Auf dem Wasser zu Singen (2005/06)
Uraufführung (UA): Hitzacker, 30. Juli 2006, Lothar Odinius (Tenor), Ensemble Resonanz
Auftragskomposition der Sommerlichen Musiktage Hitzacker 2006
Besetzung: Tenor und 18 Streicher (5 - 5 - 4 - 3 - 1)
Dauer: ca. 45 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Auftragskomposition der Sommerlichen Musiktage Hitzacker 2006
Besetzung: Tenor und 18 Streicher (5 - 5 - 4 - 3 - 1)
Dauer: ca. 45 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Einführung
Als Markus Fein mir seine Idee für einen "Wasser"-Zyklus vorstellte, war ich sofort begeistert. Lieder zum Thema Wasser instrumentieren und mit Zwischenspielen versehen – ich habe (um bei den Elementen zu bleiben) gleich Feuer gefangen, sogar zwei andere Stücke zurückgestellt und direkt mit der Auswahl der Texte und mit der Komposition begonnen.
Die Texte sollen eine Geschichte erzählen, das Aufkeimen und Ersterben einer Liebe, dazwischen: Zweifeln und Verzweifeln. Wie anders hört man nach diesen Geschehnissen Schuberts Vertonung von "Meeres Stille" – gerade wenn man die (Toten-)Ruhe von Schuberts letztem Lied aus "Die schöne Müllerin" im Hinterkopf hat. Und das ist ja das Besondere, wenn man einen solchen Zyklus heute zusammenstellt, instrumentiert und komponiert: Man erlebt diese Stücke in Beziehung zu dem vertrauten Schaffen Schuberts und Brahms‘, man erfährt neue Querverbindungen, auch Kontraste, Brüche, Klangschattierungen, Klangverschärfungen.
Genau davon erzählen auch die Intermezzi, die Material aus den Liedern aufnehmen, weiterspinnen, überleiten, meist kurz, verdichtet, in ganz verschiedenen Besetzungen und Konstellationen. Nach und nach entsteht der Bogen des Zyklus: Immer mehr dringt das (musikalische) Geräusch ein, immer ferner scheint das romantische Klangbild zu rücken, wird gedämpft, verklingt, atmet aus. Das letzte Solostück für Violoncello vollzieht dies bis zur Stille – das erste Solostück für Viola eröffnet den Zyklus klangstark und entflieht doch schon in Regionen, in denen Ton zum Geräusch wird.
Die Gesangsstimme habe ich vollkommen unberührt gelassen, die Klavierbegleitung der Schubert- und Brahms-Lieder sehr notengetreu (wenn auch mit zeitgenössischen Techniken) instrumentiert. "Auf dem Wasser zu singen" bleibt ein Singen. Immer noch und immer neu.
Jörn Arnecke, 2006
Lesen Sie auch ein Interview mit Jörn Arnecke aus der Dewezet (Deister- und Weserzeitung Hameln, 12. August 2006) zu "Auf dem Wasser zu singen".
Die Texte sollen eine Geschichte erzählen, das Aufkeimen und Ersterben einer Liebe, dazwischen: Zweifeln und Verzweifeln. Wie anders hört man nach diesen Geschehnissen Schuberts Vertonung von "Meeres Stille" – gerade wenn man die (Toten-)Ruhe von Schuberts letztem Lied aus "Die schöne Müllerin" im Hinterkopf hat. Und das ist ja das Besondere, wenn man einen solchen Zyklus heute zusammenstellt, instrumentiert und komponiert: Man erlebt diese Stücke in Beziehung zu dem vertrauten Schaffen Schuberts und Brahms‘, man erfährt neue Querverbindungen, auch Kontraste, Brüche, Klangschattierungen, Klangverschärfungen.
Genau davon erzählen auch die Intermezzi, die Material aus den Liedern aufnehmen, weiterspinnen, überleiten, meist kurz, verdichtet, in ganz verschiedenen Besetzungen und Konstellationen. Nach und nach entsteht der Bogen des Zyklus: Immer mehr dringt das (musikalische) Geräusch ein, immer ferner scheint das romantische Klangbild zu rücken, wird gedämpft, verklingt, atmet aus. Das letzte Solostück für Violoncello vollzieht dies bis zur Stille – das erste Solostück für Viola eröffnet den Zyklus klangstark und entflieht doch schon in Regionen, in denen Ton zum Geräusch wird.
Die Gesangsstimme habe ich vollkommen unberührt gelassen, die Klavierbegleitung der Schubert- und Brahms-Lieder sehr notengetreu (wenn auch mit zeitgenössischen Techniken) instrumentiert. "Auf dem Wasser zu singen" bleibt ein Singen. Immer noch und immer neu.
Jörn Arnecke, 2006
Lesen Sie auch ein Interview mit Jörn Arnecke aus der Dewezet (Deister- und Weserzeitung Hameln, 12. August 2006) zu "Auf dem Wasser zu singen".
Rezensionen
Gekonnt und mit Fingerspitzengefühl
Einer der Höhepunkte der Sommerlichen Musiktage war die mit einhelligem Beifall gefeierte Uraufführung "Auf dem Wasser zu singen" von Jörn Arnecke. Sieben Lieder von Franz Schubert und Johannes Brahms, die das Wasser zum Thema haben, galt es, durch Intermezzi für Streichorchester miteinander zu verbinden, nachdem ihre Begleitung für dieselbe Besetzung instrumentiert worden war. Eine reizvolle, zugleich schwierige Aufgabe für einen Komponisten, der den Urtext nicht beschädigen, doch in den Intermezzi die eigene Sprache nicht unterdrücken möchte. Das erfordert Fingerspitzengefühl und vor allem Können.
Jörn Arnecke näherte sich den Liedern mit Respekt und raffinierter Satztechnik, was oftmals sogar zur Überhöhung von Ausdrucksnuancen der ursprünglichen Klavierbegleitung führte und Durchblicke auf psychologische Zusammenhänge öffnete. Die verbindenden Intermezzi zeugen von mutiger Intelligenz und einer Sprache, die in den aggressiven Ausbrüchen des 6. Intermezzos mit Tonreihen das zwölftönige Material zwar nahezu ausschöpft, im Gesamtzusammenhang des inhaltlichen Konzepts einer vergehenden Liebe aber eher auf leise Töne setzt. Zumal das Material aus der Stimmung der Lieder oder aus deren Motiven entwickelt wurde, bleiben die Bezüge erkennbar. Der Ring, an dessen Nahtstelle der "Dreifache Klang für Viola solo" steht, schließt sich mit ausgedehntem, im Geräusch verebbendem "Einsamen Gesang" des Cellos.
Mit wandlungsfähiger, auch in exponierter Höhe noch runder Stimme verfolgte Lothar Odinius mit hoher Sensibilität die feinen Verästelungen der Lieder und ihrer Texte. Den anspruchsvollen Instrumentalpart erfüllte das Ensemble Resonanz. (...)
Karla Langehein, Dewezet (Deister- und Weserzeitung Hameln), 14. August 2006
Jörn Arnecke näherte sich den Liedern mit Respekt und raffinierter Satztechnik, was oftmals sogar zur Überhöhung von Ausdrucksnuancen der ursprünglichen Klavierbegleitung führte und Durchblicke auf psychologische Zusammenhänge öffnete. Die verbindenden Intermezzi zeugen von mutiger Intelligenz und einer Sprache, die in den aggressiven Ausbrüchen des 6. Intermezzos mit Tonreihen das zwölftönige Material zwar nahezu ausschöpft, im Gesamtzusammenhang des inhaltlichen Konzepts einer vergehenden Liebe aber eher auf leise Töne setzt. Zumal das Material aus der Stimmung der Lieder oder aus deren Motiven entwickelt wurde, bleiben die Bezüge erkennbar. Der Ring, an dessen Nahtstelle der "Dreifache Klang für Viola solo" steht, schließt sich mit ausgedehntem, im Geräusch verebbendem "Einsamen Gesang" des Cellos.
Mit wandlungsfähiger, auch in exponierter Höhe noch runder Stimme verfolgte Lothar Odinius mit hoher Sensibilität die feinen Verästelungen der Lieder und ihrer Texte. Den anspruchsvollen Instrumentalpart erfüllte das Ensemble Resonanz. (...)
Karla Langehein, Dewezet (Deister- und Weserzeitung Hameln), 14. August 2006
Mitreißende Wassermusik von Jörn Arnecke
Seit Markus Fein 2000 die künstlerische Leitung der Sommerlichen Musiktage Hitzacker übernommen hat, weht dort ein frischer (Rücken-)Wind: Der Publikumsandrang steigt ebenso kontinuierlich wie das mediale Interesse - und dank der Nachwuchsakademie "Festival Fellows" finden auch immer mehr junge Hörer den Weg ins schnucklige Elbstädtchen.
Wichtigste Grundlage des Erfolgs ist Feins Gespür für eine anspruchsvoll-reichhaltige Programmgestaltung, die die "Sommerlichen" zu einem der dramaturgisch profiliertesten Festivals (nicht nur) in Deutschland gemacht hat. Wie facettenreich er auch das diesjährige Motto "Wassermusik" umgesetzt hat, war im Konzert des Ensembles Resonanz eindrücklich zu hören: In der zweiten Hälfte rahmte er die fluktuierenden Minimal-Sounds aus Tüürs "Insula deserta" von 1989 mit Händels dritter "Wassermusik"-Suite und dem virtuosen Vivaldi-Violinkonzert "La tempesta di mare" - dessen rhythmische Patterns bereits Tendenzen der Minimal Music vorwegnehmen.
Herz- und Kopfstück des Programms war jedoch die Uraufführung von Jörn Arneckes Stück "Auf dem Wasser zu singen": ein Auftragswerk des Festivals, für das der Komponist Lieder von Brahms und Schubert zum Thema "Wasser" für Streichorchester arrangiert und durch neue Zwischenspiele zu einem eigenen Zyklus zusammengefügt hat.
Das knapp einstündige, filigran vernetzte Werk vollzieht eine Entwicklung vom einleitenden, klangvollen Monolog der Viola bis zum geräuschhaften Verstummen des Cellos, das am Ende nur noch tonlos am Saitenhalter gestrichen wird. So interpretiert Arnecke die sieben Lieder als Stationen eines allmählichen Rückzugs: Vom Überschwang des frühen Liebesglücks ("Meerfahrt") bis zur resignativen Starre in Schuberts "Meeres Stille". Eine schlüssige, farbenreiche und emotional dichte Rekomposition, deren expressiver Höhepunkt "Auf dem Flusse" ein letztes Mal die Schmerzen vergangener Leidenschaft aufreißt.
In dem Tenor Lothar Odinius fand Arneckes Zyklus einen gestalterisch mitunter mitreißenden, sängerisch allerdings nicht immer souveränen Protagonisten, der vor allem in der tiefen Lage unüberhörbar mit Intonationsproblemen zu kämpfen hatte. Das Ensemble Resonanz hingegen - wie so oft auch ohne Dirigenten hoch konzentriert - konnte einmal mehr seine stilistische Flexibilität und ansteckende Spielfreude demonstrieren, die das Konzert zu einem packenden Erlebnis machte.
Stä, Hamburger Abendblatt, 1. August 2006
Wichtigste Grundlage des Erfolgs ist Feins Gespür für eine anspruchsvoll-reichhaltige Programmgestaltung, die die "Sommerlichen" zu einem der dramaturgisch profiliertesten Festivals (nicht nur) in Deutschland gemacht hat. Wie facettenreich er auch das diesjährige Motto "Wassermusik" umgesetzt hat, war im Konzert des Ensembles Resonanz eindrücklich zu hören: In der zweiten Hälfte rahmte er die fluktuierenden Minimal-Sounds aus Tüürs "Insula deserta" von 1989 mit Händels dritter "Wassermusik"-Suite und dem virtuosen Vivaldi-Violinkonzert "La tempesta di mare" - dessen rhythmische Patterns bereits Tendenzen der Minimal Music vorwegnehmen.
Herz- und Kopfstück des Programms war jedoch die Uraufführung von Jörn Arneckes Stück "Auf dem Wasser zu singen": ein Auftragswerk des Festivals, für das der Komponist Lieder von Brahms und Schubert zum Thema "Wasser" für Streichorchester arrangiert und durch neue Zwischenspiele zu einem eigenen Zyklus zusammengefügt hat.
Das knapp einstündige, filigran vernetzte Werk vollzieht eine Entwicklung vom einleitenden, klangvollen Monolog der Viola bis zum geräuschhaften Verstummen des Cellos, das am Ende nur noch tonlos am Saitenhalter gestrichen wird. So interpretiert Arnecke die sieben Lieder als Stationen eines allmählichen Rückzugs: Vom Überschwang des frühen Liebesglücks ("Meerfahrt") bis zur resignativen Starre in Schuberts "Meeres Stille". Eine schlüssige, farbenreiche und emotional dichte Rekomposition, deren expressiver Höhepunkt "Auf dem Flusse" ein letztes Mal die Schmerzen vergangener Leidenschaft aufreißt.
In dem Tenor Lothar Odinius fand Arneckes Zyklus einen gestalterisch mitunter mitreißenden, sängerisch allerdings nicht immer souveränen Protagonisten, der vor allem in der tiefen Lage unüberhörbar mit Intonationsproblemen zu kämpfen hatte. Das Ensemble Resonanz hingegen - wie so oft auch ohne Dirigenten hoch konzentriert - konnte einmal mehr seine stilistische Flexibilität und ansteckende Spielfreude demonstrieren, die das Konzert zu einem packenden Erlebnis machte.
Stä, Hamburger Abendblatt, 1. August 2006
Über den Steg in den rauschenden Fluss
"Wasser-Musik" lautet das Motto der 61. Sommerlichen Musiktage in Hitzacker. Präsentiert wird das ansehnliches Lied-Panorama vom Komponisten Jörn Arnecke
"Wasser-Musik" lautet das Motto der 61. Sommerlichen Musiktage in Hitzacker. Präsentiert wird das ansehnliches Lied-Panorama vom Komponisten Jörn Arnecke
Wasser ist ein Segen, Wasser ist ein Fluch. Wer es trinkt, hält sich am Leben, wer ertrinkt, holt sich den Tod. Das kühle Nass vom nassen Grab trennt für den Romantiker nur eine schiefgegangene Liebe, davon legen unzählige Gedichte und Geschichten Zeugnis ab. Doch den Januskopf des Wassers fürchten nicht nur die unglücklich Liebenden. Viele, die an Ufern wohnen, kennen die mörderische Launenhaftigkeit des Elements - Riesenwellen, Überschwemmungen, Sturmfluten und die Dürre bis zum Versiegen. Auch die Bewohner der Stadt Hitzacker, die dieser Tage ihre 61. Sommerlichen Musiktage begehen, haben in der jüngsten Vergangenheit eher mit der Zerstörungskraft als mit der Beschaulichkeit der Elbe ihre Erfahrungen machen müssen. Um so erstaunlicher, wie verspielt das Plakatmotiv der Musiktage das Untergehen in den Fluten aufnimmt: da baden eine Violine, eine Viola und eine Posaune neben einer Wasserpflanze - im Goldfischglas. "Wasser-Musik" lautet das diesjährige Motto des Festivals, das in fantasievollen Werkzusammenstellungen noch bis kommenden Sonnabend dem Reiche Neptuns huldigen will. Bei den ersten beiden Konzertabenden am Wochenende lag der Schwerpunkt auf aquatischen Klängen des 20. und 21. Jahrhunderts.
Der Hamburger Komponist Jörn Arnecke hatte vom Festival den Auftrag erhalten, einige der am Wasser gebauten Lieder von Brahms und Schubert zu einem Zyklus zusammenzufassen, den Klavierpart für die Streicher des Ensembles Resonanz zu arrangieren und die Lieder mit Zwischenspielen zu verbinden. Arnecke wählte sieben Bach-, Fluss- und Meereslieder, die er unter dem einem Schubertlied entlehnten Titel "Auf dem Wasser zu singen" zusammenfasste. Der Bogen zieht sich von anfänglicher Verheißung und Lebensfreude rasch nach innen zurück, er führt über den Zweifel zur Verzweiflung. Lothar Odinius gab mit seiner berückend schönen Tenorstimme dem Liebesjubel, dem leise bebenden Zorn des Enttäuschten und der Todesnähe in "Meeres Stille" ihren je eigenen Klang, der umso mehr berührte, als dem Sänger alles Posieren fremd ist, und seine gestalterische Kraft allein der Musik dienstbar.
Arneckes fein gewirkte Intermezzi reflektieren zum einen Bruchstücke des Materials der Lieder, tauchen aber zugleich tief in die Empfindungswelt ein, die diese Lieder evozieren. Mochte das Primo Intermezzo mit seinen irisierenden Diskantklängen noch an einen sommerlichen Mückenschwarm mit vorbeihuschenden Libellen am Ufer eines Bachs erinnern, so versenkt sich die Musik zusehends in die inneren Zustände des lyrischen Ichs, besonders deutlich bei den mikrotonalen Melismen der Seelenpein, die Arnecke als transparent klingende Klagemauer zwischen "Auf dem Flusse" und "Liebestreu" gefügt hat. Wie ein Architekt, der ein Ensemble alter Gebäude behutsam mit modernen Materialien und eigenen gestalterischen Akzenten zu etwas ganz Neuem verbindet, hat Arnecke hier ein ausgesprochen ansehnliches Panorama geschaffen.
Ganz im Geiste der Ahnen verlöscht am Ende der Atem im leisen Geräusch des Cellobogens, der erst über den Steg, dann über den Korpus und schließlich nur noch über den Saitenhalter streicht - Klang gewordener Ausdruck eines Schmerzes über den Verlust von etwas, das man nie besaß.
Die ehrgeizige Benjamin-Britten-Revue "The Sea Inside", die Yaroslav Ivanenko vom Hamburg Ballett für Hitzacker konzipiert hatte, ließ am Abend zuvor mehr Wünsche offen. Zum einen hätte mithilfe eines Dirigenten doch manche Koordinationsunsicherheit im Ensemble Resonanz vermieden werden können. Vor allem aber blieb Ivanenkos etwas nebulöse, zwischen Traum und Wirklichkeit, Paradies und Irdischem oszillierende Choreographie tänzerisch bis zuletzt unentschieden zwischen Modernität, Varieté und allzu Neckischem.
Tom R. Schulz, Die Welt, 1. August 2006
Der Hamburger Komponist Jörn Arnecke hatte vom Festival den Auftrag erhalten, einige der am Wasser gebauten Lieder von Brahms und Schubert zu einem Zyklus zusammenzufassen, den Klavierpart für die Streicher des Ensembles Resonanz zu arrangieren und die Lieder mit Zwischenspielen zu verbinden. Arnecke wählte sieben Bach-, Fluss- und Meereslieder, die er unter dem einem Schubertlied entlehnten Titel "Auf dem Wasser zu singen" zusammenfasste. Der Bogen zieht sich von anfänglicher Verheißung und Lebensfreude rasch nach innen zurück, er führt über den Zweifel zur Verzweiflung. Lothar Odinius gab mit seiner berückend schönen Tenorstimme dem Liebesjubel, dem leise bebenden Zorn des Enttäuschten und der Todesnähe in "Meeres Stille" ihren je eigenen Klang, der umso mehr berührte, als dem Sänger alles Posieren fremd ist, und seine gestalterische Kraft allein der Musik dienstbar.
Arneckes fein gewirkte Intermezzi reflektieren zum einen Bruchstücke des Materials der Lieder, tauchen aber zugleich tief in die Empfindungswelt ein, die diese Lieder evozieren. Mochte das Primo Intermezzo mit seinen irisierenden Diskantklängen noch an einen sommerlichen Mückenschwarm mit vorbeihuschenden Libellen am Ufer eines Bachs erinnern, so versenkt sich die Musik zusehends in die inneren Zustände des lyrischen Ichs, besonders deutlich bei den mikrotonalen Melismen der Seelenpein, die Arnecke als transparent klingende Klagemauer zwischen "Auf dem Flusse" und "Liebestreu" gefügt hat. Wie ein Architekt, der ein Ensemble alter Gebäude behutsam mit modernen Materialien und eigenen gestalterischen Akzenten zu etwas ganz Neuem verbindet, hat Arnecke hier ein ausgesprochen ansehnliches Panorama geschaffen.
Ganz im Geiste der Ahnen verlöscht am Ende der Atem im leisen Geräusch des Cellobogens, der erst über den Steg, dann über den Korpus und schließlich nur noch über den Saitenhalter streicht - Klang gewordener Ausdruck eines Schmerzes über den Verlust von etwas, das man nie besaß.
Die ehrgeizige Benjamin-Britten-Revue "The Sea Inside", die Yaroslav Ivanenko vom Hamburg Ballett für Hitzacker konzipiert hatte, ließ am Abend zuvor mehr Wünsche offen. Zum einen hätte mithilfe eines Dirigenten doch manche Koordinationsunsicherheit im Ensemble Resonanz vermieden werden können. Vor allem aber blieb Ivanenkos etwas nebulöse, zwischen Traum und Wirklichkeit, Paradies und Irdischem oszillierende Choreographie tänzerisch bis zuletzt unentschieden zwischen Modernität, Varieté und allzu Neckischem.
Tom R. Schulz, Die Welt, 1. August 2006
Frage nach der Utopie
Jörn Arneckes "Auf dem Wasser zu singen" uraufgeführt
Jörn Arneckes "Auf dem Wasser zu singen" uraufgeführt
Zum Schluss bleibt Angst, bleibt trotzige Verzweiflung, und auch sie scheitert: Ein Violoncello will Emotionen erneut heraufbeschwören, die den Beginn von Jörn Arneckes "Auf dem Wasser zu singen" bestimmen. Doch der "Einsame Gesang" bleibt ungehört, die Musik verwandelt sich, ist immer weniger vom Geräusch geschieden.
Wie anders, wie bunt waren doch die Klänge, mit der Jörn Arnecke am Beginn Schuberts Lied "Auf dem Wasser zu singen" orchestriert hat - nur dass sie manchmal in ihrer ländlernden Seligkeit den Optimismus zu dick auftragen wirkt im Rückblick wie ein Hinweis das Verstummen am Schluss. Im Auftrag der Sommerlichen Musiktage Hitzacker hat der junge Komponist sieben Lieder von Schubert und Brahms orchestriert, durch neun Intermezzi verbunden und mit einem Prolog und einem Epilog versehen. "Auf dem Wasser zu singen" ist der Titel des Werks, das von heute aus nach der noch immer nicht eingelösten utopischen Idee des freien Subjekts und der mit dieser Idee untrennbar verbundenen Kunst fragt; eine Idee, die gerade im titelgebenden Lied Schuberts exemplarisch formuliert ist. Der vorangeschickte, von aufwühlenden Kontrasten geprägte Ruf des "Dreifachen Klangs" für Viola solo lässt ahnen, welch Sprengkraft diese Utopie hatte. Von Schuberts utopischem Lied ausgehend reduziert Arnecke die Musik immer mehr; die Farbigkeit, die anfängliche Üppigkeit der Orchestrierung weichen einer sich ausbreitenden Eindimensionalität, einer immer dünneren Klanglichkeit. Die "Meerfahrt", der "Tränenregen", "Der Strom, der neben mir verrauschte" - diese Lieder von Schubert und Brahms markieren Stationen dieses Prozesses. Dann folgt Schuberts "Auf dem Flusse", an dessen Ende ein letztes Sichaufbäumen steht, dem das Orchester mit einem jähen Crescendo, einer unvermittelten Vehemenz Bahn brechen will. Doch in Brahmsens "Liebestreu", das folgt, herrscht schon Resignation, auch wenn Gesang und Orchester noch daran zweifeln. Mit Schuberts "Meeres Stille" erstarrt die Welt und mit ihr das lyrische Ich. Dieses Ich durchmisst in dem fesselnden Werk Jörn Arneckes eine riesiges Spektrum von Erleben und Gefühlen - der Tenor Lothar Odinius, der bereits bei den Britten-Liedern am Sonnabend begeistert hatte, gestaltete diese Welten mit souverän; ihm reichten intime Nuancen des Ausdrucks, um Stimmungen zu verwandeln. Wo musikalisch passend, selten also, ergänzte er den versonnenen Gestus energisch-markant, dabei aber nie über das absolut Notwendige hinausgehend. Die Bravos, die am Ende erklangen, galten dem Sänger genau so wie dem Orchester und den Solisten Miriam Götting (Viola) und Patrick Sepec (Violoncello). Der absolut präzise intonierende Klangkörper gestaltete sowohl die orchestrierten Lieder wie auch die neun Intermezzi mit Souveränität und aufmerksamen Blick für die Wirkung des Details. In den Intermezzi tritt die Musik quasi in die Rolle eines kommentierenden Zuhörers, etwa wenn das Orchester im "Terzo Intermezzo" die Bewegtheit und das romantische Gefühl der vorangegangenen "Meerfahrt" in seltsam unklaren Rhythmen und Farben auflöst. Der zweite Teil des Programms war dann bestenfalls durch das Oberthema Wasser mit dem ersten verbunden: Eine von Händels Wasser-Musiken, leichthändig und poliert gespielt; die zwar hervorragend musizierte, aber doch arg eklektische "Isola deserta" des Esten Erkki-Sven Tüür und ein absolut auf Virtuosität und Tempo getrimmter "Tempesta di Mare" von Vivaldi (Solistin: Juditha Haeberlin; rasant bis an die Grenzen) arbeiteten eher gegen die Dichte und Spannung, die im ersten Teil des Abends entstanden waren.
tj, Elbe-Jeetzel-Zeitung, 1. August 2006
Wie anders, wie bunt waren doch die Klänge, mit der Jörn Arnecke am Beginn Schuberts Lied "Auf dem Wasser zu singen" orchestriert hat - nur dass sie manchmal in ihrer ländlernden Seligkeit den Optimismus zu dick auftragen wirkt im Rückblick wie ein Hinweis das Verstummen am Schluss. Im Auftrag der Sommerlichen Musiktage Hitzacker hat der junge Komponist sieben Lieder von Schubert und Brahms orchestriert, durch neun Intermezzi verbunden und mit einem Prolog und einem Epilog versehen. "Auf dem Wasser zu singen" ist der Titel des Werks, das von heute aus nach der noch immer nicht eingelösten utopischen Idee des freien Subjekts und der mit dieser Idee untrennbar verbundenen Kunst fragt; eine Idee, die gerade im titelgebenden Lied Schuberts exemplarisch formuliert ist. Der vorangeschickte, von aufwühlenden Kontrasten geprägte Ruf des "Dreifachen Klangs" für Viola solo lässt ahnen, welch Sprengkraft diese Utopie hatte. Von Schuberts utopischem Lied ausgehend reduziert Arnecke die Musik immer mehr; die Farbigkeit, die anfängliche Üppigkeit der Orchestrierung weichen einer sich ausbreitenden Eindimensionalität, einer immer dünneren Klanglichkeit. Die "Meerfahrt", der "Tränenregen", "Der Strom, der neben mir verrauschte" - diese Lieder von Schubert und Brahms markieren Stationen dieses Prozesses. Dann folgt Schuberts "Auf dem Flusse", an dessen Ende ein letztes Sichaufbäumen steht, dem das Orchester mit einem jähen Crescendo, einer unvermittelten Vehemenz Bahn brechen will. Doch in Brahmsens "Liebestreu", das folgt, herrscht schon Resignation, auch wenn Gesang und Orchester noch daran zweifeln. Mit Schuberts "Meeres Stille" erstarrt die Welt und mit ihr das lyrische Ich. Dieses Ich durchmisst in dem fesselnden Werk Jörn Arneckes eine riesiges Spektrum von Erleben und Gefühlen - der Tenor Lothar Odinius, der bereits bei den Britten-Liedern am Sonnabend begeistert hatte, gestaltete diese Welten mit souverän; ihm reichten intime Nuancen des Ausdrucks, um Stimmungen zu verwandeln. Wo musikalisch passend, selten also, ergänzte er den versonnenen Gestus energisch-markant, dabei aber nie über das absolut Notwendige hinausgehend. Die Bravos, die am Ende erklangen, galten dem Sänger genau so wie dem Orchester und den Solisten Miriam Götting (Viola) und Patrick Sepec (Violoncello). Der absolut präzise intonierende Klangkörper gestaltete sowohl die orchestrierten Lieder wie auch die neun Intermezzi mit Souveränität und aufmerksamen Blick für die Wirkung des Details. In den Intermezzi tritt die Musik quasi in die Rolle eines kommentierenden Zuhörers, etwa wenn das Orchester im "Terzo Intermezzo" die Bewegtheit und das romantische Gefühl der vorangegangenen "Meerfahrt" in seltsam unklaren Rhythmen und Farben auflöst. Der zweite Teil des Programms war dann bestenfalls durch das Oberthema Wasser mit dem ersten verbunden: Eine von Händels Wasser-Musiken, leichthändig und poliert gespielt; die zwar hervorragend musizierte, aber doch arg eklektische "Isola deserta" des Esten Erkki-Sven Tüür und ein absolut auf Virtuosität und Tempo getrimmter "Tempesta di Mare" von Vivaldi (Solistin: Juditha Haeberlin; rasant bis an die Grenzen) arbeiteten eher gegen die Dichte und Spannung, die im ersten Teil des Abends entstanden waren.
tj, Elbe-Jeetzel-Zeitung, 1. August 2006