"Musik soll ein Geheimnis haben, aber eines,
dem man auf die Spur kommen kann"
Das folgende Gespräch führten Luise Botta und Lisa Hauke mit Jörn Arnecke im Juli 2009 während seines Stipendiaten-Aufenthaltes am Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia Bamberg.
Herr Arnecke, wir haben einen Blick auf Ihre Biografie geworfen: Sie haben mit dem Blockflöten-Spiel angefangen und bereits im Alter von acht Jahren eine erste Komposition geschaffen. Darauf folgten Cello- und Klavierspiel. Schließlich haben Sie im damals einzigen Zivildienst-Kammermusik-Ensemble Deutschlands gespielt, haben die Aufnahmeprüfung an der Hochschule bestanden und sind mittlerweile selbst Dozent und ein erfolgreicher Komponist. Wenn man also auf Ihren bisherigen Lebenslauf blickt, dann haben wir den Eindruck gewonnen, dass Sie von früh an und unbeirrt Ihren Weg zur Musik gefunden haben. Ist das richtig?
Ich glaube, das Leben ist selten eine ganz gerade Linie. Unbeirrt wirkt es vielleicht im Rückblick, aber natürlich gibt es immer auch Kurven und andere Interessen. Es war keineswegs so, dass ich immer fest davon überzeugt war, Musiker zu werden – schon gar nicht Komponist. Als Jugendlicher konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass es möglich sein soll, als Komponist Geld zu verdienen. Außerdem komme ich aus einer relativ kleinen Stadt, aus Hameln, dort gab es keine Komponisten, die von Ihrer Musik lebten. Deswegen war es zunächst undenkbar – auch durch meine familiäre Prägung. Meinem Vater, ein Diplomingenieur, wäre anfangs sicherlich ein etwas soliderer Beruf lieber gewesen.
Es hat sich bei mir stufenweise entwickelt, bis ich zu der Überzeugung gelangt bin, dass Musik für mich so viel Faszination ausübt, dass ich es wagen möchte, in diesem Bereich zu arbeiten. Stück für Stück habe ich dann auch den Eindruck gewonnen, dass ich das schaffe. Das kam aber erst im Studium, vielleicht sogar erst danach. Aus diesem Grunde habe ich im Studium auch journalistisch gearbeitet; als eine Art Absicherung, falls es mit dem Komponieren oder auch mit der Lehre von Musiktheorie nicht klappt oder nicht genügt. Dann hätte ich als Journalist trotzdem im musikalischen Bereich arbeiten können.
Es war also kein Weg frei von Zweifeln. Und die Überzeugung, dass man es in diesem Beruf schafft, wird gefördert durch Aufführungen und auch ganz stark durch Stipendien untermauert. Es ist sehr wichtig, dass man Unterstützung hat auf diesem Weg, der auch mit Mitte 30 immer noch nicht einfach ist.
Sie haben gerade Ihr Studium erwähnt. Was uns daran interessiert: In der Einführung Ihres Werkverzeichnisses schreibt Christoph Becher, dass Ihre Lehrergeneration einer Zeit entstammt, in der der Graben zwischen der zeitgenössischen Musik und dem Publikum bedauert wird. Wie beurteilen Sie das? Teilen Sie diese Meinung und inwieweit sind Sie von Ihren Lehrern geprägt worden? Wie schlägt sich diese Prägung in Ihrem Werk nieder?
Ich hatte zwei sehr wichtige Kompositionslehrer:
Einmal Gérard Grisey, mein Lehrer in Paris, wo ich 1997/98 studiert habe. Ein – wie ich finde – großartiger und in Deutschland immer noch zu wenig aufgeführter Komponist; er hat aus der Obertonreihe sehr viele musikalische Elemente gewonnen und es damit geschafft, eine Musik zu schreiben, die einerseits überlegt und naturwissenschaftlich begründet ist und andererseits eine große Ausstrahlung und Klangkraft hat.
Der zweite Lehrer ist Peter Michael Hamel. Auf ihn bezieht sich auch dieses von Ihnen genannte Zitat, denn er ist jemand, der unglaublich offensiv mit seinen Anschauungen umgeht, sich dem Publikum wirklich erklärt und mit großer Begeisterung auf die Leute zugeht und sie zusammenbringt.
Er ist vom Typ her ganz anders als Grisey. Grisey war sehr diskret und überlegt, Hamel eher der Bauchmensch. Ich habe zwei sehr unterschiedliche Temperamente erlebt, was sehr wichtig für mich gewesen ist. Rein kompositionstechnisch ist mir aus der Frankreich-Zeit sehr viel geblieben: Grisey stellte immer die sehr hohe Anforderung, das Stück exakt zu bauen und genau zu überlegen, warum man überhaupt ein Stück schreiben will und was es Neues in sich trägt. Der Einfluss von Hamel zeigt sich in meiner Überzeugung, dass man etwas mitzuteilen hat.
Ich glaube, dass sich für einen zeitgenössischen Komponisten immer noch diese große Frage stellt, warum es eine Kluft zwischen der Musik und dem Publikum gibt. Sie ist sicher geringer geworden, weil es eine Zeit lang sogar "schick" war, so zu komponieren, dass die Leute es nicht verstehen. Das hat sich gewandelt, aber die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, ist immer noch nicht unbedingt üblich. Auch die Frage, warum es denn überhaupt neu sein muss, stellt sich vielen Hörern.
Man muss sich erklären, sich auf seinem Weg beharrlich weiterentwickeln und überzeugen, dass Ideen, die im ersten Moment vielleicht ungewohnt oder auch abschreckend wirken, einen Sinn haben und bei näherer Betrachtung auch Faszination ausüben können. Da hat man als Komponist die Aufgabe, zu vermitteln und mit seiner Person zu werben. Was das angeht, ist sicher mehr von Hamel gekommen als von Grisey.
Diese Einstellung zum Publikum steht offensichtlich im Zusammenhang mit Ihren pädagogischen Projekten. Als Beispiele aus jüngster Vergangenheit seien das "Kristallhaus-Konzert" im Goethe-Gymnasium Hamburg 2009 oder der "Jour fixe – Fixe Schulen" im Künstlerhaus mit dem Franz-Ludwig-Gymnasium Bamberg 2009 genannt. Außerdem arbeiten Sie als Hochschuldozent und halten Workshops ab. Verspüren Sie einen gewissen Auftrag, neue Musik zu vermitteln?
Das Wort "Auftrag" klingt doch recht sendungsbewusst, ich fasse es eher als eine "Aufgabe" auf. Wir haben wirklich ein großes Privileg als Komponisten, wenn man freischaffend arbeiten kann; und ein Privileg auch in dem Sinn, dass es im hohen Maße öffentliche Förderung für unsere Arbeit gibt – wie zum Beispiel hier mit dem Stipendium des Künstlerhauses in Bamberg. Wenn ich einen Kompositionsauftrag von dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg wahrnehme, das in öffentlicher Hand ist, dann ist mein Auftrag letztlich auch öffentlich bezahlt. Also, wohin man auch schaut: Hinter vielen Finanzierungen stehen Steuergelder; und dafür hat man eine Verantwortung auch gegenüber der Gesellschaft.
Dieses Verantwortungsgefühl kann sich zum Beispiel äußern, indem man Jugendliche mit zeitgenössischer Musik zusammenbringt. In diesem Alter ist das sehr wichtig, sonst sinkt die Motivation, sich darauf einzulassen zunehmend. Ich habe das bei mir erlebt, in meiner Schulzeit, 9. Klasse. Der Musiklehrer hat uns "Wozzeck" – ein Stück von Alban Berg aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – vorgespielt. Ich fand das damals auch schrecklich und habe es nicht verstanden. Man muss also an die Musik herangeführt und auch mitgenommen werden. Dafür braucht man solche pädagogischen Projekte.
Gerade wenn Sie mit – mehr oder weniger – Laien zusammenarbeiten, kann man ja sicher sehr viel geben. Was nehmen Sie als "Profi" daraus mit?
Laien haben viel zu geben; wer hört denn in einem Konzert zu? Das sind ja nicht alles studierte Musiker; es wäre auch schrecklich, wenn man nur eine Musik schriebe, die zum Zuhören ein Studium verlangt – was für eine elitäre Haltung wäre das?
Die Menschen, mit denen man in solchen Projekten zu tun hat, das sind ja die Hörer, vielleicht die Hörer von morgen – Schüler sind doch noch relativ offene Menschen. Überhaupt ist es eine Wunschanforderung an die Zuhörer, dass sie vorbehaltlos sind bzw. sich der Musik öffnen. Ich bekomme auch viel zurück, da die Schüler ziemlich direkt reagieren. Außerdem ist Komponieren auch eine Form von Kommunikation. Insofern muss man sich – als Teil eines solchen Projekts – darin üben. Davon profitiere ich auch.
Schlagen Ihnen und Ihrer Musik auch ab und zu die Vorurteile entgegen?
Bei Schülern ist es eher so, dass sie sich gar nicht vorstellen können, dass es so etwas wie Komponieren gibt. Dann sind es weniger Vorurteile, sondern ein Sich-Wundern und Verblüfft-Sein. Das finde ich aber auch toll: Diese Erkenntnis der Schüler, dass es auch heute noch Leute gibt, die komponieren. Vorurteile sind eigentlich bei Schülern weniger vorhanden, weniger als beim "normalen" Publikum.
In einem Konzertpublikum meinen viele Leute, sie wüssten, was sie zu erwarten hätten. Wenn dann aber diese Erwartungen nicht erfüllt werden, gibt es unterschiedliche Reaktionen. Dann kann man sauer oder enttäuscht sein, aber die Schüler erwarten gar nichts. Sie wollen nicht irgendein Thema wiedererkennen, worauf vielleicht der erfahrene Hörer wartet. Sie hören einfach, was kommt.
Wir möchten nun auf Ihre konkrete Arbeit eingehen. Sie waren in Paris am IRCAM-Institut beschäftigt. Dieses Institut forscht insbesondere auf dem Gebiet der elektronischen Musik. Sie arbeiten aber im Moment und auch sonst eher nicht mit elektronischer Musik. Ist dies eine Entscheidung gegen elektronische und für instrumentale Musik?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe mich vor Paris nicht mit elektronischer Musik beschäftigt. Dort waren wir im Studio gezwungen, uns damit auseinanderzusetzen. Wir haben einen Anfängerkurs bekommen, so dass man sich langsam die Technologien erarbeitete. Am Schluss musste man ein Stück schreiben, von ungefähr fünf Minuten Länge. Es ist aber bis heute mein einziges elektronisches Stück geblieben.
Diese Erfahrung, mit elektronischer Musik gearbeitet zu haben, war aber sehr wichtig für mich – und zwar für eine andere, sich vom Notenbild lösende Sicht auf die Musik. Man arbeitet dabei z.B. mit einem Zeitstrahl und hat keinen 4/4-, 5/4- oder 3/4-Takt, sondern es geht um Sekunden. Beim Komponieren elektronischer Musik kontrolliert man viel stärker mit dem Ohr und man erarbeitet Geräuscheffekte und Elemente, die man immer wieder anhört und sich fragt: Passt die Länge oder die Klangmischung? Diese beiden Aspekte sind für mich beim instrumentalen Komponieren immer noch wichtig – zum einen die Kontrolle übers Hören und zum anderen, eher an einen Zeitstrahl und einen Fluss der Musik zu denken als an eine Taktung oder Gliederung durch sehr kleine Einheiten.
Dass ich nach meiner Zeit in Paris keine elektronische Musik mehr komponiert habe, das würde ich nicht für alle Zeiten so stehen lassen wollen. Ich versuche aber auch beim instrumentalen Komponieren Klänge einzusetzen, die nicht unbedingt normal sind; deswegen brauche ich die Elektronik nicht so zwingend.
Ein weiterer Grund - der ist dann tatsächlich ästhetisch: Ich habe es in Konzerten oft als merkwürdig empfunden, wenn Elektronik dabei ist. Man wundert sich gar nicht mehr als Hörer. Alles ist möglich. Alles kommt sozusagen aus einer "Zauberkiste" mit vielen Effekten, aber man weiß als Hörer gar nicht mehr, wie das kommt. Bei instrumentalen Stücken, bei denen nur ein Instrument spielt und einen Klang erzeugt, den man überhaupt nicht erwartet hat, wundert man sich. Deswegen ist das für mich so attraktiv.
Also haben Sie das Bedürfnis, das Handwerk herauszustellen?
Musik soll kein Zaubertrick sein, sondern ein Geheimnis haben; aber eines, dem man auch auf die Spur kommen kann. Und noch eine Begründung, die damit zusammenhängt: Die Elektronik ist sozusagen erwartungsfrei, weil man alles machen kann. Wenn ich ein Ensemble aus vier Streichinstrumenten auf der Bühne sitzen habe, dann erwarte ich einen bestimmten Klang und kann mich daran auch reiben. Bei der Elektronik steht ein Lautsprecher und man hat gar keinen Anhaltspunkt.
Sie haben bereits viele Auftragskompositionen gemacht und komponieren im Moment für das Göttinger Symphonieorchester, für die Bayerische Akademie der Schönen Künste oder das Bremer Theater. Beflügeln oder hemmen solche Aufträge? Bleibt da noch Zeit für das freie Arbeiten?
Das ist eine sehr bedenkenswerte Frage, die man sich immer wieder stellen muss und die sehr berechtigt ist. Zum einen sind die Aufträge natürlich hervorragend und notwendig und materiell auch begünstigend und – was man nicht vernachlässigen darf – mit einer Aufführung verbunden. Das, was man sich ausgedacht hat, wird dann am Klangergebnis überprüft, und man hat das Erlebnis der Realisierung. Das ist alles sehr wichtig.
Eine Frage, die man sich stellen muss, ist, ob man das richtige Maß an Aufträgen hat. Wählt man die Richtigen aus, lehnt man die Richtigen
ab? Da muss man eine gute Balance finden. Und es ist dann tatsächlich oft ziemlich schwierig, einzuteilen, weil ja auch die Anfragen nicht immer in der richtigen Prioritätenfolge eingehen. Das ist eine Frage, die auch die alltägliche Planung sehr stark betrifft: Wie viel macht man und was macht man?
Das Gute ist, dass viele Aufträge nicht gänzlich festgelegt sind. Wenn ich zum Beispiel für die Akademie der Schönen Künste einen Auftrag für ein Kammerstück habe, dann kann ich mir immer noch überlegen, welche Instrumente es sein sollen, und den Vorschlag besprechen. Man hat die Möglichkeit, seine eigenen Vorstellungen einzubringen. Auftragsarbeit heißt ja nicht Willenlosigkeit von Seiten des Komponisten.
Aber man muss sehr aufpassen: Zum Beispiel habe ich eine Zeit lang sehr viel auf der "Opernschiene" komponiert. Man sollte dann auch wieder kleinere Stücke schreiben, weil man sonst immer zum großen "Opernpinsel" greift und etwas die Feinheit verliert. Es geht also um eine gute Planung.
Das Gefühl, ich müsste jetzt noch einmal etwas nur so für mich schreiben, das ist manchmal da, aber die Aufträge haben auch noch eine disziplinierende Funktion: Man muss fertig werden.
Als Komponist muss man sich irgendwann von seinem Stück lösen, weil man es in die Hände anderer gibt – in die Hände der Musiker und des Dirigenten. Heißt es dann bei der Umsetzung gewisse Konflikte auszuhalten? Wie gehen Sie damit um bzw. haben Sie manchmal das Bedürfnis einzugreifen?
Eine dicke Haut muss man natürlich haben. Besonders gravierend ist es, wenn man mit den Musikern nicht geprobt hat und erst zum Konzert geht. Ich habe tatsächlich verblüffende Erfahrungen gemacht, davon kann jeder Komponist erzählen. Zum Beispiel gab es bei einer Aufführung des Klarinettenstückes "Weißer Rauch" vorher keine Probe in meinem Beisein. Die Musikerin spielte sehr gut. Das Stück ist sehr schwierig. Dann kam sie im Konzert zur Mitte des Stückes, spielte die Phrasen zu Ende – und hörte auf. Das Publikum klatschte und ich wunderte mich… Sie sagte mir später, sie habe die Noten nur bis zu dieser Seite per Fax geschickt bekommen. Das sind Dinge, die passieren können und die man mit Humor nehmen muss.
Ein anderes Beispiel: Die Regiearbeit bei einer Oper hat große Auswirkungen auf das eigene Werk. Generell – das betrifft die Zusammenarbeit mit Musikern, Regisseuren oder Bühnenbildnern – ist es sehr wichtig, sich vorher gut zu verständigen, was man erwartet und was man möchte. Dann geben alle das Beste für das Projekt.
Während einer Probenphase äußere ich auch meine Wünsche oder Kommentare dazu und bringe mich auf diese Weise mit meiner Denkart ein. Dennoch bin ich oft sehr froh, dass ich nicht selbst der Ausführende sein muss. Kurze Zeit habe ich auch dirigiert, aber für die Aufführung seines eigenen Stückes nicht selbst dirigentisch verantwortlich sein zu müssen, das ist für mich eine Befreiung; für die Musiker ist es auch besser, wenn das Stück nicht vom Komponisten dirigiert wird. Ein anderer Dirigent kann ohne Probleme sagen: Das steht so in den Noten, das müssen wir so ausführen. Wenn man es selbst übernimmt, dann klingt es immer so, als würde man sich für sein eigenes Stück entschuldigen oder rechtfertigen. Deswegen halte ich das für eine sehr gute Arbeitsteilung.
Sie sprachen bereits über die Oper und Ihre Vorliebe für diese. Was reizt Sie an dieser Arbeit besonders?
Ich glaube, mein großes Interesse für die Oper liegt daran, dass ich nicht gerne ein musikalischer "Fachidiot" sein wollte. Auch habe ich deshalb für sie so Feuer gefangen, weil sich mit ihr am ehesten im musikalischen Bereich gesellschaftliche Themen ansprechen lassen. Ich beschäftige mich gern mit Stoffen und Themen, von denen ich glaube, dass sie gegenwärtig wichtig sind. Schon am Anfang hatte ich außerdem das große Glück, Projekte realisieren zu können – immerhin ist die Oper ein Bereich, für den man erst einmal den Einstieg finden muss.
Außerdem kommen dabei die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Natürlich hat ein Bühnenbildner eine ganz andere Prägung als ein Komponist oder ein Sänger, das macht es auch spannend.
Ich finde übrigens die Anordnung hier im Künstlerhaus so schön, weil man mit Literaten und Bildenden Künstlern zusammentrifft und in Kontakt mit anderen Ideen kommt. Oft kann man sich eher auf die Ideen von Künstlern anderer Sparten einlassen als auf die Ideen jener aus derselben Sparte. Da sind Andersartigkeit und andere Sichtweisen eine große Chance.
Ein Projekt gab es mit Ihrem Dozenten Peter Michael Hamel, bei dem mehrere Komponisten ein gemeinsames Stück geschrieben haben: "Über Frauen – Über Grenzen". Dabei arbeiteten Sie dann ja direkt mit Ihren komponierenden Kollegen zusammen?
Ja, das war eine interessante und spezielle Erfahrung, mit sieben Komponisten zusammengeworfen zu sein. Wir haben uns erstaunlich gut vertragen. Die Ästhetik, nach der wir komponierten, war wirklich sehr breit gefächert, obwohl wir uns auf ein gemeinsames Thema zu einigen hatten. Das Stück musste einen Bogen haben. Außerdem gab es Zeitdruck, weil die Anfrage sehr kurzfristig kam und weil man natürlich auch unterschiedlich schnell komponiert. Eigentlich ist diese Kollektivarbeit auch eine Sache, die man mal wieder machen sollte: Sie lenkt ein bisschen ab von der Fixiertheit auf die eigene Person.
Als Künstler ist man ja in der Regel auf sich gestellt?
Man muss das auch sein und von sich selbst etwas einbringen und mitteilen. Als pädagogische Situation finde ich die Arbeit in einer Gruppe aber auf jeden Fall gut, auch um sich ein bisschen zu relativieren.
Wir haben uns die Titel Ihrer Stücke angeschaut, zum Beispiel: "Auf dem Wasser zu singen", "Das Fest im Meer", "Gezeiten", "Kristallisationen", "Unter Eis". Da glauben wir, eine gewisse Affinität zu Naturmotiven erkannt zu haben. Ist dem so?
Ja, ich glaube schon. Diese Perspektive ist für mich mehr und mehr faszinierend, zum Teil aber - ehrlich gesagt - auch Zufall. Bei "Das Fest im Meer" ist Wasser sicher eine wichtige Thematik, aber nicht die entscheidende. Es geht um eine HIV-Erkrankung. Zum Teil tastet man sich aber durch mehrere Stücke an Themen heran, manchmal sogar unbeabsichtigt. Indem man mehrere Stücke schreibt, die verwandte Phänomene zur Vorlage haben, denkt man sich tiefer in ein Thema ein.
Ich mag assoziativ-anregende Titel. Das macht es auch dem Publikum einfacher: Diese Phänomene, die jeder kennt – wie zum Beispiel ein Kristall – verursachen bestimmte Vorstellungen. Dann kommt ein Stück, was damit zu tun hat oder für den Hörer erst einmal nicht damit zu tun hat. Mit der Erwartung, die der Titel auslöst, zu spielen, finde ich ganz spannend.
Der Titel ist außerdem ein wichtiger Punkt, weil die Stücke dadurch eine Identität gewinnen. Wenn man ein Kind bekommt, sucht man sich ja auch mit viel Bedacht den Namen aus. Der Titel ist meistens das Erste, was der Hörer von diesem Stück erfährt noch bevor er irgendeinen Klang zu hören bekommt. Ob das Stück nun "Konstruktion 17" heißt oder zum Beispiel "Weißer Rauch", ist ein großer Unterschied. Deswegen ist es für die Arbeitsweise wichtig, was den Ausgangspunkt bildet: Startet man also wirklich mit einer Konstruktion oder einem Bauplan oder geht man vielleicht von einem Phänomen wie Wasser oder Kristall aus.
Sehen Sie einen konkreten Zusammenhang zwischen Natur und Musik? Bei dieser Frage haben wir zum Beispiel vor Augen, wie Sie mit Schülern hier in den Garten der Villa Concordia gegangen sind und dort Geräusche und Klänge gesammelt haben.
Ja, ich glaube, dass ich in letzter Zeit ein bisschen meine Ohren dafür geöffnet habe, und wenn man sich dann zum Beispiel die Vogelwelt ein bisschen genauer anhört – meine Frau ist Biologin und Vogelexpertin und hat mich da natürlich auch auf Vieles aufmerksam gemacht, dann merkt man, welch ein genialer Kosmos die Natur ist. Es gibt wirklich faszinierende "Interpreten" in der Natur und es sind wahre Konzertklänge, die da entstehen. Auch die oft als belanglos empfundenen Hintergrundgeräusche weisen eine musikalische Qualität auf.
Ich versuche, Anregungen in der Natur zu finden, weil der Konzertbetrieb natürlich auch eine ganz abgeschlossene Sache ist. Die Welt ist aber viel größer als das.
Sie haben viele Auszeichnungen für Ihr Werk erhalten, außerdem werden Ihre Stücke von einem Verlag verlegt. Dazu die Frage: Wenn man schon so erfolgreich gewesen ist, wie sehen dann zukünftige Karrierevorstellungen aus?
Die berufliche Planung ist natürlich immer die große Frage. Zur beruflichen Komponente kommt ja auch noch die private: Da muss man die Dinge in eine Balance bringen. Ich glaube, dass ich in den nächsten Jahren weniger komponieren werde, als ich es in den zurückliegenden zehn Jahren getan habe. Das war aber für diese Lebensphase sicherlich sehr gut. Mit 25 Jahren sucht man noch seinen Weg und probiert Verschiedenes aus. Man stellt fest: Oh, da habe ich jetzt ein bisschen übers Ziel hinaus geschossen, hier war ich zu milde, und da war ich zu heftig. Jetzt weiß ich genauer, was ich möchte; dann kann es tatsächlich auch gut sein, sich auf weniger Stücke zu konzentrieren.
Auch Ortswechsel werden vielleicht nicht ausbleiben, dass man zum Beispiel für ein Stipendium noch einmal woanders hingeht und es da auch wieder Einschnitte gibt?
Ich finde, dass die Stipendien etwas für Jüngere sind – nicht unbedingt in der Villa Concordia, die sich ja auch an reifere Künstler wendet. Die schwierige Phase aber ist, wenn man sein Studium abgeschlossen hat, und man fragt sich ganz massiv: Packe ich das? Dann braucht man Unterstützung. Komponisten, die schon einigermaßen arriviert sind, haben ohnehin Aufträge und benötigen nicht unbedingt ein Stipendium. Deswegen muss man dann irgendwann sagen, ich habe enorm profitiert von den Stipendien und jetzt kommen andere dran.
Das finde ich am Musikbetrieb immer noch etwas problematisch: den Domino-Effekt; wenn man einmal drin ist, folgt eins auf das andere. Dann werden aber immer Dieselben gefördert und andere, die auch sehr gut sind, eben nicht. Deswegen kann man sich auch mal aus dem Stipendien-Karussell zurückziehen. Ich glaube, dass das Villa-Concordia-Stipendium sogar das letzte für mich sein wird. Das habe ich allerdings beim letzten auch schon gesagt. (lacht)
Herr Arnecke, vielen Dank für dieses Gespräch!
Herr Arnecke, wir haben einen Blick auf Ihre Biografie geworfen: Sie haben mit dem Blockflöten-Spiel angefangen und bereits im Alter von acht Jahren eine erste Komposition geschaffen. Darauf folgten Cello- und Klavierspiel. Schließlich haben Sie im damals einzigen Zivildienst-Kammermusik-Ensemble Deutschlands gespielt, haben die Aufnahmeprüfung an der Hochschule bestanden und sind mittlerweile selbst Dozent und ein erfolgreicher Komponist. Wenn man also auf Ihren bisherigen Lebenslauf blickt, dann haben wir den Eindruck gewonnen, dass Sie von früh an und unbeirrt Ihren Weg zur Musik gefunden haben. Ist das richtig?
Ich glaube, das Leben ist selten eine ganz gerade Linie. Unbeirrt wirkt es vielleicht im Rückblick, aber natürlich gibt es immer auch Kurven und andere Interessen. Es war keineswegs so, dass ich immer fest davon überzeugt war, Musiker zu werden – schon gar nicht Komponist. Als Jugendlicher konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass es möglich sein soll, als Komponist Geld zu verdienen. Außerdem komme ich aus einer relativ kleinen Stadt, aus Hameln, dort gab es keine Komponisten, die von Ihrer Musik lebten. Deswegen war es zunächst undenkbar – auch durch meine familiäre Prägung. Meinem Vater, ein Diplomingenieur, wäre anfangs sicherlich ein etwas soliderer Beruf lieber gewesen.
Es hat sich bei mir stufenweise entwickelt, bis ich zu der Überzeugung gelangt bin, dass Musik für mich so viel Faszination ausübt, dass ich es wagen möchte, in diesem Bereich zu arbeiten. Stück für Stück habe ich dann auch den Eindruck gewonnen, dass ich das schaffe. Das kam aber erst im Studium, vielleicht sogar erst danach. Aus diesem Grunde habe ich im Studium auch journalistisch gearbeitet; als eine Art Absicherung, falls es mit dem Komponieren oder auch mit der Lehre von Musiktheorie nicht klappt oder nicht genügt. Dann hätte ich als Journalist trotzdem im musikalischen Bereich arbeiten können.
Es war also kein Weg frei von Zweifeln. Und die Überzeugung, dass man es in diesem Beruf schafft, wird gefördert durch Aufführungen und auch ganz stark durch Stipendien untermauert. Es ist sehr wichtig, dass man Unterstützung hat auf diesem Weg, der auch mit Mitte 30 immer noch nicht einfach ist.
Sie haben gerade Ihr Studium erwähnt. Was uns daran interessiert: In der Einführung Ihres Werkverzeichnisses schreibt Christoph Becher, dass Ihre Lehrergeneration einer Zeit entstammt, in der der Graben zwischen der zeitgenössischen Musik und dem Publikum bedauert wird. Wie beurteilen Sie das? Teilen Sie diese Meinung und inwieweit sind Sie von Ihren Lehrern geprägt worden? Wie schlägt sich diese Prägung in Ihrem Werk nieder?
Ich hatte zwei sehr wichtige Kompositionslehrer:
Einmal Gérard Grisey, mein Lehrer in Paris, wo ich 1997/98 studiert habe. Ein – wie ich finde – großartiger und in Deutschland immer noch zu wenig aufgeführter Komponist; er hat aus der Obertonreihe sehr viele musikalische Elemente gewonnen und es damit geschafft, eine Musik zu schreiben, die einerseits überlegt und naturwissenschaftlich begründet ist und andererseits eine große Ausstrahlung und Klangkraft hat.
Der zweite Lehrer ist Peter Michael Hamel. Auf ihn bezieht sich auch dieses von Ihnen genannte Zitat, denn er ist jemand, der unglaublich offensiv mit seinen Anschauungen umgeht, sich dem Publikum wirklich erklärt und mit großer Begeisterung auf die Leute zugeht und sie zusammenbringt.
Er ist vom Typ her ganz anders als Grisey. Grisey war sehr diskret und überlegt, Hamel eher der Bauchmensch. Ich habe zwei sehr unterschiedliche Temperamente erlebt, was sehr wichtig für mich gewesen ist. Rein kompositionstechnisch ist mir aus der Frankreich-Zeit sehr viel geblieben: Grisey stellte immer die sehr hohe Anforderung, das Stück exakt zu bauen und genau zu überlegen, warum man überhaupt ein Stück schreiben will und was es Neues in sich trägt. Der Einfluss von Hamel zeigt sich in meiner Überzeugung, dass man etwas mitzuteilen hat.
Ich glaube, dass sich für einen zeitgenössischen Komponisten immer noch diese große Frage stellt, warum es eine Kluft zwischen der Musik und dem Publikum gibt. Sie ist sicher geringer geworden, weil es eine Zeit lang sogar "schick" war, so zu komponieren, dass die Leute es nicht verstehen. Das hat sich gewandelt, aber die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, ist immer noch nicht unbedingt üblich. Auch die Frage, warum es denn überhaupt neu sein muss, stellt sich vielen Hörern.
Man muss sich erklären, sich auf seinem Weg beharrlich weiterentwickeln und überzeugen, dass Ideen, die im ersten Moment vielleicht ungewohnt oder auch abschreckend wirken, einen Sinn haben und bei näherer Betrachtung auch Faszination ausüben können. Da hat man als Komponist die Aufgabe, zu vermitteln und mit seiner Person zu werben. Was das angeht, ist sicher mehr von Hamel gekommen als von Grisey.
Diese Einstellung zum Publikum steht offensichtlich im Zusammenhang mit Ihren pädagogischen Projekten. Als Beispiele aus jüngster Vergangenheit seien das "Kristallhaus-Konzert" im Goethe-Gymnasium Hamburg 2009 oder der "Jour fixe – Fixe Schulen" im Künstlerhaus mit dem Franz-Ludwig-Gymnasium Bamberg 2009 genannt. Außerdem arbeiten Sie als Hochschuldozent und halten Workshops ab. Verspüren Sie einen gewissen Auftrag, neue Musik zu vermitteln?
Das Wort "Auftrag" klingt doch recht sendungsbewusst, ich fasse es eher als eine "Aufgabe" auf. Wir haben wirklich ein großes Privileg als Komponisten, wenn man freischaffend arbeiten kann; und ein Privileg auch in dem Sinn, dass es im hohen Maße öffentliche Förderung für unsere Arbeit gibt – wie zum Beispiel hier mit dem Stipendium des Künstlerhauses in Bamberg. Wenn ich einen Kompositionsauftrag von dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg wahrnehme, das in öffentlicher Hand ist, dann ist mein Auftrag letztlich auch öffentlich bezahlt. Also, wohin man auch schaut: Hinter vielen Finanzierungen stehen Steuergelder; und dafür hat man eine Verantwortung auch gegenüber der Gesellschaft.
Dieses Verantwortungsgefühl kann sich zum Beispiel äußern, indem man Jugendliche mit zeitgenössischer Musik zusammenbringt. In diesem Alter ist das sehr wichtig, sonst sinkt die Motivation, sich darauf einzulassen zunehmend. Ich habe das bei mir erlebt, in meiner Schulzeit, 9. Klasse. Der Musiklehrer hat uns "Wozzeck" – ein Stück von Alban Berg aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – vorgespielt. Ich fand das damals auch schrecklich und habe es nicht verstanden. Man muss also an die Musik herangeführt und auch mitgenommen werden. Dafür braucht man solche pädagogischen Projekte.
Gerade wenn Sie mit – mehr oder weniger – Laien zusammenarbeiten, kann man ja sicher sehr viel geben. Was nehmen Sie als "Profi" daraus mit?
Laien haben viel zu geben; wer hört denn in einem Konzert zu? Das sind ja nicht alles studierte Musiker; es wäre auch schrecklich, wenn man nur eine Musik schriebe, die zum Zuhören ein Studium verlangt – was für eine elitäre Haltung wäre das?
Die Menschen, mit denen man in solchen Projekten zu tun hat, das sind ja die Hörer, vielleicht die Hörer von morgen – Schüler sind doch noch relativ offene Menschen. Überhaupt ist es eine Wunschanforderung an die Zuhörer, dass sie vorbehaltlos sind bzw. sich der Musik öffnen. Ich bekomme auch viel zurück, da die Schüler ziemlich direkt reagieren. Außerdem ist Komponieren auch eine Form von Kommunikation. Insofern muss man sich – als Teil eines solchen Projekts – darin üben. Davon profitiere ich auch.
Schlagen Ihnen und Ihrer Musik auch ab und zu die Vorurteile entgegen?
Bei Schülern ist es eher so, dass sie sich gar nicht vorstellen können, dass es so etwas wie Komponieren gibt. Dann sind es weniger Vorurteile, sondern ein Sich-Wundern und Verblüfft-Sein. Das finde ich aber auch toll: Diese Erkenntnis der Schüler, dass es auch heute noch Leute gibt, die komponieren. Vorurteile sind eigentlich bei Schülern weniger vorhanden, weniger als beim "normalen" Publikum.
In einem Konzertpublikum meinen viele Leute, sie wüssten, was sie zu erwarten hätten. Wenn dann aber diese Erwartungen nicht erfüllt werden, gibt es unterschiedliche Reaktionen. Dann kann man sauer oder enttäuscht sein, aber die Schüler erwarten gar nichts. Sie wollen nicht irgendein Thema wiedererkennen, worauf vielleicht der erfahrene Hörer wartet. Sie hören einfach, was kommt.
Wir möchten nun auf Ihre konkrete Arbeit eingehen. Sie waren in Paris am IRCAM-Institut beschäftigt. Dieses Institut forscht insbesondere auf dem Gebiet der elektronischen Musik. Sie arbeiten aber im Moment und auch sonst eher nicht mit elektronischer Musik. Ist dies eine Entscheidung gegen elektronische und für instrumentale Musik?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe mich vor Paris nicht mit elektronischer Musik beschäftigt. Dort waren wir im Studio gezwungen, uns damit auseinanderzusetzen. Wir haben einen Anfängerkurs bekommen, so dass man sich langsam die Technologien erarbeitete. Am Schluss musste man ein Stück schreiben, von ungefähr fünf Minuten Länge. Es ist aber bis heute mein einziges elektronisches Stück geblieben.
Diese Erfahrung, mit elektronischer Musik gearbeitet zu haben, war aber sehr wichtig für mich – und zwar für eine andere, sich vom Notenbild lösende Sicht auf die Musik. Man arbeitet dabei z.B. mit einem Zeitstrahl und hat keinen 4/4-, 5/4- oder 3/4-Takt, sondern es geht um Sekunden. Beim Komponieren elektronischer Musik kontrolliert man viel stärker mit dem Ohr und man erarbeitet Geräuscheffekte und Elemente, die man immer wieder anhört und sich fragt: Passt die Länge oder die Klangmischung? Diese beiden Aspekte sind für mich beim instrumentalen Komponieren immer noch wichtig – zum einen die Kontrolle übers Hören und zum anderen, eher an einen Zeitstrahl und einen Fluss der Musik zu denken als an eine Taktung oder Gliederung durch sehr kleine Einheiten.
Dass ich nach meiner Zeit in Paris keine elektronische Musik mehr komponiert habe, das würde ich nicht für alle Zeiten so stehen lassen wollen. Ich versuche aber auch beim instrumentalen Komponieren Klänge einzusetzen, die nicht unbedingt normal sind; deswegen brauche ich die Elektronik nicht so zwingend.
Ein weiterer Grund - der ist dann tatsächlich ästhetisch: Ich habe es in Konzerten oft als merkwürdig empfunden, wenn Elektronik dabei ist. Man wundert sich gar nicht mehr als Hörer. Alles ist möglich. Alles kommt sozusagen aus einer "Zauberkiste" mit vielen Effekten, aber man weiß als Hörer gar nicht mehr, wie das kommt. Bei instrumentalen Stücken, bei denen nur ein Instrument spielt und einen Klang erzeugt, den man überhaupt nicht erwartet hat, wundert man sich. Deswegen ist das für mich so attraktiv.
Also haben Sie das Bedürfnis, das Handwerk herauszustellen?
Musik soll kein Zaubertrick sein, sondern ein Geheimnis haben; aber eines, dem man auch auf die Spur kommen kann. Und noch eine Begründung, die damit zusammenhängt: Die Elektronik ist sozusagen erwartungsfrei, weil man alles machen kann. Wenn ich ein Ensemble aus vier Streichinstrumenten auf der Bühne sitzen habe, dann erwarte ich einen bestimmten Klang und kann mich daran auch reiben. Bei der Elektronik steht ein Lautsprecher und man hat gar keinen Anhaltspunkt.
Sie haben bereits viele Auftragskompositionen gemacht und komponieren im Moment für das Göttinger Symphonieorchester, für die Bayerische Akademie der Schönen Künste oder das Bremer Theater. Beflügeln oder hemmen solche Aufträge? Bleibt da noch Zeit für das freie Arbeiten?
Das ist eine sehr bedenkenswerte Frage, die man sich immer wieder stellen muss und die sehr berechtigt ist. Zum einen sind die Aufträge natürlich hervorragend und notwendig und materiell auch begünstigend und – was man nicht vernachlässigen darf – mit einer Aufführung verbunden. Das, was man sich ausgedacht hat, wird dann am Klangergebnis überprüft, und man hat das Erlebnis der Realisierung. Das ist alles sehr wichtig.
Eine Frage, die man sich stellen muss, ist, ob man das richtige Maß an Aufträgen hat. Wählt man die Richtigen aus, lehnt man die Richtigen
ab? Da muss man eine gute Balance finden. Und es ist dann tatsächlich oft ziemlich schwierig, einzuteilen, weil ja auch die Anfragen nicht immer in der richtigen Prioritätenfolge eingehen. Das ist eine Frage, die auch die alltägliche Planung sehr stark betrifft: Wie viel macht man und was macht man?
Das Gute ist, dass viele Aufträge nicht gänzlich festgelegt sind. Wenn ich zum Beispiel für die Akademie der Schönen Künste einen Auftrag für ein Kammerstück habe, dann kann ich mir immer noch überlegen, welche Instrumente es sein sollen, und den Vorschlag besprechen. Man hat die Möglichkeit, seine eigenen Vorstellungen einzubringen. Auftragsarbeit heißt ja nicht Willenlosigkeit von Seiten des Komponisten.
Aber man muss sehr aufpassen: Zum Beispiel habe ich eine Zeit lang sehr viel auf der "Opernschiene" komponiert. Man sollte dann auch wieder kleinere Stücke schreiben, weil man sonst immer zum großen "Opernpinsel" greift und etwas die Feinheit verliert. Es geht also um eine gute Planung.
Das Gefühl, ich müsste jetzt noch einmal etwas nur so für mich schreiben, das ist manchmal da, aber die Aufträge haben auch noch eine disziplinierende Funktion: Man muss fertig werden.
Als Komponist muss man sich irgendwann von seinem Stück lösen, weil man es in die Hände anderer gibt – in die Hände der Musiker und des Dirigenten. Heißt es dann bei der Umsetzung gewisse Konflikte auszuhalten? Wie gehen Sie damit um bzw. haben Sie manchmal das Bedürfnis einzugreifen?
Eine dicke Haut muss man natürlich haben. Besonders gravierend ist es, wenn man mit den Musikern nicht geprobt hat und erst zum Konzert geht. Ich habe tatsächlich verblüffende Erfahrungen gemacht, davon kann jeder Komponist erzählen. Zum Beispiel gab es bei einer Aufführung des Klarinettenstückes "Weißer Rauch" vorher keine Probe in meinem Beisein. Die Musikerin spielte sehr gut. Das Stück ist sehr schwierig. Dann kam sie im Konzert zur Mitte des Stückes, spielte die Phrasen zu Ende – und hörte auf. Das Publikum klatschte und ich wunderte mich… Sie sagte mir später, sie habe die Noten nur bis zu dieser Seite per Fax geschickt bekommen. Das sind Dinge, die passieren können und die man mit Humor nehmen muss.
Ein anderes Beispiel: Die Regiearbeit bei einer Oper hat große Auswirkungen auf das eigene Werk. Generell – das betrifft die Zusammenarbeit mit Musikern, Regisseuren oder Bühnenbildnern – ist es sehr wichtig, sich vorher gut zu verständigen, was man erwartet und was man möchte. Dann geben alle das Beste für das Projekt.
Während einer Probenphase äußere ich auch meine Wünsche oder Kommentare dazu und bringe mich auf diese Weise mit meiner Denkart ein. Dennoch bin ich oft sehr froh, dass ich nicht selbst der Ausführende sein muss. Kurze Zeit habe ich auch dirigiert, aber für die Aufführung seines eigenen Stückes nicht selbst dirigentisch verantwortlich sein zu müssen, das ist für mich eine Befreiung; für die Musiker ist es auch besser, wenn das Stück nicht vom Komponisten dirigiert wird. Ein anderer Dirigent kann ohne Probleme sagen: Das steht so in den Noten, das müssen wir so ausführen. Wenn man es selbst übernimmt, dann klingt es immer so, als würde man sich für sein eigenes Stück entschuldigen oder rechtfertigen. Deswegen halte ich das für eine sehr gute Arbeitsteilung.
Sie sprachen bereits über die Oper und Ihre Vorliebe für diese. Was reizt Sie an dieser Arbeit besonders?
Ich glaube, mein großes Interesse für die Oper liegt daran, dass ich nicht gerne ein musikalischer "Fachidiot" sein wollte. Auch habe ich deshalb für sie so Feuer gefangen, weil sich mit ihr am ehesten im musikalischen Bereich gesellschaftliche Themen ansprechen lassen. Ich beschäftige mich gern mit Stoffen und Themen, von denen ich glaube, dass sie gegenwärtig wichtig sind. Schon am Anfang hatte ich außerdem das große Glück, Projekte realisieren zu können – immerhin ist die Oper ein Bereich, für den man erst einmal den Einstieg finden muss.
Außerdem kommen dabei die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Natürlich hat ein Bühnenbildner eine ganz andere Prägung als ein Komponist oder ein Sänger, das macht es auch spannend.
Ich finde übrigens die Anordnung hier im Künstlerhaus so schön, weil man mit Literaten und Bildenden Künstlern zusammentrifft und in Kontakt mit anderen Ideen kommt. Oft kann man sich eher auf die Ideen von Künstlern anderer Sparten einlassen als auf die Ideen jener aus derselben Sparte. Da sind Andersartigkeit und andere Sichtweisen eine große Chance.
Ein Projekt gab es mit Ihrem Dozenten Peter Michael Hamel, bei dem mehrere Komponisten ein gemeinsames Stück geschrieben haben: "Über Frauen – Über Grenzen". Dabei arbeiteten Sie dann ja direkt mit Ihren komponierenden Kollegen zusammen?
Ja, das war eine interessante und spezielle Erfahrung, mit sieben Komponisten zusammengeworfen zu sein. Wir haben uns erstaunlich gut vertragen. Die Ästhetik, nach der wir komponierten, war wirklich sehr breit gefächert, obwohl wir uns auf ein gemeinsames Thema zu einigen hatten. Das Stück musste einen Bogen haben. Außerdem gab es Zeitdruck, weil die Anfrage sehr kurzfristig kam und weil man natürlich auch unterschiedlich schnell komponiert. Eigentlich ist diese Kollektivarbeit auch eine Sache, die man mal wieder machen sollte: Sie lenkt ein bisschen ab von der Fixiertheit auf die eigene Person.
Als Künstler ist man ja in der Regel auf sich gestellt?
Man muss das auch sein und von sich selbst etwas einbringen und mitteilen. Als pädagogische Situation finde ich die Arbeit in einer Gruppe aber auf jeden Fall gut, auch um sich ein bisschen zu relativieren.
Wir haben uns die Titel Ihrer Stücke angeschaut, zum Beispiel: "Auf dem Wasser zu singen", "Das Fest im Meer", "Gezeiten", "Kristallisationen", "Unter Eis". Da glauben wir, eine gewisse Affinität zu Naturmotiven erkannt zu haben. Ist dem so?
Ja, ich glaube schon. Diese Perspektive ist für mich mehr und mehr faszinierend, zum Teil aber - ehrlich gesagt - auch Zufall. Bei "Das Fest im Meer" ist Wasser sicher eine wichtige Thematik, aber nicht die entscheidende. Es geht um eine HIV-Erkrankung. Zum Teil tastet man sich aber durch mehrere Stücke an Themen heran, manchmal sogar unbeabsichtigt. Indem man mehrere Stücke schreibt, die verwandte Phänomene zur Vorlage haben, denkt man sich tiefer in ein Thema ein.
Ich mag assoziativ-anregende Titel. Das macht es auch dem Publikum einfacher: Diese Phänomene, die jeder kennt – wie zum Beispiel ein Kristall – verursachen bestimmte Vorstellungen. Dann kommt ein Stück, was damit zu tun hat oder für den Hörer erst einmal nicht damit zu tun hat. Mit der Erwartung, die der Titel auslöst, zu spielen, finde ich ganz spannend.
Der Titel ist außerdem ein wichtiger Punkt, weil die Stücke dadurch eine Identität gewinnen. Wenn man ein Kind bekommt, sucht man sich ja auch mit viel Bedacht den Namen aus. Der Titel ist meistens das Erste, was der Hörer von diesem Stück erfährt noch bevor er irgendeinen Klang zu hören bekommt. Ob das Stück nun "Konstruktion 17" heißt oder zum Beispiel "Weißer Rauch", ist ein großer Unterschied. Deswegen ist es für die Arbeitsweise wichtig, was den Ausgangspunkt bildet: Startet man also wirklich mit einer Konstruktion oder einem Bauplan oder geht man vielleicht von einem Phänomen wie Wasser oder Kristall aus.
Sehen Sie einen konkreten Zusammenhang zwischen Natur und Musik? Bei dieser Frage haben wir zum Beispiel vor Augen, wie Sie mit Schülern hier in den Garten der Villa Concordia gegangen sind und dort Geräusche und Klänge gesammelt haben.
Ja, ich glaube, dass ich in letzter Zeit ein bisschen meine Ohren dafür geöffnet habe, und wenn man sich dann zum Beispiel die Vogelwelt ein bisschen genauer anhört – meine Frau ist Biologin und Vogelexpertin und hat mich da natürlich auch auf Vieles aufmerksam gemacht, dann merkt man, welch ein genialer Kosmos die Natur ist. Es gibt wirklich faszinierende "Interpreten" in der Natur und es sind wahre Konzertklänge, die da entstehen. Auch die oft als belanglos empfundenen Hintergrundgeräusche weisen eine musikalische Qualität auf.
Ich versuche, Anregungen in der Natur zu finden, weil der Konzertbetrieb natürlich auch eine ganz abgeschlossene Sache ist. Die Welt ist aber viel größer als das.
Sie haben viele Auszeichnungen für Ihr Werk erhalten, außerdem werden Ihre Stücke von einem Verlag verlegt. Dazu die Frage: Wenn man schon so erfolgreich gewesen ist, wie sehen dann zukünftige Karrierevorstellungen aus?
Die berufliche Planung ist natürlich immer die große Frage. Zur beruflichen Komponente kommt ja auch noch die private: Da muss man die Dinge in eine Balance bringen. Ich glaube, dass ich in den nächsten Jahren weniger komponieren werde, als ich es in den zurückliegenden zehn Jahren getan habe. Das war aber für diese Lebensphase sicherlich sehr gut. Mit 25 Jahren sucht man noch seinen Weg und probiert Verschiedenes aus. Man stellt fest: Oh, da habe ich jetzt ein bisschen übers Ziel hinaus geschossen, hier war ich zu milde, und da war ich zu heftig. Jetzt weiß ich genauer, was ich möchte; dann kann es tatsächlich auch gut sein, sich auf weniger Stücke zu konzentrieren.
Auch Ortswechsel werden vielleicht nicht ausbleiben, dass man zum Beispiel für ein Stipendium noch einmal woanders hingeht und es da auch wieder Einschnitte gibt?
Ich finde, dass die Stipendien etwas für Jüngere sind – nicht unbedingt in der Villa Concordia, die sich ja auch an reifere Künstler wendet. Die schwierige Phase aber ist, wenn man sein Studium abgeschlossen hat, und man fragt sich ganz massiv: Packe ich das? Dann braucht man Unterstützung. Komponisten, die schon einigermaßen arriviert sind, haben ohnehin Aufträge und benötigen nicht unbedingt ein Stipendium. Deswegen muss man dann irgendwann sagen, ich habe enorm profitiert von den Stipendien und jetzt kommen andere dran.
Das finde ich am Musikbetrieb immer noch etwas problematisch: den Domino-Effekt; wenn man einmal drin ist, folgt eins auf das andere. Dann werden aber immer Dieselben gefördert und andere, die auch sehr gut sind, eben nicht. Deswegen kann man sich auch mal aus dem Stipendien-Karussell zurückziehen. Ich glaube, dass das Villa-Concordia-Stipendium sogar das letzte für mich sein wird. Das habe ich allerdings beim letzten auch schon gesagt. (lacht)
Herr Arnecke, vielen Dank für dieses Gespräch!