Komponieren in Corona-ZeiteN
Corona hat auch mein Leben auf den Kopf gestellt. Dabei bin ich privilegiert: Familie (und damit keine Isolation), Festanstellung (an der Hochschule für Musik Franz LisztWeimar) und ein großes fest vereinbartes Uraufführungsprojekt für 2021 (das bisher noch von keiner Absage bedroht ist). Aber Corona löst viele Fragen aus, die über Musik hinausgehen und unser Zusammenleben, unsere Wahrnehmungen und unsere Ängste betreffen. Und da ich kompositorisch vor allem im Musiktheater zu Hause bin, wirkt dies eben doch sehr stark auf die musikalische Arbeit zurück.
Vieles erscheint vor der Bedrohung durch Corona klein. Vor wenigen Monaten gab es Aufregungen um die Bon-Pflicht für Bäckereien; jetzt ist uns der Bon herzlich egal, solange die Bäckerei offen hat und wir es schaffen, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Dass das weltumspannende Tournee-Wesen auch in der Klassik überdreht war, konnte man schon vorher vermerken; richtig sichtbar wird es erst jetzt, wenn alle zu Hause bleiben und sich darüber Gedanken machen, was ihr Leben im Kern ausmacht. Viel muss nicht viel sein – aber das Nichts, zu dem Konzert- und Opernhäuser, Festivals und freie Szene gerade gezwungen sind, ist natürlich viel zu wenig. Ein gesundes Maß: Wo steckt das? In der Musik, in der Gesellschaft, im eigenen Leben?
Mir scheint, dass Quantität über die Jahre einen immer größeren Stellenwert gewonnen hat. Freie Künstler*innen brauchen viele Konzerte, viele Aufträge, viel Netzwerk, viel Zeit für PR in eigener Sache – einfach, um zu überleben. Jetzt, da alles wegbricht, wird es Zeit, sich des Wertes bewusst zu werden, den Kunst für unsere Gesellschaft hat und den wir ihr geben wollen. Angemessen sind Eintrittspreise dann, wenn sie den Künstler*innen genug zum Leben geben, ohne ihnen im Terminkalender jeglichen Raum für Kreation zu rauben. Das direkte Kunsterlebnis ist überall lebenswichtig und gesellschaftsbildend – nicht nur in den Metropolen: Wir brauchen daher Solidarität für die Breite unserer Kulturlandschaft. Die Deutsche Orchestervereinigung hat mit ihrer Spendenaktion „MusikerNothilfe“ vorgelegt, viele andere Bereiche benötigen ebenso Unterstützung: freie Musiklehrer*innen, freie Mitarbeiter*innen an Theatern und Opernhäusern, die Lehrbeauftragten an Musikhochschulen und viele mehr.
Über die Komponist*innen habe ich noch gar nicht geschrieben. Absagen von Festivals, Verlegungen von Uraufführungen, abgeblasene Konzerte und damit entgehende Tantiemen treffen auch sie – und wiederum die freien Kolleg*innen besonders hart. Hier ist ebenfalls die Solidarität derer gefragt, die abgesichert sind. Zum Wesen des Komponierens gehört es, sich zurückzuziehen, um Konzentration für die musikalische Fantasie zu finden. In Zeiten, in denen Kontakte vermindert werden, ist diese Konzentration eher einfacher (wenn nicht gerade ein Kind dazwischenkommt, das sich in der Home-Kita befindet und Hunger, Durst, Langeweile oder Stuhlgang hat). In Zeiten aber, in denen die Gesellschaft unter einem Thema zentral zusammengeschnürt wird, erscheint es fast weltfremd, über Musik nachzudenken, während die Sorge um Risikogruppen – auch im eigenen Umfeld – schwelt.
Diese Beklemmung zeigt uns andererseits jedoch, was wirklich wesentlich in unserem Leben ist. Und zum Wesentlichen vorzudringen, dringliche Musik schaffen – das wäre auch kompositorisch das größte Ziel. Über die Bon-Pflicht in Bäckereien müssen wir keine Stücke schreiben. All das, was Corona in uns auslöst, könnte zu erschütternd tiefer Musik werden.
(April 2020, ebenfalls veröffentlicht auf sikorski.de)
Vieles erscheint vor der Bedrohung durch Corona klein. Vor wenigen Monaten gab es Aufregungen um die Bon-Pflicht für Bäckereien; jetzt ist uns der Bon herzlich egal, solange die Bäckerei offen hat und wir es schaffen, den Sicherheitsabstand einzuhalten. Dass das weltumspannende Tournee-Wesen auch in der Klassik überdreht war, konnte man schon vorher vermerken; richtig sichtbar wird es erst jetzt, wenn alle zu Hause bleiben und sich darüber Gedanken machen, was ihr Leben im Kern ausmacht. Viel muss nicht viel sein – aber das Nichts, zu dem Konzert- und Opernhäuser, Festivals und freie Szene gerade gezwungen sind, ist natürlich viel zu wenig. Ein gesundes Maß: Wo steckt das? In der Musik, in der Gesellschaft, im eigenen Leben?
Mir scheint, dass Quantität über die Jahre einen immer größeren Stellenwert gewonnen hat. Freie Künstler*innen brauchen viele Konzerte, viele Aufträge, viel Netzwerk, viel Zeit für PR in eigener Sache – einfach, um zu überleben. Jetzt, da alles wegbricht, wird es Zeit, sich des Wertes bewusst zu werden, den Kunst für unsere Gesellschaft hat und den wir ihr geben wollen. Angemessen sind Eintrittspreise dann, wenn sie den Künstler*innen genug zum Leben geben, ohne ihnen im Terminkalender jeglichen Raum für Kreation zu rauben. Das direkte Kunsterlebnis ist überall lebenswichtig und gesellschaftsbildend – nicht nur in den Metropolen: Wir brauchen daher Solidarität für die Breite unserer Kulturlandschaft. Die Deutsche Orchestervereinigung hat mit ihrer Spendenaktion „MusikerNothilfe“ vorgelegt, viele andere Bereiche benötigen ebenso Unterstützung: freie Musiklehrer*innen, freie Mitarbeiter*innen an Theatern und Opernhäusern, die Lehrbeauftragten an Musikhochschulen und viele mehr.
Über die Komponist*innen habe ich noch gar nicht geschrieben. Absagen von Festivals, Verlegungen von Uraufführungen, abgeblasene Konzerte und damit entgehende Tantiemen treffen auch sie – und wiederum die freien Kolleg*innen besonders hart. Hier ist ebenfalls die Solidarität derer gefragt, die abgesichert sind. Zum Wesen des Komponierens gehört es, sich zurückzuziehen, um Konzentration für die musikalische Fantasie zu finden. In Zeiten, in denen Kontakte vermindert werden, ist diese Konzentration eher einfacher (wenn nicht gerade ein Kind dazwischenkommt, das sich in der Home-Kita befindet und Hunger, Durst, Langeweile oder Stuhlgang hat). In Zeiten aber, in denen die Gesellschaft unter einem Thema zentral zusammengeschnürt wird, erscheint es fast weltfremd, über Musik nachzudenken, während die Sorge um Risikogruppen – auch im eigenen Umfeld – schwelt.
Diese Beklemmung zeigt uns andererseits jedoch, was wirklich wesentlich in unserem Leben ist. Und zum Wesentlichen vorzudringen, dringliche Musik schaffen – das wäre auch kompositorisch das größte Ziel. Über die Bon-Pflicht in Bäckereien müssen wir keine Stücke schreiben. All das, was Corona in uns auslöst, könnte zu erschütternd tiefer Musik werden.
(April 2020, ebenfalls veröffentlicht auf sikorski.de)