Ariadne (1999)
Uraufführung (UA): München, Carl-Orff-Saal im Gasteig (Münchener Biennale), 18. Mai 2000
Auftragswerk der Münchener Biennale
Kollektivkomposition mit Sascha Lemke, Nicki Marinic, Arvid Ong, Sean Reed, Sebastian Sprenger, Yotin Tiewtrakul
Martina Hamberg-Möbius (Ariadne), Hanno Andersen (Flüchtling), Michael Doumas (Theseus)
Musikalische Leitung: Frank Löhr, Inszenierung: Stefan Herheim
Besetzung Solisten:
Ariadne - Mezzosopran, Flüchtling - Bariton, Theseus - Sprecher
Besetzung Ensemble:
Fl (auch Picc) - Kl (auch Bkl); Pos;
Git (auch E-Git); Sz (1 Sp); Klav (auch Cel)
Vl - Va - Vc - Kb
Dauer: 15 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Auftragswerk der Münchener Biennale
Kollektivkomposition mit Sascha Lemke, Nicki Marinic, Arvid Ong, Sean Reed, Sebastian Sprenger, Yotin Tiewtrakul
Martina Hamberg-Möbius (Ariadne), Hanno Andersen (Flüchtling), Michael Doumas (Theseus)
Musikalische Leitung: Frank Löhr, Inszenierung: Stefan Herheim
Besetzung Solisten:
Ariadne - Mezzosopran, Flüchtling - Bariton, Theseus - Sprecher
Besetzung Ensemble:
Fl (auch Picc) - Kl (auch Bkl); Pos;
Git (auch E-Git); Sz (1 Sp); Klav (auch Cel)
Vl - Va - Vc - Kb
Dauer: 15 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Einführung
Antike Mythen können sehr spannend sein. Aber ehrlich gesagt: Ich lese lieber Zeitung. Etwa jene Geschichte einer kosovo-albanischen Frau, die von ihrem Mann gewaltsam getrennt wurde und die alte Familienfotos auslegte, um ihm den Weg zu ihr zu weisen: "Der markierte Weg führte über die Berge bis zur Grenze."
Diese Menschen leben heute, nicht weit von uns. Das Biennale-Motto "Über die Grenzen" erfüllt sich bei ihnen brutal wörtlich als tragische Treibjagd, es trifft die äußere Geschichte dieser Menschen wie die innere.
Aus solchen Momenten muss Musiktheater entstehen. Aus Momenten, die berühren; Momenten, die uns den Atem stocken lassen und Stoff zum tiefen Nachdenken geben. Und dann bewahrheitet sich, dass viele dieser Geschichten doch Bezüge zum Mythos aufweisen - in diesem Fall zum Ariadnefaden, mit dem Ariadne Theseus den Weg aus dem Labyrinth wies.
Ich habe noch nichts über meine Musik geschrieben. Theoretische Texte über Musik können sehr spannend sein. Aber ehrlich gesagt: Ist es es nicht viel spannender, die Musik selbst zu hören!?
Jörn Arnecke, 2000
Diese Menschen leben heute, nicht weit von uns. Das Biennale-Motto "Über die Grenzen" erfüllt sich bei ihnen brutal wörtlich als tragische Treibjagd, es trifft die äußere Geschichte dieser Menschen wie die innere.
Aus solchen Momenten muss Musiktheater entstehen. Aus Momenten, die berühren; Momenten, die uns den Atem stocken lassen und Stoff zum tiefen Nachdenken geben. Und dann bewahrheitet sich, dass viele dieser Geschichten doch Bezüge zum Mythos aufweisen - in diesem Fall zum Ariadnefaden, mit dem Ariadne Theseus den Weg aus dem Labyrinth wies.
Ich habe noch nichts über meine Musik geschrieben. Theoretische Texte über Musik können sehr spannend sein. Aber ehrlich gesagt: Ist es es nicht viel spannender, die Musik selbst zu hören!?
Jörn Arnecke, 2000
Nur nicht den Faden verlieren: Welcher Mann gelangt zu Ariadne (Martina Hamberg-Möbius) - der
Flüchtling (Hanno Andersen, vorn) oder Theseus (Michael Doumas)? Szene aus Stefan Herheims
Inszenierung für die Münchener Biennale 2000
Flüchtling (Hanno Andersen, vorn) oder Theseus (Michael Doumas)? Szene aus Stefan Herheims
Inszenierung für die Münchener Biennale 2000
"Der markierte Weg / aus dem / führte über die Berge / Labyrinth / bis zur Grenze..."
"Wie sind wir wandermüde...": Die Beziehung verkümmert. Die Sprache auch.
Rezensionen
Sieben auf einen Streich
"Über Frauen über Grenzen": Uraufführung bei der Münchner Musiktheater-Biennale
"Über Frauen über Grenzen": Uraufführung bei der Münchner Musiktheater-Biennale
Arrogant ist, wer glaubt, dass man von den ganz jungen Komponisten nichts lernen könnte. Man kann: zum Beispiel, dass man Kunst erst einmal machen muss, bevor über sie tief sinniert wird. Sieben Komponisten der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, die bei Peter Michael Hamel, Wolfgang Andreas Schultz oder Manfred Stahnke studieren und alle männlich und zwischen 25 und 30 Jahre alt sind, lieferten nun ihr Gemeinschaftsprojekt "Über Frauen über Grenzen" als Abschlussstück der Münchner Biennale: Jörn Arnecke, Sascha Lemke, Nicki Marinic, Arvid Ong, Sean Reed, Sebastian Sprenger und Yotin Tiewtrakul.
Die Generation bringt neue Formen der Spontaneität mit. Sie kümmert sich nicht darum, was passiert, wenn der Computer fragt: "Festplatte wirklich formatieren?", sondern drückt erst mal die Enter-Taste. Danach erarbeitet sie sich das Rüstzeug, um die angegriffenen Programme wieder zu reinstallieren. Ähnlich ist der Umgang mit Kunst. Von wie viel ist unser Geist heute nicht täglich umstellt: griechische Mythen in der Schule, Gewalt im Fernsehen, Lügen in der Politik, Virtuelles auf Video, Ausländerhass, Werbung, Fitness und Wellness, Talkshows, Muppets. Und an Stelle des abgelegten Kuscheltiers treten dann auch noch verwirrend die Frauen, bei denen man sich ortend zurechtzufinden hat. Ein unaufgeräumtes Zimmer emotionaler Antriebsmechanismen, in dem der Verstand hilflos umherzappt.
Macht nichts, einfach alles zuerst einmal auf die Bühne! Und dort gibt es, man staune, keinen Konkurrenzneid. Der Übervater des Projekts, Peter Michael Hamel, hat es geschafft — gerade mal ein Jahr stand zur Verfügung —, dass sich die sieben Komponisten auf einen, wenn auch aufgezwirbelten thematischen Strang einigten (…).
Jeder Komponist lieferte nun musikalische Schlaglichter dazu, etwa eine viertel Stunde lang. Und nun ging Regisseur Stefan Herheim her, zerschnitt die Stücke in Teile und passte sie zu einem theatralen Puzzle zusammen. Kreativität hatte hier großen Spielraum, zumal das Moment des unvermittelten Sprungs, eben des Zappings, als ein dem gegenwärtigen Bewusstsein selbstverständliches akzeptiert wurde. (…)
Seltsam: Auch ein kritisch hörendes Bewusstsein hätte diesem Ergebnis wohl kaum exakt sieben Komponisten abgezählt (solide die Gesangssolisten und das Instrumentalensemble "Aisthesis" unter Frank Löhr). (…) Dennoch entstand etwas, was bei solchen Unternehmungen meist misslingt: in der Tat ein "Kollektiv-Musiktheater-Projekt", und zwar eines, dem jegliche Schwerfälligkeit, jedes bemühte Miteinander fremd waren. (…) Und sieben Köpfe legten fast schon an der Grenze statistischer Zuverlässigkeit gleich sieben Netzwerke aus! Die Leichtigkeit, mit der diese über der ganzen Produktion lagen, die Lust am Hinstellen, am Anschauen, am Begreifen, das Vergnügen am einfach Exponierten sicherten den Erfolg.
Reinhard Schulz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Mai 2000
ebenfalls abgedruckt in: Neue Musikzeitung, Juni 2000
Die Generation bringt neue Formen der Spontaneität mit. Sie kümmert sich nicht darum, was passiert, wenn der Computer fragt: "Festplatte wirklich formatieren?", sondern drückt erst mal die Enter-Taste. Danach erarbeitet sie sich das Rüstzeug, um die angegriffenen Programme wieder zu reinstallieren. Ähnlich ist der Umgang mit Kunst. Von wie viel ist unser Geist heute nicht täglich umstellt: griechische Mythen in der Schule, Gewalt im Fernsehen, Lügen in der Politik, Virtuelles auf Video, Ausländerhass, Werbung, Fitness und Wellness, Talkshows, Muppets. Und an Stelle des abgelegten Kuscheltiers treten dann auch noch verwirrend die Frauen, bei denen man sich ortend zurechtzufinden hat. Ein unaufgeräumtes Zimmer emotionaler Antriebsmechanismen, in dem der Verstand hilflos umherzappt.
Macht nichts, einfach alles zuerst einmal auf die Bühne! Und dort gibt es, man staune, keinen Konkurrenzneid. Der Übervater des Projekts, Peter Michael Hamel, hat es geschafft — gerade mal ein Jahr stand zur Verfügung —, dass sich die sieben Komponisten auf einen, wenn auch aufgezwirbelten thematischen Strang einigten (…).
Jeder Komponist lieferte nun musikalische Schlaglichter dazu, etwa eine viertel Stunde lang. Und nun ging Regisseur Stefan Herheim her, zerschnitt die Stücke in Teile und passte sie zu einem theatralen Puzzle zusammen. Kreativität hatte hier großen Spielraum, zumal das Moment des unvermittelten Sprungs, eben des Zappings, als ein dem gegenwärtigen Bewusstsein selbstverständliches akzeptiert wurde. (…)
Seltsam: Auch ein kritisch hörendes Bewusstsein hätte diesem Ergebnis wohl kaum exakt sieben Komponisten abgezählt (solide die Gesangssolisten und das Instrumentalensemble "Aisthesis" unter Frank Löhr). (…) Dennoch entstand etwas, was bei solchen Unternehmungen meist misslingt: in der Tat ein "Kollektiv-Musiktheater-Projekt", und zwar eines, dem jegliche Schwerfälligkeit, jedes bemühte Miteinander fremd waren. (…) Und sieben Köpfe legten fast schon an der Grenze statistischer Zuverlässigkeit gleich sieben Netzwerke aus! Die Leichtigkeit, mit der diese über der ganzen Produktion lagen, die Lust am Hinstellen, am Anschauen, am Begreifen, das Vergnügen am einfach Exponierten sicherten den Erfolg.
Reinhard Schulz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Mai 2000
ebenfalls abgedruckt in: Neue Musikzeitung, Juni 2000
Medea in der Talkshow
"Über Frauen über Grenzen" bei der Musiktheater-Biennale
"Über Frauen über Grenzen" bei der Musiktheater-Biennale
Wie eine Persiflage des Mottos der diesjährigen Münchner Musiktheater-Biennale "Über die Grenzen" mutet das abschließende Projekt "Über Frauen über Grenzen" an, das ausschließlich von Studenten der Hamburger Musikhochschule verwirklicht wurde. Unter der Leitung von Peter Michael Hamel schrieben sieben Kompositionsstudenten ein Kollektiv-Musiktheater. Es geht ums Weibliche, das in drei archetypischen Ausformungen der griechischen Mythologie — Medea, Ariadne und Antigone — und deren modernen Abwandlungen vorgeführt wird. Da Dramaturgie und Musik durchweg männlichen Federn entflossen, lag es nahe, bewusst Klischees einzubeziehen, anstatt ihnen versehentlich aufsitzen zu müssen. Da die Idee erst vor einem Jahr geboren wurde, schrieben die zwischen 24- und 30-jährigen Tonsetzer munter drauflos und scherten sich nur beiläufig ums Drumherum, woraus dem Regisseur Stefan Herheim die verzwickte Aufgabe zukam, den heterogenen Eigenwüchsigkeiten mitvollziehbaren Zusammenhang, theaterwirksame Stringenz zu verleihen. (…)
Eine Handlung hat "Über Frauen über Grenzen" nicht. Anfang und Ende huldigen der "Frau an sich", einer Art Urfrau. Sie gibt den Weg frei für Medea (…). Ernster geht es bei Ariadne zu und vergeblich obendrein (…), so stellt Jörn Arnecke für das in Stagnation mündende Labyrinthspiel Ariadne-Theseus avancierte, anfangs sehr aggressiv-schroffe Klänge bereit, die zusehends flexiblerer, dann ausgesparter Beleuchtung unterworfen werden. (…)
Christoph Schlüren, Frankfuter Rundschau, 30.5.2001
Eine Handlung hat "Über Frauen über Grenzen" nicht. Anfang und Ende huldigen der "Frau an sich", einer Art Urfrau. Sie gibt den Weg frei für Medea (…). Ernster geht es bei Ariadne zu und vergeblich obendrein (…), so stellt Jörn Arnecke für das in Stagnation mündende Labyrinthspiel Ariadne-Theseus avancierte, anfangs sehr aggressiv-schroffe Klänge bereit, die zusehends flexiblerer, dann ausgesparter Beleuchtung unterworfen werden. (…)
Christoph Schlüren, Frankfuter Rundschau, 30.5.2001