ÄTHER (2006)
Uraufführung (UA): Berlin, Akademie der Künste, 11. Mai 2007;
Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio des NDR, 12. Mai 2007
Claudia Barainsky (Sopran), Scharoun Ensemble
Auftragswerk der Ilse und Dr. Horst Rusch-Stiftung
Besetzung: Sopran, Trompete (B), Klarinette / Bassklarinette, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass
Dauer: ca. 11 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio des NDR, 12. Mai 2007
Claudia Barainsky (Sopran), Scharoun Ensemble
Auftragswerk der Ilse und Dr. Horst Rusch-Stiftung
Besetzung: Sopran, Trompete (B), Klarinette / Bassklarinette, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass
Dauer: ca. 11 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Einführung
Viel wertvoller, als einen vorgefertigten Text zu vertonen, ist für mich das gemeinsame Entwickeln einer Stückidee mit einer Autorin oder einem Autor. Ich habe deshalb einen Text-Auftrag erteilt an die Berliner Dichterin Hannah Dübgen. So setzten wir unsere Zusammenarbeit fort, die schon zum Kammerstück „Terra maligna“ für Sopran und Instrumente geführt hatte. Unser Ausgangspunkt war das gegebene Stichwort „Urbanisierung“: Worte, Klänge, Menschen einer Stadt. Stimmen über Stimmen, gesungen, gesprochen, geflüstert; Gewirr von Geschichten, Gedanken; ein Geflecht von Bedeutungen – wie schon im Titel: „Äther“.
Jörn Arnecke, 2007
Hannah Dübgens Text zu "Äther" finden Sie hier.
Jörn Arnecke, 2007
Hannah Dübgens Text zu "Äther" finden Sie hier.
Rezensionen
"das neue werk": Sechs Versuche über den Klang der Großstadt
Es gab keine Wertungsrichter im Liebermann- Studio, auch keine zwölf Punkte wie beim zeitgleich stattfindenden Grand Prix. Das "neue werk"-Konzert des NDR wollte mit Kammermusikarbeiten von Hamburger und Berliner Komponisten vorführen, was das Thema Urbanität hergeben könnte, wenn ein Gesangspart obligatorisch ist und alles andere möglich.
Als Interpreten hatte man eine Abordnung der Berliner Philharmoniker engagiert, das erstklassig agierende Scharoun-Ensemble. Die sonst so gern geschürte Konkurrenz der Metropolen interessierte bei dieser Aufgabenstellung nicht. Keine schlechte Idee. Dabei gerieten allerdings auch zwei zähe Geduldsproben ins Programm, die alle Vorurteile bestätigten, mit denen die angeblich so verkopfte zeitgenössische Musik mitunter zu kämpfen hat. Kostproben jener Aufträge, die der ehemalige Staatsopern-Chef und Komponist Peter Ruzicka - offensichtlich ganz nach seinem Geschmacksvorbild - für die Münchner Biennale vergeben hat. Man kann sich jedenfalls lebhaft vorstellen, wie das Publikum dort nach stundenlanger Beschallung bedeutungsüberladen und geläutert von dannen wanken wird und sich entnervt zu Mozart, Beethoven und Co. ins nächstbeste Abo-Konzert zurücksehnt.
Phillip Maintz' "fluchtlinie" verödete in zerfasernder Beliebigkeit rauschhafte Fantasien des Comte de Lautréamont, Enno Poppe unterlegte in seinen "Drei Arbeiten" Episoden aus dem Inselleben Robinson Crusoes mit der motorischen Geschäftigkeit eines Schlagzeugers, kam nur leider nicht über sturzlangweiligen Leerlauf hinaus.
Dass es auch anders, intelligenter, packend und faszinierend geht, bewiesen die drei anderen Stücke: Jörn Arneckes "Äther" schaffte es, die Irrungen und Wirrungen modernen Großstadtdaseins in ein manisch flirrendes Klangbild zu transponieren. Babette Koblenz' "lost maps" klangen, als ob sie bei der Komposition viel von Philipp Glass gehört und gelernt hätte, ohne sich deswegen in minimalistischen Einbahnstraßen zu verirren - elegant und clever. Am beeindruckendsten, weil kompromisslosesten war allerdings Jan Müller-Wielands "Im Krieg", ein Fieberwahn leiser Verzweiflung, in dem Claudia Barainskys großartiger Sopran ohne Halt und ohne Hoffnung in höchsten Lagen über brüchige Instrumentalstrukturen hinweg irrlichterte.
jomi, Hamburger Abendblatt, 14. Mai 2007
Als Interpreten hatte man eine Abordnung der Berliner Philharmoniker engagiert, das erstklassig agierende Scharoun-Ensemble. Die sonst so gern geschürte Konkurrenz der Metropolen interessierte bei dieser Aufgabenstellung nicht. Keine schlechte Idee. Dabei gerieten allerdings auch zwei zähe Geduldsproben ins Programm, die alle Vorurteile bestätigten, mit denen die angeblich so verkopfte zeitgenössische Musik mitunter zu kämpfen hat. Kostproben jener Aufträge, die der ehemalige Staatsopern-Chef und Komponist Peter Ruzicka - offensichtlich ganz nach seinem Geschmacksvorbild - für die Münchner Biennale vergeben hat. Man kann sich jedenfalls lebhaft vorstellen, wie das Publikum dort nach stundenlanger Beschallung bedeutungsüberladen und geläutert von dannen wanken wird und sich entnervt zu Mozart, Beethoven und Co. ins nächstbeste Abo-Konzert zurücksehnt.
Phillip Maintz' "fluchtlinie" verödete in zerfasernder Beliebigkeit rauschhafte Fantasien des Comte de Lautréamont, Enno Poppe unterlegte in seinen "Drei Arbeiten" Episoden aus dem Inselleben Robinson Crusoes mit der motorischen Geschäftigkeit eines Schlagzeugers, kam nur leider nicht über sturzlangweiligen Leerlauf hinaus.
Dass es auch anders, intelligenter, packend und faszinierend geht, bewiesen die drei anderen Stücke: Jörn Arneckes "Äther" schaffte es, die Irrungen und Wirrungen modernen Großstadtdaseins in ein manisch flirrendes Klangbild zu transponieren. Babette Koblenz' "lost maps" klangen, als ob sie bei der Komposition viel von Philipp Glass gehört und gelernt hätte, ohne sich deswegen in minimalistischen Einbahnstraßen zu verirren - elegant und clever. Am beeindruckendsten, weil kompromisslosesten war allerdings Jan Müller-Wielands "Im Krieg", ein Fieberwahn leiser Verzweiflung, in dem Claudia Barainskys großartiger Sopran ohne Halt und ohne Hoffnung in höchsten Lagen über brüchige Instrumentalstrukturen hinweg irrlichterte.
jomi, Hamburger Abendblatt, 14. Mai 2007
Expressionistische Großstadt-Balladen
Fünf statt sechs Uraufführungen beim "Neuen Werk" des NDR im Rolf Liebermann Studio - Aus dem geplanten Beitrag "Alles" wurde nichts
Fünf statt sechs Uraufführungen beim "Neuen Werk" des NDR im Rolf Liebermann Studio - Aus dem geplanten Beitrag "Alles" wurde nichts
Berlin und Hamburg in der Literatur - war da nicht was? Na klar, Alfred Döblin: "Berlin Alexanderplatz". Und, Mahnmal der Hamburger Bombennächte, Hans Erich Nossacks "Der Untergang". Gegenwartsnäher: Günter Kunerts "Tagträume in Berlin und anderorts". Und Hubert Fichtes Roman "Die Palette", der mit dem denkwürdigen Satz beginnt: "Jäcki geht über den Gänsemarkt". Falls Lyrik gewünscht: die Großstadt-Ballade "Berlin" des Expressionisten Johannes R. Becher, oder Peter Rühmkorfs frecher Asphalt-Gesang "Im Fahrtwind". Wie wär's schließlich mit Fundstücken vom Literaturbasar "Hamburg ist Slamburg"?
Doch gemach. Das Literaturthema, das die NDR-Redaktion "das neue werk" sechs jüngeren Komponisten aus Berlin und Hamburg auf Kosten der Rusch-Stiftung aufgab, war wohlweislich weiter gefasst. Von "urbanen Themen in der zeitgenössischen Literatur" war da die Rede gewesen, in Musik zu setzen für Stimme und Kammersolisten vom Schlage des Berliner Scharoun-Ensembles, das hiermit - geleitet von Marcus Creed, dem Leiter des SWR Vokalensembles - sein umjubeltes Debüt am NDR gab. Wie sich beim Uraufführungsmarathon im Rolf-Liebermann-Studio herausstellte, gingen die Komponisten bei der Textsuche gleich in sich selbst, an den Schreibtisch einer dichtenden Gattin oder ans Brevier einer literarischen Freundin.
Von jeher der Sprachmusik angelsächsischer Poesie verfallen, schuf die Hamburger Komponistin und Ligeti-Schülerin Babette Koblenz ein deutsch-englisches Text-Staccato "Lost Maps" (verlorene Landkarten). Im verstädterten Nirgendwo sucht sie nach einem still-vergessenen Irgendwo. Als Menschenmund im City-Gestöber entzieht sich der bedächtig deklamierende Bariton dem irisierend eilenden Klangfluss des Ensembles, das die Welt bedeutet. Den Kriegsbildern, die den Tagesthemen-Zuschauer in den Schlaf trommeln, widmete der gleichfalls in Hamburg geborene Jan Müller-Wieland ein "taumelnd tappendes" Stück für Sopran, Schlagzeug, Klavier, Trompete, Horn und zwei fern stehende Violinen ("Im Krieg - Hochhauslied"). Es beruht auf einem Kurzgedicht seiner Frau Birgit, das der Komponist rücklaufend, quasi spiegelbildlich weiterspann.
Der in Berlin und Paris lebende Philipp Maintz, dessen "geborstenes Lied" hier kürzlich mit dem Ensemble Intégrales viel Anklang fand, nahm es mit einem metaphorisch überbordenden Prosatext des Comte de Lautréamont auf, einem Vorläufer der Surrealisten. Der "Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch habe ihm beim Komponieren immer vor Augen gestanden, bekennt der Komponist. Eigentlich hatte er seine farbschillernde Gesangszene "Fluchtlinie" dem Bariton Georg Nigl zugedacht, der krankheitshalber absagen musste. Kurzfristig einspringend, rettete Sebastian Noack nicht nur die "Fluchtlinie", sondern auch die Robinson Crusoe zugeschanzten "Drei Arbeiten" des Berliner Komponistensterns Enno Poppe, den das "neue werk" am 31. Mai und 1. Juni herausstellen wird, vor unliebsamen Verbiegungen. Die eigentlichen Stimmwunder des Abends aber vollbrachte die Sopranistin Claudia Barainsky, die den leicht an Schönbergs "Pierrot lunaire" erinnernden Zyklus "Äther" des feinsinnigen Hamburger Musikdramatikers Jörn Arnecke hoch über das Dickicht der Städte hinaushob. Aus dem geplanten Programmbeitrag "Alles" des Russen Sergej Newski wurde nichts.
Lutz Lesle, Die Welt, 14. Mai 2007
Doch gemach. Das Literaturthema, das die NDR-Redaktion "das neue werk" sechs jüngeren Komponisten aus Berlin und Hamburg auf Kosten der Rusch-Stiftung aufgab, war wohlweislich weiter gefasst. Von "urbanen Themen in der zeitgenössischen Literatur" war da die Rede gewesen, in Musik zu setzen für Stimme und Kammersolisten vom Schlage des Berliner Scharoun-Ensembles, das hiermit - geleitet von Marcus Creed, dem Leiter des SWR Vokalensembles - sein umjubeltes Debüt am NDR gab. Wie sich beim Uraufführungsmarathon im Rolf-Liebermann-Studio herausstellte, gingen die Komponisten bei der Textsuche gleich in sich selbst, an den Schreibtisch einer dichtenden Gattin oder ans Brevier einer literarischen Freundin.
Von jeher der Sprachmusik angelsächsischer Poesie verfallen, schuf die Hamburger Komponistin und Ligeti-Schülerin Babette Koblenz ein deutsch-englisches Text-Staccato "Lost Maps" (verlorene Landkarten). Im verstädterten Nirgendwo sucht sie nach einem still-vergessenen Irgendwo. Als Menschenmund im City-Gestöber entzieht sich der bedächtig deklamierende Bariton dem irisierend eilenden Klangfluss des Ensembles, das die Welt bedeutet. Den Kriegsbildern, die den Tagesthemen-Zuschauer in den Schlaf trommeln, widmete der gleichfalls in Hamburg geborene Jan Müller-Wieland ein "taumelnd tappendes" Stück für Sopran, Schlagzeug, Klavier, Trompete, Horn und zwei fern stehende Violinen ("Im Krieg - Hochhauslied"). Es beruht auf einem Kurzgedicht seiner Frau Birgit, das der Komponist rücklaufend, quasi spiegelbildlich weiterspann.
Der in Berlin und Paris lebende Philipp Maintz, dessen "geborstenes Lied" hier kürzlich mit dem Ensemble Intégrales viel Anklang fand, nahm es mit einem metaphorisch überbordenden Prosatext des Comte de Lautréamont auf, einem Vorläufer der Surrealisten. Der "Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch habe ihm beim Komponieren immer vor Augen gestanden, bekennt der Komponist. Eigentlich hatte er seine farbschillernde Gesangszene "Fluchtlinie" dem Bariton Georg Nigl zugedacht, der krankheitshalber absagen musste. Kurzfristig einspringend, rettete Sebastian Noack nicht nur die "Fluchtlinie", sondern auch die Robinson Crusoe zugeschanzten "Drei Arbeiten" des Berliner Komponistensterns Enno Poppe, den das "neue werk" am 31. Mai und 1. Juni herausstellen wird, vor unliebsamen Verbiegungen. Die eigentlichen Stimmwunder des Abends aber vollbrachte die Sopranistin Claudia Barainsky, die den leicht an Schönbergs "Pierrot lunaire" erinnernden Zyklus "Äther" des feinsinnigen Hamburger Musikdramatikers Jörn Arnecke hoch über das Dickicht der Städte hinaushob. Aus dem geplanten Programmbeitrag "Alles" des Russen Sergej Newski wurde nichts.
Lutz Lesle, Die Welt, 14. Mai 2007