Gegen-Sätze (2013)
Uraufführung (UA): 5. November 2014, Heilbronn
Céline Moinet (Oboe), Württembergisches Kammerorchester Heilbronn,
Musikalische Leitung: Paul Goodwin
Ein Auftragswerk des Förderkreises für Neue Musik Heilbronn e.V.
für das Württembergische Kammerorchester Heilbronn
Besetzung: Oboe solo, 6 Violini I, 5 Violini II, 4 Viole, 3 Violoncelli, 2 Contrabbassi (con quattro corde)
Dauer: ca. 25 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Céline Moinet (Oboe), Württembergisches Kammerorchester Heilbronn,
Musikalische Leitung: Paul Goodwin
Ein Auftragswerk des Förderkreises für Neue Musik Heilbronn e.V.
für das Württembergische Kammerorchester Heilbronn
Besetzung: Oboe solo, 6 Violini I, 5 Violini II, 4 Viole, 3 Violoncelli, 2 Contrabbassi (con quattro corde)
Dauer: ca. 25 Minuten
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.

Einführung
Jede Komposition benötigt einen Funken, der sie entzündet. Manchmal liefern die Auftraggeber ihn gleich mit: Bei der Komposition, die im Auftrag des Förderkreises für Neue Musik Heilbronn e.V. für das Württembergische Kammerorchester entstand, sollte ich einen Bezug zu Johann Sebastian Bach herstellen. Dies bestimmte meinen Zugang zum Stück: Wie möchte ich mich Bach nähern? Was bedeutet Bach für mich? Wie lässt sich dies in einer zeitgemäßen Tonsprache ausdrücken?
Der andere Weg, in die Komposition zu finden, geschieht bei mir immer über die Besetzung, hier über die Vorstellung der klanglichen Verbindung der Oboe mit dem Streichorchester. Erinnerungen spielen eine Rolle, an viele kammermusikalische Erlebnisse mit Oboe, an Konzertklänge mit dem Württembergischen Kammerorchester. Das Denken und Imaginieren sucht sich seinen Weg, Ideen werden abgeklopft, verwirklicht oder verworfen (eine Zeitlang spielte ich mit dem Gedanken, das Stück als Verbeugung vor Carl Philipp Emanuel Bach zu komponieren – nicht unpassend für eine Uraufführung 2014, im Jahr seines 300. Geburtstages, zumal ich in Weimar lebe, seiner Geburtsstadt – aber ich wollte mich dann doch nicht vor der Auseinandersetzung mit Johann Sebastian Bach drücken).
Bis zum Schluss beschäftigte mich die Frage, wie stark der Hörer oder die Hörerin diesen Bezug zu Bach erfahren soll. Wie nahe darf ich der Musik Bachs treten?
Die „Gegen-Sätze“ zeigen Kontraste. Die Satztitel vermitteln es, geben Impulse, wecken Erwartungen, umreißen Bilder. Dabei habe ich die musikalische Struktur aus der Gegenüberstellung zweier Satztypen gewonnen, die Bachs Musik kennzeichnen: Polyphonie (welche die meisten Musiker mit Bach verbinden: Fuge, Invention, Kanon …) und Homophonie (erfahrbar in Bachs Chorälen, obwohl diese durchaus auch polyphone Anteile enthalten). Damit geht die Oboe als Soloinstrument ganz verschiedene Bezüge zum Streicherapparat ein: Mal führt sie ihn an, mal verschmilzt sie mit ihm, mal kontrastiert sie. Mal spielt sie vertraute Klänge, mal ungewohnte Mehrstimmigkeit, mal Geräuschhaftes wie in der „Schattenfuge“ …
In einem Satz entschloss ich mich, die Verbindung zu Bach besonders deutlich herzustellen. Dies mag Vertrautheit schaffen, es soll aber vor allem die Ohren öffnen, denn die Oboe überlagert hier den Bach-Choral mit der gleichen, gedehnten Melodie; sie entrückt das Zitat unserer Wirklichkeit. Wir erleben Bach in sich selbst reflektiert, ein kurzer Moment der Berührung.
Die Oboe darf immer wieder ihre kantable Seite ausspielen, von den hügeligen Bewegungen, mit denen die Komposition beginnt, bis hin zum letzten Satz mit großen Melodiebögen, die vierteltönig angereichert werden. So soll die Komposition sich – in der Auseinandersetzung mit Bach – gleichzeitig von ihm lösen. Denn ein Vorbild ist auch nur ein Bild.
„Hoffen und trauen“ heißt der vierte Satz nicht ohne Grund. Dies gilt auch für die neue Musik allgemein: Sie muss auf unvoreingenommene Ohren hoffen und sich trauen, aus der Tradition heraus den eigenen Weg zu finden.
(Jörn Arnecke, 2014)
Der andere Weg, in die Komposition zu finden, geschieht bei mir immer über die Besetzung, hier über die Vorstellung der klanglichen Verbindung der Oboe mit dem Streichorchester. Erinnerungen spielen eine Rolle, an viele kammermusikalische Erlebnisse mit Oboe, an Konzertklänge mit dem Württembergischen Kammerorchester. Das Denken und Imaginieren sucht sich seinen Weg, Ideen werden abgeklopft, verwirklicht oder verworfen (eine Zeitlang spielte ich mit dem Gedanken, das Stück als Verbeugung vor Carl Philipp Emanuel Bach zu komponieren – nicht unpassend für eine Uraufführung 2014, im Jahr seines 300. Geburtstages, zumal ich in Weimar lebe, seiner Geburtsstadt – aber ich wollte mich dann doch nicht vor der Auseinandersetzung mit Johann Sebastian Bach drücken).
Bis zum Schluss beschäftigte mich die Frage, wie stark der Hörer oder die Hörerin diesen Bezug zu Bach erfahren soll. Wie nahe darf ich der Musik Bachs treten?
Die „Gegen-Sätze“ zeigen Kontraste. Die Satztitel vermitteln es, geben Impulse, wecken Erwartungen, umreißen Bilder. Dabei habe ich die musikalische Struktur aus der Gegenüberstellung zweier Satztypen gewonnen, die Bachs Musik kennzeichnen: Polyphonie (welche die meisten Musiker mit Bach verbinden: Fuge, Invention, Kanon …) und Homophonie (erfahrbar in Bachs Chorälen, obwohl diese durchaus auch polyphone Anteile enthalten). Damit geht die Oboe als Soloinstrument ganz verschiedene Bezüge zum Streicherapparat ein: Mal führt sie ihn an, mal verschmilzt sie mit ihm, mal kontrastiert sie. Mal spielt sie vertraute Klänge, mal ungewohnte Mehrstimmigkeit, mal Geräuschhaftes wie in der „Schattenfuge“ …
In einem Satz entschloss ich mich, die Verbindung zu Bach besonders deutlich herzustellen. Dies mag Vertrautheit schaffen, es soll aber vor allem die Ohren öffnen, denn die Oboe überlagert hier den Bach-Choral mit der gleichen, gedehnten Melodie; sie entrückt das Zitat unserer Wirklichkeit. Wir erleben Bach in sich selbst reflektiert, ein kurzer Moment der Berührung.
Die Oboe darf immer wieder ihre kantable Seite ausspielen, von den hügeligen Bewegungen, mit denen die Komposition beginnt, bis hin zum letzten Satz mit großen Melodiebögen, die vierteltönig angereichert werden. So soll die Komposition sich – in der Auseinandersetzung mit Bach – gleichzeitig von ihm lösen. Denn ein Vorbild ist auch nur ein Bild.
„Hoffen und trauen“ heißt der vierte Satz nicht ohne Grund. Dies gilt auch für die neue Musik allgemein: Sie muss auf unvoreingenommene Ohren hoffen und sich trauen, aus der Tradition heraus den eigenen Weg zu finden.
(Jörn Arnecke, 2014)
Rezensionen
"das neue werk": Sechs Versuche über den Klang der Großstadt
Es gab keine Wertungsrichter im Liebermann- Studio, auch keine zwölf Punkte wie beim zeitgleich stattfindenden Grand Prix. Das "neue werk"-Konzert des NDR wollte mit Kammermusikarbeiten von Hamburger und Berliner Komponisten vorführen, was das Thema Urbanität hergeben könnte, wenn ein Gesangspart obligatorisch ist und alles andere möglich.
Als Interpreten hatte man eine Abordnung der Berliner Philharmoniker engagiert, das erstklassig agierende Scharoun-Ensemble. Die sonst so gern geschürte Konkurrenz der Metropolen interessierte bei dieser Aufgabenstellung nicht. Keine schlechte Idee. Dabei gerieten allerdings auch zwei zähe Geduldsproben ins Programm, die alle Vorurteile bestätigten, mit denen die angeblich so verkopfte zeitgenössische Musik mitunter zu kämpfen hat. Kostproben jener Aufträge, die der ehemalige Staatsopern-Chef und Komponist Peter Ruzicka - offensichtlich ganz nach seinem Geschmacksvorbild - für die Münchner Biennale vergeben hat. Man kann sich jedenfalls lebhaft vorstellen, wie das Publikum dort nach stundenlanger Beschallung bedeutungsüberladen und geläutert von dannen wanken wird und sich entnervt zu Mozart, Beethoven und Co. ins nächstbeste Abo-Konzert zurücksehnt.
Phillip Maintz' "fluchtlinie" verödete in zerfasernder Beliebigkeit rauschhafte Fantasien des Comte de Lautréamont, Enno Poppe unterlegte in seinen "Drei Arbeiten" Episoden aus dem Inselleben Robinson Crusoes mit der motorischen Geschäftigkeit eines Schlagzeugers, kam nur leider nicht über sturzlangweiligen Leerlauf hinaus.
Dass es auch anders, intelligenter, packend und faszinierend geht, bewiesen die drei anderen Stücke: Jörn Arneckes "Äther" schaffte es, die Irrungen und Wirrungen modernen Großstadtdaseins in ein manisch flirrendes Klangbild zu transponieren. Babette Koblenz' "lost maps" klangen, als ob sie bei der Komposition viel von Philipp Glass gehört und gelernt hätte, ohne sich deswegen in minimalistischen Einbahnstraßen zu verirren - elegant und clever. Am beeindruckendsten, weil kompromisslosesten war allerdings Jan Müller-Wielands "Im Krieg", ein Fieberwahn leiser Verzweiflung, in dem Claudia Barainskys großartiger Sopran ohne Halt und ohne Hoffnung in höchsten Lagen über brüchige Instrumentalstrukturen hinweg irrlichterte.
jomi, Hamburger Abendblatt, 14. Mai 2007
Als Interpreten hatte man eine Abordnung der Berliner Philharmoniker engagiert, das erstklassig agierende Scharoun-Ensemble. Die sonst so gern geschürte Konkurrenz der Metropolen interessierte bei dieser Aufgabenstellung nicht. Keine schlechte Idee. Dabei gerieten allerdings auch zwei zähe Geduldsproben ins Programm, die alle Vorurteile bestätigten, mit denen die angeblich so verkopfte zeitgenössische Musik mitunter zu kämpfen hat. Kostproben jener Aufträge, die der ehemalige Staatsopern-Chef und Komponist Peter Ruzicka - offensichtlich ganz nach seinem Geschmacksvorbild - für die Münchner Biennale vergeben hat. Man kann sich jedenfalls lebhaft vorstellen, wie das Publikum dort nach stundenlanger Beschallung bedeutungsüberladen und geläutert von dannen wanken wird und sich entnervt zu Mozart, Beethoven und Co. ins nächstbeste Abo-Konzert zurücksehnt.
Phillip Maintz' "fluchtlinie" verödete in zerfasernder Beliebigkeit rauschhafte Fantasien des Comte de Lautréamont, Enno Poppe unterlegte in seinen "Drei Arbeiten" Episoden aus dem Inselleben Robinson Crusoes mit der motorischen Geschäftigkeit eines Schlagzeugers, kam nur leider nicht über sturzlangweiligen Leerlauf hinaus.
Dass es auch anders, intelligenter, packend und faszinierend geht, bewiesen die drei anderen Stücke: Jörn Arneckes "Äther" schaffte es, die Irrungen und Wirrungen modernen Großstadtdaseins in ein manisch flirrendes Klangbild zu transponieren. Babette Koblenz' "lost maps" klangen, als ob sie bei der Komposition viel von Philipp Glass gehört und gelernt hätte, ohne sich deswegen in minimalistischen Einbahnstraßen zu verirren - elegant und clever. Am beeindruckendsten, weil kompromisslosesten war allerdings Jan Müller-Wielands "Im Krieg", ein Fieberwahn leiser Verzweiflung, in dem Claudia Barainskys großartiger Sopran ohne Halt und ohne Hoffnung in höchsten Lagen über brüchige Instrumentalstrukturen hinweg irrlichterte.
jomi, Hamburger Abendblatt, 14. Mai 2007
Expressionistische Großstadt-Balladen
Fünf statt sechs Uraufführungen beim "Neuen Werk" des NDR im Rolf Liebermann Studio - Aus dem geplanten Beitrag "Alles" wurde nichts
Fünf statt sechs Uraufführungen beim "Neuen Werk" des NDR im Rolf Liebermann Studio - Aus dem geplanten Beitrag "Alles" wurde nichts
Berlin und Hamburg in der Literatur - war da nicht was? Na klar, Alfred Döblin: "Berlin Alexanderplatz". Und, Mahnmal der Hamburger Bombennächte, Hans Erich Nossacks "Der Untergang". Gegenwartsnäher: Günter Kunerts "Tagträume in Berlin und anderorts". Und Hubert Fichtes Roman "Die Palette", der mit dem denkwürdigen Satz beginnt: "Jäcki geht über den Gänsemarkt". Falls Lyrik gewünscht: die Großstadt-Ballade "Berlin" des Expressionisten Johannes R. Becher, oder Peter Rühmkorfs frecher Asphalt-Gesang "Im Fahrtwind". Wie wär's schließlich mit Fundstücken vom Literaturbasar "Hamburg ist Slamburg"?
Doch gemach. Das Literaturthema, das die NDR-Redaktion "das neue werk" sechs jüngeren Komponisten aus Berlin und Hamburg auf Kosten der Rusch-Stiftung aufgab, war wohlweislich weiter gefasst. Von "urbanen Themen in der zeitgenössischen Literatur" war da die Rede gewesen, in Musik zu setzen für Stimme und Kammersolisten vom Schlage des Berliner Scharoun-Ensembles, das hiermit - geleitet von Marcus Creed, dem Leiter des SWR Vokalensembles - sein umjubeltes Debüt am NDR gab. Wie sich beim Uraufführungsmarathon im Rolf-Liebermann-Studio herausstellte, gingen die Komponisten bei der Textsuche gleich in sich selbst, an den Schreibtisch einer dichtenden Gattin oder ans Brevier einer literarischen Freundin.
Von jeher der Sprachmusik angelsächsischer Poesie verfallen, schuf die Hamburger Komponistin und Ligeti-Schülerin Babette Koblenz ein deutsch-englisches Text-Staccato "Lost Maps" (verlorene Landkarten). Im verstädterten Nirgendwo sucht sie nach einem still-vergessenen Irgendwo. Als Menschenmund im City-Gestöber entzieht sich der bedächtig deklamierende Bariton dem irisierend eilenden Klangfluss des Ensembles, das die Welt bedeutet. Den Kriegsbildern, die den Tagesthemen-Zuschauer in den Schlaf trommeln, widmete der gleichfalls in Hamburg geborene Jan Müller-Wieland ein "taumelnd tappendes" Stück für Sopran, Schlagzeug, Klavier, Trompete, Horn und zwei fern stehende Violinen ("Im Krieg - Hochhauslied"). Es beruht auf einem Kurzgedicht seiner Frau Birgit, das der Komponist rücklaufend, quasi spiegelbildlich weiterspann.
Der in Berlin und Paris lebende Philipp Maintz, dessen "geborstenes Lied" hier kürzlich mit dem Ensemble Intégrales viel Anklang fand, nahm es mit einem metaphorisch überbordenden Prosatext des Comte de Lautréamont auf, einem Vorläufer der Surrealisten. Der "Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch habe ihm beim Komponieren immer vor Augen gestanden, bekennt der Komponist. Eigentlich hatte er seine farbschillernde Gesangszene "Fluchtlinie" dem Bariton Georg Nigl zugedacht, der krankheitshalber absagen musste. Kurzfristig einspringend, rettete Sebastian Noack nicht nur die "Fluchtlinie", sondern auch die Robinson Crusoe zugeschanzten "Drei Arbeiten" des Berliner Komponistensterns Enno Poppe, den das "neue werk" am 31. Mai und 1. Juni herausstellen wird, vor unliebsamen Verbiegungen. Die eigentlichen Stimmwunder des Abends aber vollbrachte die Sopranistin Claudia Barainsky, die den leicht an Schönbergs "Pierrot lunaire" erinnernden Zyklus "Äther" des feinsinnigen Hamburger Musikdramatikers Jörn Arnecke hoch über das Dickicht der Städte hinaushob. Aus dem geplanten Programmbeitrag "Alles" des Russen Sergej Newski wurde nichts.
Lutz Lesle, Die Welt, 14. Mai 2007
Doch gemach. Das Literaturthema, das die NDR-Redaktion "das neue werk" sechs jüngeren Komponisten aus Berlin und Hamburg auf Kosten der Rusch-Stiftung aufgab, war wohlweislich weiter gefasst. Von "urbanen Themen in der zeitgenössischen Literatur" war da die Rede gewesen, in Musik zu setzen für Stimme und Kammersolisten vom Schlage des Berliner Scharoun-Ensembles, das hiermit - geleitet von Marcus Creed, dem Leiter des SWR Vokalensembles - sein umjubeltes Debüt am NDR gab. Wie sich beim Uraufführungsmarathon im Rolf-Liebermann-Studio herausstellte, gingen die Komponisten bei der Textsuche gleich in sich selbst, an den Schreibtisch einer dichtenden Gattin oder ans Brevier einer literarischen Freundin.
Von jeher der Sprachmusik angelsächsischer Poesie verfallen, schuf die Hamburger Komponistin und Ligeti-Schülerin Babette Koblenz ein deutsch-englisches Text-Staccato "Lost Maps" (verlorene Landkarten). Im verstädterten Nirgendwo sucht sie nach einem still-vergessenen Irgendwo. Als Menschenmund im City-Gestöber entzieht sich der bedächtig deklamierende Bariton dem irisierend eilenden Klangfluss des Ensembles, das die Welt bedeutet. Den Kriegsbildern, die den Tagesthemen-Zuschauer in den Schlaf trommeln, widmete der gleichfalls in Hamburg geborene Jan Müller-Wieland ein "taumelnd tappendes" Stück für Sopran, Schlagzeug, Klavier, Trompete, Horn und zwei fern stehende Violinen ("Im Krieg - Hochhauslied"). Es beruht auf einem Kurzgedicht seiner Frau Birgit, das der Komponist rücklaufend, quasi spiegelbildlich weiterspann.
Der in Berlin und Paris lebende Philipp Maintz, dessen "geborstenes Lied" hier kürzlich mit dem Ensemble Intégrales viel Anklang fand, nahm es mit einem metaphorisch überbordenden Prosatext des Comte de Lautréamont auf, einem Vorläufer der Surrealisten. Der "Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch habe ihm beim Komponieren immer vor Augen gestanden, bekennt der Komponist. Eigentlich hatte er seine farbschillernde Gesangszene "Fluchtlinie" dem Bariton Georg Nigl zugedacht, der krankheitshalber absagen musste. Kurzfristig einspringend, rettete Sebastian Noack nicht nur die "Fluchtlinie", sondern auch die Robinson Crusoe zugeschanzten "Drei Arbeiten" des Berliner Komponistensterns Enno Poppe, den das "neue werk" am 31. Mai und 1. Juni herausstellen wird, vor unliebsamen Verbiegungen. Die eigentlichen Stimmwunder des Abends aber vollbrachte die Sopranistin Claudia Barainsky, die den leicht an Schönbergs "Pierrot lunaire" erinnernden Zyklus "Äther" des feinsinnigen Hamburger Musikdramatikers Jörn Arnecke hoch über das Dickicht der Städte hinaushob. Aus dem geplanten Programmbeitrag "Alles" des Russen Sergej Newski wurde nichts.
Lutz Lesle, Die Welt, 14. Mai 2007