptops ein. Sie sind Mitarbeiter einer Beraterfirma, Gewinnmaximierung ist ihr Motto. Es ist die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang des Paul Niemand, Nobody und Jedermann zugleich. Einsam war er schon immer. Schon als kleiner Junge: "Ich will, dass mich jemand hört!", schreit es aus Paul heraus. Bildlich wie musikalisch ist dieser Auftakt eindringlich.
Dann reißt es Niemand in die Welt der Berater-Kollegen und Konkurrenten. "Motivation" wird zum Hebel, das Letzte aus sich herauszuholen. Doch Paul beginnt nachzulassen - und gerät in die Mangel seiner jüngeren Kollegen Karl Sonnenschein (André Szymanski) und Aurelius Glasenapp (Thomas Wodianka). Ein Kind taucht auf, Aktienkurse murmelnd. Von nun an beherrschen die Jungen die Szene - und wollen sogar ein Musical schreiben. Kultur soll ablenken. Schließlich - der breite Vorstandstisch hat sich über die Wasserfläche weit in den Hintergrund der nun offenen Industriebrache verschoben - tappen Paul und das Kind hilflos im Wasser.
In 13 Szenen brandmarkt der Text die Überheblichkeit einer in pseudowissenschaftlichen Klischees erstickenden Welt. Doch der dramatische Funke will nicht so recht zünden, da Karikaturen statt Menschen agieren und der Chor stets blasses Beiwerk bleibt. Und wenn Sonnenschein uns unendliche lange Schlagwort-Tiraden zur Rettung der Welt frontal in die Ohren bläst, gerät "Unter Eis" gar zu einer hölzern-banalen Bühnenschau, die selbst Arneckes Musik ihrer Durchschlagskraft beraubt. Zarte Buhs kontrastierten den großen Applaus.
2,5 Stunden mit Pause; Aufführungen: 3., 5., 6. Oktober; Karten: 0700 / 20 02 34 56.
Günther Hennecke, Kölnische Rundschau, 1. Oktober 2007
Hochhackige Pumps, enge grüne Röcke, das Blondhaar hoch gesteckt: Junge Damen begrüßen den Gast im Foyer. Über Lautsprecher wird Herr Niemand gesucht. Der Gang durch die Halle zum Schau-Platz des Abends ist mit Niemand-Klonen gespickt. Am Rande einer weiten Wasserfläche erstrahlt ein in grelles Weiß getauchtes großes Zelt. In ihm beherrscht ein Vorstandstisch die Szene (Bühnenraum Alex Harb). Acht Männer hämmern auf ihre Laptops ein. Sie sind Mitarbeiter einer Beraterfirma, Gewinnmaximierung ist ihr Motto. Es ist die Geschichte vom Aufstieg und Niedergang des Paul Niemand, Nobody und Jedermann zugleich. Einsam war er schon immer. Schon als kleiner Junge: "Ich will, dass mich jemand hört!", schreit es aus Paul heraus. Bildlich wie musikalisch ist dieser Auftakt eindringlich.
Dann reißt es Niemand in die Welt der Berater-Kollegen und Konkurrenten. "Motivation" wird zum Hebel, das Letzte aus sich herauszuholen. Doch Paul beginnt nachzulassen - und gerät in die Mangel seiner jüngeren Kollegen Karl Sonnenschein (André Szymanski) und Aurelius Glasenapp (Thomas Wodianka). Ein Kind taucht auf, Aktienkurse murmelnd. Von nun an beherrschen die Jungen die Szene - und wollen sogar ein Musical schreiben. Kultur soll ablenken. Schließlich - der breite Vorstandstisch hat sich über die Wasserfläche weit in den Hintergrund der nun offenen Industriebrache verschoben - tappen Paul und das Kind hilflos im Wasser.
In 13 Szenen brandmarkt der Text die Überheblichkeit einer in pseudowissenschaftlichen Klischees erstickenden Welt. Doch der dramatische Funke will nicht so recht zünden, da Karikaturen statt Menschen agieren und der Chor stets blasses Beiwerk bleibt. Und wenn Sonnenschein uns unendliche lange Schlagwort-Tiraden zur Rettung der Welt frontal in die Ohren bläst, gerät "Unter Eis" gar zu einer hölzern-banalen Bühnenschau, die selbst Arneckes Musik ihrer Durchschlagskraft beraubt. Zarte Buhs kontrastierten den großen Applaus.
2,5 Stunden mit Pause; Aufführungen: 3., 5., 6. Oktober; Karten: 0700 / 20 02 34 56.
Günther Hennecke, Kölnische Rundschau, 1. Oktober 2007