Arnecke: "Spannungsbreite der Gefühle ausdrücken"
Uraufführung der Passion "Das Kreuz" im Münster
Bereits drei Uraufführungen hat er der Rattenfängerstadt beschert, der junge Hamelner Komponist Jörn Arnecke: 1993 seine "Urworte. Orphisch" nach Goethe mit dem Vokalkreis, dem 1994 "An die Sonne" nach einem Gedicht von Ingeborg mit dem Bildhauer Friedrich Heißmeyer folgte. Darauf Orchesterstücke (1996) "Klingt meine Linde" mit der Jugendmusikschule. Am 1. März, 20 Uhr, steht im Hamelner Münster wieder eine Uraufführung auf dem Programm: Die Lied-Passion "Das Kreuz" für Sopran, gemischten Chor und Instrumentalisten-Ensemble. Arnecke, im September 1973 geboren, studiert zur Zeit an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Komposition und Musiktheorie.
Herr Arnecke, nach einigen Uraufführungen, die Sie in den letzten Jahren herausbrachten, treten Sie nun mit einer Lied-Passion im Münster erneut an die Öffentlichkeit. Worum handelt es sich bei Ihrer neuen Komposition?
Es ist ein Werk, das nach alten Liedern die Leidenswoche schildert. Dabei stecken die alten Liedmelodien den Rahmen ab. Der Grundgedanke bestand darin, die traditionellen Weisen auf heute zu beziehen. Das geschieht auf zweierlei Weisen. Die alten Weisen werden teilweise durch moderne Klänge gebrochen und neuzeitlichen Meditationen, die aus der Feder von Herrn Manfred Arendt stammen, gegenübergestellt.
Sie sprechen von modernen Brechungen. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Ich möchte in diesem Werk die große Spannungsbreite der Gefühle ausdrücken. Dafür ist es wichtig, beides kompositorisch zu verarbeiten: schlichte tonale Sätze auf der einen Seite und harte, dissonante Klangbrocken auf der anderen Seite. Das geht so weit, daß auch Geräusche einbezogen werden.
Das Passions-Thema scheint in der Musik vor allem durch Johann Sebastian Bach ausgereizt. Wie kommt ein junger Komponist, sich heute damit zu befassen - und was bedeutet das Vorhandensein, beispielsweise, einer alles dominierenden Matthäus-Passion für Sie?
Es ist sicher richtig, daß der Name Bach für jeden, der eine Passion schreibt, eine große Verpflichtung und eine hohe Meßlatte ist. In meinem Stück gibt es sogar einen deutlichen Bezug auf die Matthäus-Passion, denn der Choral "Herzliebster Jesu" steht an zentraler Stelle. Entscheidend ist aber aus Ihrer Frage das Wort heute. Heute hat ein Komponist andere Spannungsklänge zur Verfügung als in Bachs Zeit, und auch das Publikum hat ein ganz anderes Lebensumfeld als das Publikum, für das Bach schrieb. Deswegen, glaube ich, kann eine Passion, die heute geschrieben wird, noch andere Ausdrucksschichten erschließen. Trotzdem fühle auch ich eine große Hochachtung vor Bachs Musik.
Anders als in der Literatur und der Bildenden Kunst hat sich die Moderne in der Musik kaum durchsetzen können. Wird vom Publikum nur schwer angenommen. Selbst eine Neue Wiener Klassik mit Webern und Berg gilt für Konzerte als unaufführbar. Wie reagiert man als zeitgenössischer Komponist darauf?
Es gab eine Zeit, in den 60er- und 70er-Jahren, da haben die Komponisten, man könnte boshaft sagen, gegen das Publikum geschrieben. Aber diese Zeit ist nach meiner festen Überzeugung vorbei. Es muß also niemand Angst haben, in dieses Konzert zu gehen. Natürlich gibt es schroffe, ungewohnte Klänge, aber nur dadurch können die Melodielinien herausgestellt werden. Wenn ich komponiere, möchte ich das Publikum treffen, nicht indem ich Musik schreibe, die das Publikum genau so erwartet, sondern indem ich, wie ich hoffe, ein aufregendes Musikerlebnis vermittle. Und aufregend heißt: nicht nur blanke Schönheit.
Wie haben Sie Ihre Passion, die den Titel "Das Kreuz" trägt, gegliedert?
Dem Stück liegt eine Dreiteiligkeit zugrunde. Drei Meditationen, drei Betrachtungen des Kreuzes, drei Flötensoloteile, die von Sabine Kaufmann aus Hannover gespielt werden. Hierin kann man natürlich eine Verbindung zur Dreieinigkeit sehen. Weiterhin steuert das Stück auf einen Höhepunkt in der Mitte zu. Dort werden zwei Choräle miteinander verschränkt.
Muß man, um eine Passion zu schreiben, sehr gläubig sein?
Man muß jedenfalls einen sehr starken, gefühlsmäßigen Zugang zu der Thematik verspüren.
Sie haben neben Sopran und gemischtem Chor auch ein Instrumentalsolisten-Ensemble angekündigt. Wie ist Ihre Passion instrumentiert?
Ich habe geschrieben für Querflöte, Saxophon, Pauken und Streichquintett. Dabei geben das Saxophon und die Pauke dem Stück wiederum die moderne Farbe. Ich bin sehr froh über die konzentrierten Proben, die ich mit dem Vokalkreis Hameln, den Manfred Arendt sehr gut einstudiert hat, und den hervorragenden Instrumentalisten durchführen durfte. Für mich war es auch eine schöne Erfahrung, mit Instrumentalisten zu arbeiten, die alle aus der Gegend um Hameln kommen und die ich teilweise schon sehr lange kenne.
Das Gespräch mit Jörn Arnecke führte Richard Peter.
Deister- und Weserzeitung, 26. Februar 1997
Bereits drei Uraufführungen hat er der Rattenfängerstadt beschert, der junge Hamelner Komponist Jörn Arnecke: 1993 seine "Urworte. Orphisch" nach Goethe mit dem Vokalkreis, dem 1994 "An die Sonne" nach einem Gedicht von Ingeborg mit dem Bildhauer Friedrich Heißmeyer folgte. Darauf Orchesterstücke (1996) "Klingt meine Linde" mit der Jugendmusikschule. Am 1. März, 20 Uhr, steht im Hamelner Münster wieder eine Uraufführung auf dem Programm: Die Lied-Passion "Das Kreuz" für Sopran, gemischten Chor und Instrumentalisten-Ensemble. Arnecke, im September 1973 geboren, studiert zur Zeit an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Komposition und Musiktheorie.
Herr Arnecke, nach einigen Uraufführungen, die Sie in den letzten Jahren herausbrachten, treten Sie nun mit einer Lied-Passion im Münster erneut an die Öffentlichkeit. Worum handelt es sich bei Ihrer neuen Komposition?
Es ist ein Werk, das nach alten Liedern die Leidenswoche schildert. Dabei stecken die alten Liedmelodien den Rahmen ab. Der Grundgedanke bestand darin, die traditionellen Weisen auf heute zu beziehen. Das geschieht auf zweierlei Weisen. Die alten Weisen werden teilweise durch moderne Klänge gebrochen und neuzeitlichen Meditationen, die aus der Feder von Herrn Manfred Arendt stammen, gegenübergestellt.
Sie sprechen von modernen Brechungen. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Ich möchte in diesem Werk die große Spannungsbreite der Gefühle ausdrücken. Dafür ist es wichtig, beides kompositorisch zu verarbeiten: schlichte tonale Sätze auf der einen Seite und harte, dissonante Klangbrocken auf der anderen Seite. Das geht so weit, daß auch Geräusche einbezogen werden.
Das Passions-Thema scheint in der Musik vor allem durch Johann Sebastian Bach ausgereizt. Wie kommt ein junger Komponist, sich heute damit zu befassen - und was bedeutet das Vorhandensein, beispielsweise, einer alles dominierenden Matthäus-Passion für Sie?
Es ist sicher richtig, daß der Name Bach für jeden, der eine Passion schreibt, eine große Verpflichtung und eine hohe Meßlatte ist. In meinem Stück gibt es sogar einen deutlichen Bezug auf die Matthäus-Passion, denn der Choral "Herzliebster Jesu" steht an zentraler Stelle. Entscheidend ist aber aus Ihrer Frage das Wort heute. Heute hat ein Komponist andere Spannungsklänge zur Verfügung als in Bachs Zeit, und auch das Publikum hat ein ganz anderes Lebensumfeld als das Publikum, für das Bach schrieb. Deswegen, glaube ich, kann eine Passion, die heute geschrieben wird, noch andere Ausdrucksschichten erschließen. Trotzdem fühle auch ich eine große Hochachtung vor Bachs Musik.
Anders als in der Literatur und der Bildenden Kunst hat sich die Moderne in der Musik kaum durchsetzen können. Wird vom Publikum nur schwer angenommen. Selbst eine Neue Wiener Klassik mit Webern und Berg gilt für Konzerte als unaufführbar. Wie reagiert man als zeitgenössischer Komponist darauf?
Es gab eine Zeit, in den 60er- und 70er-Jahren, da haben die Komponisten, man könnte boshaft sagen, gegen das Publikum geschrieben. Aber diese Zeit ist nach meiner festen Überzeugung vorbei. Es muß also niemand Angst haben, in dieses Konzert zu gehen. Natürlich gibt es schroffe, ungewohnte Klänge, aber nur dadurch können die Melodielinien herausgestellt werden. Wenn ich komponiere, möchte ich das Publikum treffen, nicht indem ich Musik schreibe, die das Publikum genau so erwartet, sondern indem ich, wie ich hoffe, ein aufregendes Musikerlebnis vermittle. Und aufregend heißt: nicht nur blanke Schönheit.
Wie haben Sie Ihre Passion, die den Titel "Das Kreuz" trägt, gegliedert?
Dem Stück liegt eine Dreiteiligkeit zugrunde. Drei Meditationen, drei Betrachtungen des Kreuzes, drei Flötensoloteile, die von Sabine Kaufmann aus Hannover gespielt werden. Hierin kann man natürlich eine Verbindung zur Dreieinigkeit sehen. Weiterhin steuert das Stück auf einen Höhepunkt in der Mitte zu. Dort werden zwei Choräle miteinander verschränkt.
Muß man, um eine Passion zu schreiben, sehr gläubig sein?
Man muß jedenfalls einen sehr starken, gefühlsmäßigen Zugang zu der Thematik verspüren.
Sie haben neben Sopran und gemischtem Chor auch ein Instrumentalsolisten-Ensemble angekündigt. Wie ist Ihre Passion instrumentiert?
Ich habe geschrieben für Querflöte, Saxophon, Pauken und Streichquintett. Dabei geben das Saxophon und die Pauke dem Stück wiederum die moderne Farbe. Ich bin sehr froh über die konzentrierten Proben, die ich mit dem Vokalkreis Hameln, den Manfred Arendt sehr gut einstudiert hat, und den hervorragenden Instrumentalisten durchführen durfte. Für mich war es auch eine schöne Erfahrung, mit Instrumentalisten zu arbeiten, die alle aus der Gegend um Hameln kommen und die ich teilweise schon sehr lange kenne.
Das Gespräch mit Jörn Arnecke führte Richard Peter.
Deister- und Weserzeitung, 26. Februar 1997