Kreativität braucht Sitzfleisch
Werkstattbericht: Wie komponiert man eine Oper? Komponist Jörn Arnecke erklärt, wie das geht. Am 8. April wird sein Musiktheater "Butterfly Blues" uraufgeführt.
Ein Patentrezept gibt es nicht. Wer eine Oper schreibt, muß mehr mitbringen als das allgemeine Abc des kompositorischen Handwerks. "Man muß szenische Abläufe gut kennen und im Gespür haben, wieviel Zeit vergehen muß, um eine Sache auf der Bühne nachwirken zu lassen", erklärt der Hamburger Komponist Jörn Arnecke. "Das ist eine Sache der inneren Vorstellungskraft", sagt er, "aber auch der Erfahrung." Die hat Arnecke längst gesammelt. Am 8. April wird seine dritte abendfüllende Oper "Butterfly Blues" nach dem gleichnamigen Schauspiel des schwedischen Autors Henning Mankell uraufgeführt.
Angefangen hat alles mit einem Auftrag der Hamburgischen Staatsoper. Arnecke sollte eine Kammeroper für die Bühne der Opera Stabile schreiben. Das war 2003. Und natürlich schrieb der 31jährige nicht sofort die erste Note. Eine Opernkomposition beginnt mit der Stoffsuche. "Man liest Romane, überlegt, ob sie sich szenisch eignen. Liest Theaterstücke und überlegt, ob sie sich musikalisch eignen", beschreibt Arnecke. "Bei Theaterstücken ist auch noch entscheidend: Warum soll man Musik dazu schreiben? Wenn etwas als Theaterstück funktioniert, wozu braucht man da noch Musik?" Wie entscheidet man, ob ein Schauspiel Musik braucht? Ob ein Roman bühnentauglich ist? "Ich muß das Gefühl haben, das kann ein spannender Abend werden, da fällt mir packende Musik ein."
Als der Stoff mit Mankells "Butterfly Blues" gefunden war ("für mich muß es ein Thema sein, das eine gesellschaftliche Relevanz in unserer Welt hat"), mußte Staatsopernintendant Louwrens Langevoort noch zustimmen. Danach mußten Textrechte geklärt werden. Bei Texten, deren Autoren noch leben oder deren Autoren noch nicht 70 Jahre tot sind, muß man die Rechte einholen.
Erst danach begann Arnecke mit der Komposition. Er überlegte als erstes, welche Besetzung er braucht, welche Sänger, welche Instrumente. "Ich versuche, mir die Stimmen vorzustellen für die Rollen. Ich versuche auch, mir die musikalische Atmosphäre vorzustellen. Die Grundstimmung des Abends. Das alles überlege ich ganz grundsätzlich, bevor ich überhaupt eine Note schreibe." Und auch hier gibt es Zwänge. Die Besetzungsfragen müssen mit dem Opernhaus abgesprochen werden. Etwas, das man im Kompositionsstudium nicht lernt. "Wenn ich zum Beispiel ein Alphorn wünsche, dann wird man sagen: ,Das haben wir nicht im Orchester, da müssen Aushilfen eingekauft werden, und das kostet.' Man darf auch laut Orchestertarifrecht nicht einfach einen Geiger eine Triangel spielen lassen. Das erfordert immer Zulagen."
Bevor Arnecke aber die erste Note setzt, muß die Textvorlage eingerichtet werden. "Man muß ja wissen, wie viele Szenen man hat." Bei einem Roman wird ein Libretto erstellt, bei einem Theaterstück (wie bei "Butterfly Blues") wird zumeist nur gekürzt.
Das erste ist die harmonische Grobplanung des Stückes. Und was notiert er da? "Obertonreihen, die ich entwickle und bearbeite. Eine Obertonreihe ist physikalisch immer vorhanden. Wenn ich einen Ton anschlage, dann schwingen viele andere Töne mit, die die Klangfarbe dieses Tones bestimmen. Das ist ein physikalisches Gesetz. Man nimmt es nicht wahr, aber diese Töne sind immer da." Das, was dem Komponisten früher der Tonartenplan des Quintenzirkels war, ist Arnecke also das Obertonspektrum.
Und dann kann es losgehen. "Ich schreibe natürlich nicht als erstes Takt eins, sondern denke über die erste ganze Szene nach", erklärt Arnecke. "Ich lese den Text und muß auch hier den Spannungsverlauf erspüren. Erst dann überlege ich mir die musikalische Idee dieser Szene." Das heißt? "Jede Szene braucht eine musikalische Idee, die sie trägt. Das kann vieles sein. Ein Motiv, eine rhythmische Zelle, Klangfarbenspiele."
Wenn Arnecke die Kernidee hat, arbeitet er sie immer in Anbindung an den Text aus. Macht Form- und Verlaufspläne und entwickelt so schrittweise Schicht für Schicht eine komplette Szene. In dieser Weise entsteht Szene für Szene, bis alles fertig ist. "Dann muß der Komponist viel Vertrauen mitbringen, weil jetzt ja noch andere Handschriften hinzukommen." Die des Regisseurs, der eigene Bilder zu dem Werk entwickelt. Die des Dirigenten und der Musiker, die die Musik auf ihre Art interpretieren und mit Leben füllen. Und, und, und. "Man muß andere Ideen zulassen", sagt Arnecke. Die Partitur klingt ja nun mal nicht von selbst. Aber genau das fasziniert ihn auch an der Gattung Oper: "Es kommen viele Blickwinkel hinzu."
Bettina Brinker, Hamburger Abendblatt, 6. April 2005
Ein Patentrezept gibt es nicht. Wer eine Oper schreibt, muß mehr mitbringen als das allgemeine Abc des kompositorischen Handwerks. "Man muß szenische Abläufe gut kennen und im Gespür haben, wieviel Zeit vergehen muß, um eine Sache auf der Bühne nachwirken zu lassen", erklärt der Hamburger Komponist Jörn Arnecke. "Das ist eine Sache der inneren Vorstellungskraft", sagt er, "aber auch der Erfahrung." Die hat Arnecke längst gesammelt. Am 8. April wird seine dritte abendfüllende Oper "Butterfly Blues" nach dem gleichnamigen Schauspiel des schwedischen Autors Henning Mankell uraufgeführt.
Angefangen hat alles mit einem Auftrag der Hamburgischen Staatsoper. Arnecke sollte eine Kammeroper für die Bühne der Opera Stabile schreiben. Das war 2003. Und natürlich schrieb der 31jährige nicht sofort die erste Note. Eine Opernkomposition beginnt mit der Stoffsuche. "Man liest Romane, überlegt, ob sie sich szenisch eignen. Liest Theaterstücke und überlegt, ob sie sich musikalisch eignen", beschreibt Arnecke. "Bei Theaterstücken ist auch noch entscheidend: Warum soll man Musik dazu schreiben? Wenn etwas als Theaterstück funktioniert, wozu braucht man da noch Musik?" Wie entscheidet man, ob ein Schauspiel Musik braucht? Ob ein Roman bühnentauglich ist? "Ich muß das Gefühl haben, das kann ein spannender Abend werden, da fällt mir packende Musik ein."
Als der Stoff mit Mankells "Butterfly Blues" gefunden war ("für mich muß es ein Thema sein, das eine gesellschaftliche Relevanz in unserer Welt hat"), mußte Staatsopernintendant Louwrens Langevoort noch zustimmen. Danach mußten Textrechte geklärt werden. Bei Texten, deren Autoren noch leben oder deren Autoren noch nicht 70 Jahre tot sind, muß man die Rechte einholen.
Erst danach begann Arnecke mit der Komposition. Er überlegte als erstes, welche Besetzung er braucht, welche Sänger, welche Instrumente. "Ich versuche, mir die Stimmen vorzustellen für die Rollen. Ich versuche auch, mir die musikalische Atmosphäre vorzustellen. Die Grundstimmung des Abends. Das alles überlege ich ganz grundsätzlich, bevor ich überhaupt eine Note schreibe." Und auch hier gibt es Zwänge. Die Besetzungsfragen müssen mit dem Opernhaus abgesprochen werden. Etwas, das man im Kompositionsstudium nicht lernt. "Wenn ich zum Beispiel ein Alphorn wünsche, dann wird man sagen: ,Das haben wir nicht im Orchester, da müssen Aushilfen eingekauft werden, und das kostet.' Man darf auch laut Orchestertarifrecht nicht einfach einen Geiger eine Triangel spielen lassen. Das erfordert immer Zulagen."
Bevor Arnecke aber die erste Note setzt, muß die Textvorlage eingerichtet werden. "Man muß ja wissen, wie viele Szenen man hat." Bei einem Roman wird ein Libretto erstellt, bei einem Theaterstück (wie bei "Butterfly Blues") wird zumeist nur gekürzt.
Das erste ist die harmonische Grobplanung des Stückes. Und was notiert er da? "Obertonreihen, die ich entwickle und bearbeite. Eine Obertonreihe ist physikalisch immer vorhanden. Wenn ich einen Ton anschlage, dann schwingen viele andere Töne mit, die die Klangfarbe dieses Tones bestimmen. Das ist ein physikalisches Gesetz. Man nimmt es nicht wahr, aber diese Töne sind immer da." Das, was dem Komponisten früher der Tonartenplan des Quintenzirkels war, ist Arnecke also das Obertonspektrum.
Und dann kann es losgehen. "Ich schreibe natürlich nicht als erstes Takt eins, sondern denke über die erste ganze Szene nach", erklärt Arnecke. "Ich lese den Text und muß auch hier den Spannungsverlauf erspüren. Erst dann überlege ich mir die musikalische Idee dieser Szene." Das heißt? "Jede Szene braucht eine musikalische Idee, die sie trägt. Das kann vieles sein. Ein Motiv, eine rhythmische Zelle, Klangfarbenspiele."
Wenn Arnecke die Kernidee hat, arbeitet er sie immer in Anbindung an den Text aus. Macht Form- und Verlaufspläne und entwickelt so schrittweise Schicht für Schicht eine komplette Szene. In dieser Weise entsteht Szene für Szene, bis alles fertig ist. "Dann muß der Komponist viel Vertrauen mitbringen, weil jetzt ja noch andere Handschriften hinzukommen." Die des Regisseurs, der eigene Bilder zu dem Werk entwickelt. Die des Dirigenten und der Musiker, die die Musik auf ihre Art interpretieren und mit Leben füllen. Und, und, und. "Man muß andere Ideen zulassen", sagt Arnecke. Die Partitur klingt ja nun mal nicht von selbst. Aber genau das fasziniert ihn auch an der Gattung Oper: "Es kommen viele Blickwinkel hinzu."
Bettina Brinker, Hamburger Abendblatt, 6. April 2005