Butterfly Blues (2004)
Uraufführung (UA): Hamburg, 8. April 2005; Hamburgische Staatsoper (Opera stabile)
Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper
Musiktheater in acht Szenen für vier Solisten und Kammerorchester
nach dem gleichnamigen Schauspiel von Henning Mankell
in der deutschen Übersetzung von Claudia Romeder (2004)
Ingrid Frøseth (Sopran), Tamara Gura (Mezzosopran), Christoph Pohl (Bariton), Wilhelm Schwinghammer (Bass)
Musikalische Leitung: Boris Schäfer
Inszenierung: Christoph von Bernuth
Bühne und Kostüme: Oliver Helf
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Die Textrechte für Henning Mankell und Claudia Romeder liegen beim S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
Besetzung Solisten:
Ana - hoher Sopran
Sara, Mutter, Salzstreuer-Frau - lyrischer Mezzosopran
Schlepper 1, Übersetzer, Lkw-Fahrer 1, Jonathan, Mann aus Jamaika - Charakterbariton
Schlepper 2, Untersuchungsbeamter, Lkw-Fahrer 2, Salzstreuer-Mann - seriöser Bass
Besetzung Kammerorchester:
2 Fl (2. auch Picc) - Oboe (auch EH) - Kl in B (auch Bkl in B)
Hr in F - Pos
Klav - Sz (2 Spieler)
2 Vl - Va - Vc - Kb
Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper
Musiktheater in acht Szenen für vier Solisten und Kammerorchester
nach dem gleichnamigen Schauspiel von Henning Mankell
in der deutschen Übersetzung von Claudia Romeder (2004)
Ingrid Frøseth (Sopran), Tamara Gura (Mezzosopran), Christoph Pohl (Bariton), Wilhelm Schwinghammer (Bass)
Musikalische Leitung: Boris Schäfer
Inszenierung: Christoph von Bernuth
Bühne und Kostüme: Oliver Helf
Das Werk ist bei den Internationalen Musikverlagen Hans Sikorski verlegt.
Die Textrechte für Henning Mankell und Claudia Romeder liegen beim S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
Besetzung Solisten:
Ana - hoher Sopran
Sara, Mutter, Salzstreuer-Frau - lyrischer Mezzosopran
Schlepper 1, Übersetzer, Lkw-Fahrer 1, Jonathan, Mann aus Jamaika - Charakterbariton
Schlepper 2, Untersuchungsbeamter, Lkw-Fahrer 2, Salzstreuer-Mann - seriöser Bass
Besetzung Kammerorchester:
2 Fl (2. auch Picc) - Oboe (auch EH) - Kl in B (auch Bkl in B)
Hr in F - Pos
Klav - Sz (2 Spieler)
2 Vl - Va - Vc - Kb
Einführung
"Was kann schlimmer als der Tod sein? Es ist Europa! Ich kann das Land sehen…"
Zwei junge afrikanische Frauen kommen als Flüchtlinge nach Westeuropa. Sie erleben Fremdheit, Fürsorge, Aggression, Verständnis.
"Dein Leiden ist deines! Nicht meines! Das ist der Grund, warum ich dich nicht hier haben will."
Sie reagieren mit Willenskraft, Verzweiflung, Angst. Beide fliehen aus dem Flüchtlingslager. Eine wird kriminell – die andere verkauft.
"Wo bist du? Geh nicht verloren!"
Das Theaterstück "Butterfly Blues" des schwedischen Autors Henning Mankell wurde im Jahr 2003 in Graz uraufgeführt – eine Koproduktion des von Mankell mitbegründeten Teatro Avenida in Maputo (Mosambik) und des Schauspielhauses Graz. Das Stück kommt mit vier Darstellern aus, von denen drei im Laufe des Stückes mehrere Rollen annehmen.
"Butterfly Blues" beschreibt zwei persönliche, nahe gehende Schicksale vor dem Hintergrund der Flüchtlings-Problematik. Ein aktueller Stoff, der nicht einseitig in Täter und Opfer unterteilt, sondern das Thema vielschichtig und differenziert angeht – in dieser Weise sicherlich verwandt mit "Das Fest im Meer", dem Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper, das im Juni 2003 auf Kampnagel uraufgeführt wurde und die Geschichte einer HIV-positiven Frau erzählte.
In "Butterfly Blues" ist die Musik vielleicht noch kompakter, konzentrierter, aufregender, geschrieben für die sehr dichten Raumverhältnisse in der Opera stabile. Die Solorollen wurden für zwei Sängerinnen (Ingrid Frøseth, Tamara Gura) und zwei Sänger (Christoph Pohl, Wilhelm Schwinghammer) des Opernstudios komponiert; sie können in diesen Partien große stimmliche Flexibilität, teilweise sogar virtuose Gestaltungskraft zeigen. Das Kammerorchester besteht aus 14 Musikern, die im Bühnenraum verteilt sein werden.
Jörn Arnecke, 2005
Lesen Sie zu "Butterfly Blues" ein Interview mit Jörn Arnecke aus der Welt (26. März 2005) sowie ein Porträt aus dem Hamburger Abendblatt (6. April 2005).
Zwei junge afrikanische Frauen kommen als Flüchtlinge nach Westeuropa. Sie erleben Fremdheit, Fürsorge, Aggression, Verständnis.
"Dein Leiden ist deines! Nicht meines! Das ist der Grund, warum ich dich nicht hier haben will."
Sie reagieren mit Willenskraft, Verzweiflung, Angst. Beide fliehen aus dem Flüchtlingslager. Eine wird kriminell – die andere verkauft.
"Wo bist du? Geh nicht verloren!"
Das Theaterstück "Butterfly Blues" des schwedischen Autors Henning Mankell wurde im Jahr 2003 in Graz uraufgeführt – eine Koproduktion des von Mankell mitbegründeten Teatro Avenida in Maputo (Mosambik) und des Schauspielhauses Graz. Das Stück kommt mit vier Darstellern aus, von denen drei im Laufe des Stückes mehrere Rollen annehmen.
"Butterfly Blues" beschreibt zwei persönliche, nahe gehende Schicksale vor dem Hintergrund der Flüchtlings-Problematik. Ein aktueller Stoff, der nicht einseitig in Täter und Opfer unterteilt, sondern das Thema vielschichtig und differenziert angeht – in dieser Weise sicherlich verwandt mit "Das Fest im Meer", dem Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper, das im Juni 2003 auf Kampnagel uraufgeführt wurde und die Geschichte einer HIV-positiven Frau erzählte.
In "Butterfly Blues" ist die Musik vielleicht noch kompakter, konzentrierter, aufregender, geschrieben für die sehr dichten Raumverhältnisse in der Opera stabile. Die Solorollen wurden für zwei Sängerinnen (Ingrid Frøseth, Tamara Gura) und zwei Sänger (Christoph Pohl, Wilhelm Schwinghammer) des Opernstudios komponiert; sie können in diesen Partien große stimmliche Flexibilität, teilweise sogar virtuose Gestaltungskraft zeigen. Das Kammerorchester besteht aus 14 Musikern, die im Bühnenraum verteilt sein werden.
Jörn Arnecke, 2005
Lesen Sie zu "Butterfly Blues" ein Interview mit Jörn Arnecke aus der Welt (26. März 2005) sowie ein Porträt aus dem Hamburger Abendblatt (6. April 2005).
Wir werden nicht sterben. Wir sind bald da. Ana (Ingrid Frøseth, vorn) und Sara (Tamara Gura) haben ihre Heimat verlassen.
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Rezensionen
Politisches Theater mit den Mitteln der Musik
Sie träumen vom Glück in einer besseren Welt: Die afrikanischen Mädchen Ana und Sara flüchten nach Europa. Als illegale Immigrantinnen suchen sie nach Nähe und Verständnis, erfahren Fremdheit und Aggression. Stoff einer Oper oder rührselige Sozialkritik? Der 31 Jahre junge Hamburger Komponist Jörn Arnecke gab am Freitag mit seiner Uraufführung des "Butterfly Blues" in der Opera stabile seine entschiedene Antwort: In Geschichten des Hier und Jetzt muß sich die radikale Zeitgenossenschaft des Musiktheaters offenbaren. Das gleichnamige Schauspiel von Krimiautor Henning Mankell hat Arnecke selbst für seine Oper eingerichtet. So mitleidig und überzeichnet sich der Text liest, so klug hat Arnecke sich in seine Protagonisten hineingefühlt, hineingehört. Seine Musik, lyrisch nachsinnend wie dominant perkussiv mit Anklängen an afrikanische Farben gemalt, fokussiert sich auf das Wesentliche. Das liegt, schwebt und umfängt uns in der Reduktion auf sensibel verschobene, an- und abschwellende Akkorde und Obertonreihen, manch zart berührende Geräuschwelten und synästhetisch schneidende, schmerzhafte Geigentöne. Arnecke hat in seiner dritten Oper ein fein gesponnenes assoziatives Netz ausgebreitet, das unter die Haut geht. Hellwach musizieren die vierzehn Instrumentalisten der Philharmoniker unter Boris Schäfer, sie ergreifen, gestalten den tönenden Raum.
Arnecke erkennt seine Stärken als Lyriker. Erst gegen Ende läßt er seine Komponistenmuskeln spielen: Mit einem rituell repetierten, rhythmisch geladenen, furios gesteigerten Ostinato setzt er eine große Geste. Er traut sich was. Wird allein mit den ureigenen Mitteln der Musik politisch. Entdeckt die tiefe Aktualität der Gattung in der Spannung von Tradition und Gegenwart. Die Sänger des Opernstudios Ingrid Frøseth, Tamara Gura, Christoph Pohl und Wilhelm Schwinghammer tragen den Abend hochkonzentriert und vokal virtuos. Regisseur Christoph von Bernuth und sein genialischer Bühnen- und Kostümbildner Oliver Helf stilisieren, wo möglich - sie werden konkret, wo nötig. Bernuth erfindet eine Gestensprache, typisiert und stark wie bei Wilson. Ana und Sara mit schwarz geschminkten Gesichtern - eine schlichte Setzung, die wie ein demonstratives Zeichen wirkt: Zwei weiße Darstellerinnen - Fremdsein kann uns alle treffen.
kra, Die Welt, 11. April 2005
Arnecke erkennt seine Stärken als Lyriker. Erst gegen Ende läßt er seine Komponistenmuskeln spielen: Mit einem rituell repetierten, rhythmisch geladenen, furios gesteigerten Ostinato setzt er eine große Geste. Er traut sich was. Wird allein mit den ureigenen Mitteln der Musik politisch. Entdeckt die tiefe Aktualität der Gattung in der Spannung von Tradition und Gegenwart. Die Sänger des Opernstudios Ingrid Frøseth, Tamara Gura, Christoph Pohl und Wilhelm Schwinghammer tragen den Abend hochkonzentriert und vokal virtuos. Regisseur Christoph von Bernuth und sein genialischer Bühnen- und Kostümbildner Oliver Helf stilisieren, wo möglich - sie werden konkret, wo nötig. Bernuth erfindet eine Gestensprache, typisiert und stark wie bei Wilson. Ana und Sara mit schwarz geschminkten Gesichtern - eine schlichte Setzung, die wie ein demonstratives Zeichen wirkt: Zwei weiße Darstellerinnen - Fremdsein kann uns alle treffen.
kra, Die Welt, 11. April 2005
Hamburgensien
Eine Metropole hat viel zu bieten. Eindrücke aus der Stadt an der Elbe.
Eine Metropole hat viel zu bieten. Eindrücke aus der Stadt an der Elbe.
(…) Der Abriss des Magazingebäudes der Staatsoper hatte im Sommer 2002 auch die Experimentierbühne der Staatsoper, die "Opera stabile", gezwungen, auf anderweitige Spielstätten der Hansestadt auszuweichen. Mit der Einweihung des neuen Betriebsgebäude erfolgte die Heimkehr an ihren ursprünglichen Platz. Wie wichtig diese Spielstätte - von August Everding im Jahr 1973 während seiner Hamburger Intendanz ins Leben gerufen - für das Erleben des gegenwärtigen Musiktheaters ist, bewiesen nach erfolgreichen Produktionen der vergangenen Zeit auch die jüngsten Uraufführungen, zunächst die Opernsaga "Kommander Kobayashi". (…)
Spannender und klarer ind er Konzeption war die nachfolgende Uraufführung: Der Hamburger Komponist Jörn Arnecke hatte sich für seine dritte Kammeroper einen Stoff von Henning Mankell ausgesucht. Und er hat gezeigt, dass er in der kleinen Form große Bögen spannen kann. Der Intendant der Staatsoper Louwrens Langevoort hatte dem Einunddreißígjährigen nach "Das Fest im Meer" (2003) diesen neuen Kompositionsauftrag gegeben. Auf Mankells Theaterstück "Butterfly Blues" stieß Arnecke eher zufällig bei dem Besuch einer Buchhandlung. Doch dann ließ ihn die Geschichte um die schwarzafrikanischen Frauen Ana und Sara, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben von Schleppern illegal nach Europa gebracht werden, nicht mehr los. Er stutzte sich den Text auf seine musikalischen und dramaturgischen Notwendigkeiten zurecht. So gelang - umgesetzt durch ein 14-köpfiges konventionelles Orchester - ein packendes Bühnenstück.
Arnecke hatte den Raum der Hamburger Opera stabile mit seinen 150 Sitzplätzen von Anfang an in seinen Schaffensprozess einbezogen; die Darsteller verlassen auch mal die Bühne, suchen im Rahmen ihrer Rolle den Kontakt zum Publikum. Das erzeugt eine zusätzliche beklemmende Eindringlichkeit in der Darstellung von seelischen und körperlichen Formen der Gewalt, der die Frauen ausgesetzt sind. All das funktioniert natürlich nur mit einem hochkarätigen Team. Ingrid Frøseth und Tamara Gura, beide Mitglieder des Internationalen Opernstudios der Hamburgischen Staatsoper, überzeugten darstellerisch und sängerisch in den weiblichen Hauptrollen. Der junge Bassist Wilhelm Schwinghammer und Bariton Christoph Pohl standen ihnen in nichts nach. Sie konnten in den insgesamt neun Männer-Rollen, die sie der Reihe nach auszufüllen hatten, ihre ganze darstellerische und sängerische Bandbreite ausspielen. Regisseur Christoph von Bernuth gab dem Werk einen überzeugenden Rahmen, angemessen wirkungsvoll unterstützt durch Oliver Helfs sparsam-prägnante Ausstattung. Boris Schäfer führte die Musiker sicher durch die Partitur, die von Beginn an mit unaufhaltsamer Stringenz auf den Höhepunkt führt.
Noch fühlt sich Jörn Arnecke wohl bei der kleinen Form der Kammeroper. Später wird es von ihm sicherlich auch eine Oper in großer Besetzung geben. Aber er ist klug und weiß, dass so eine Entwicklung Zeit braucht. Er hat eine große Zukunft vor sich.
S. Martens / G. Helbig, Das Opernglas, Mai 2005
Spannender und klarer ind er Konzeption war die nachfolgende Uraufführung: Der Hamburger Komponist Jörn Arnecke hatte sich für seine dritte Kammeroper einen Stoff von Henning Mankell ausgesucht. Und er hat gezeigt, dass er in der kleinen Form große Bögen spannen kann. Der Intendant der Staatsoper Louwrens Langevoort hatte dem Einunddreißígjährigen nach "Das Fest im Meer" (2003) diesen neuen Kompositionsauftrag gegeben. Auf Mankells Theaterstück "Butterfly Blues" stieß Arnecke eher zufällig bei dem Besuch einer Buchhandlung. Doch dann ließ ihn die Geschichte um die schwarzafrikanischen Frauen Ana und Sara, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben von Schleppern illegal nach Europa gebracht werden, nicht mehr los. Er stutzte sich den Text auf seine musikalischen und dramaturgischen Notwendigkeiten zurecht. So gelang - umgesetzt durch ein 14-köpfiges konventionelles Orchester - ein packendes Bühnenstück.
Arnecke hatte den Raum der Hamburger Opera stabile mit seinen 150 Sitzplätzen von Anfang an in seinen Schaffensprozess einbezogen; die Darsteller verlassen auch mal die Bühne, suchen im Rahmen ihrer Rolle den Kontakt zum Publikum. Das erzeugt eine zusätzliche beklemmende Eindringlichkeit in der Darstellung von seelischen und körperlichen Formen der Gewalt, der die Frauen ausgesetzt sind. All das funktioniert natürlich nur mit einem hochkarätigen Team. Ingrid Frøseth und Tamara Gura, beide Mitglieder des Internationalen Opernstudios der Hamburgischen Staatsoper, überzeugten darstellerisch und sängerisch in den weiblichen Hauptrollen. Der junge Bassist Wilhelm Schwinghammer und Bariton Christoph Pohl standen ihnen in nichts nach. Sie konnten in den insgesamt neun Männer-Rollen, die sie der Reihe nach auszufüllen hatten, ihre ganze darstellerische und sängerische Bandbreite ausspielen. Regisseur Christoph von Bernuth gab dem Werk einen überzeugenden Rahmen, angemessen wirkungsvoll unterstützt durch Oliver Helfs sparsam-prägnante Ausstattung. Boris Schäfer führte die Musiker sicher durch die Partitur, die von Beginn an mit unaufhaltsamer Stringenz auf den Höhepunkt führt.
Noch fühlt sich Jörn Arnecke wohl bei der kleinen Form der Kammeroper. Später wird es von ihm sicherlich auch eine Oper in großer Besetzung geben. Aber er ist klug und weiß, dass so eine Entwicklung Zeit braucht. Er hat eine große Zukunft vor sich.
S. Martens / G. Helbig, Das Opernglas, Mai 2005
Anas und Saras böses Erwachen aus dem Traum von Europa
Jörn Arneckes Musiktheater "Butterfly Blues" im Hamburger Opernstudio uraufgeführt
Jörn Arneckes Musiktheater "Butterfly Blues" im Hamburger Opernstudio uraufgeführt
Die Opernszene lebt. Junge und auch ältere Komponisten — siehe die neuen Bühnenwerk von Hespos und Trojahn auf der nebenstehenden Seite — beschäftigen sich mit "Opern", die sie dann Musiktheater, Performance, Szenische Aktion oder, bescheiden sich absichernd, Kammeroper nennen. Eine solche hat der noch junge Hamburger Komponist Jörn Arnecke im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper geschrieben. Der Titel: "Butterfly Blues", entstanden nach dem gleichnamigen Theaterstück des schwedischen Autors Henning Mankell.
Puccinis Madama Butterfly darf nicht sterben. Jedenfalls so lange nicht, wie böse, habgierige oder auch nur leichtfertige Leute aus kapitalistischen Regionen in fremden Erdteilen Frauen quälen, ausbeuten, sexuell mißbrauchen und als Menschenware nach dem alten Europa entführen. Puccinis japanische Madama wurde von den Amerikanern mißbraucht, Henning Mankell und Jörn Arnecke entdeckten ihre Butterflys in Afrika. Ana und Sara heißen sie, jung, hübsch und voller Sehnsucht nach Europa, wo sie glauben, ihren Lebenstraum verwirklichen zu können.
Der Weg dorthin jedoch ist nicht nur mit den sprichwörtlichen Dornen, sondern auch mit sogenannten "Schleppern" gepflastert, und wer regelmäßig Zeitung liest oder Nachrichten hört, weiß, dass dabei kaum etwas Gutes herausspringt. So ergeht es also auch Ana und Sara miserabel: Sara wird von den Schleppern ins Wasser geworfen, statt eines Passes besitzt sie danach nur einen toten blauen Schmetterling (Symbol!) zur Legitimation. Ana wiederum erleidet ein besonders häufiges Schicksal: Sie wird beim Autostopp vergewaltigt. So wird alsbald aus dem "Traum" ein "Aus der Traum". Ana gleitet ins Kriminelle ab, Sara wird verkauft. Mankells Theater strebt eine Art von neudefiniertem Living Theatre an: Reale Geschichten, die dann szenisch arrangiert werden, nicht im Sinne einer narrativen Kausalität und Psychologie, sondern zeichenhaft, assoziativ, bildhaft. Bei Mankell besitzt die Geschichte eine gesellschaftspolitische Dimension: Das Thema steht im Vordergrund, nicht die Menschen. Diese erscheinen oft überzeichnet, als Typen oder auch als Karikaturen. Arnecke möchte diese direkte kritische Aggression wohl nicht übernehmen. Seine beiden "Butterflys" und sogar die "bösen Männer" gewinnen mehr humanes Volumen. Sie interessieren den Betrachter als menschliche Wesen, aus deren Schicksalen sich Anteilnahme, früher in der Klassik sagte man: "Mitleid" gewinnen läßt. Nicht ein System wird angeklagt, sondern wir werden aufgefordert zum Hinsehen, Erkennen und dann wohl auch zum Helfen. Diese Vermittlung zwischen den Vorgängen selbst und der weiterreichenden Wirkung übernimmt in Arneckes Kammeroper die Musik. "Butterfly Blues" ist ein Musiktheater für vier Sänger und Ensemble: 2 Flöten, Oboe, Klarinette, Horn, Posaune, Klavier, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabaß sowie zwei Schlagzeuger mit dem üblichen umfangreichen Instrumentarium. Für die Sänger sieht der Komponist für die Ana einen hohen Sopran vor, für Sara, die auch zwei weitere Rollen übernimmt, einen lyrischen Mezzosopran. Die beiden Schlepper, die ebenfalls weitere Typen darstellen müssen, sind einem Charakterbariton und einem seriösen Bass zugewiesen.
Jörn Arneckes Partitur wirkt sorgfältig gearbeitet. Sie stellt sich dramaturgisch überlegt zu den verschiedenen Situationen, in denen sich vor allem die beiden Frauen befinden. Tonfall und Gestik erscheinen klanglich verschärft, sehr direkt und oft auch aggressiv. Dann wiederum findet sie für Momente der Reflexion und der Sehnsuchtsträume der beiden Frauen fein ausgehörte Klänge und komponierte Bewegungen, die die jeweilige innere Situation klang-seismographisch zu durchdringen versuchen. Arneckes Musik gewinnt in solchen Augenblicken eine schöne Dichte und emotionale Direktheit. Dann wieder aber auch gibt es dünnere Partien, weniger inspirierte Passagen, auch gängige Klang-Geräusch-Erfindungen, die eigentlich keine sind, weil von Vorgängern allzu oft verwandt. Oft entgeht der Komponist auch nicht der Gefahr, die Geschichte und ihre Personen mit einer leisen Sentimentalität aufzuladen. Dann empfindet man das als eine unangemessene Veredelung der Geschehnisse: Musik als Dämpfungsmittel für allzu krasse Vorgänge. Damit wäre man wieder bei Puccini, was sicher nicht in Jörn Arneckes Absicht liegen dürfte.
Die Inszenierung Christoph von Bernuths imaginiert gemeinsam mit dem Bühnenbild Oliver Helfs eine Art abstrakter Straße ohne Wiederkehr: Der Weg erreicht nicht das Ziel, bricht abrupt ab, ist selbst auch nicht: das Ziel. Weil es keines mehr gibt. Die beiden Frauen stürzen ins Bodenlose — die Musik übersetzt das mit einem oszillierenden Rhythmus eindrucksvoll. Junge Sänger aus dem Opernstudio tragen die Aufführung mit ihrem Engagement und ihrer Intensität, Ingrid Froeseth als Ana und Tamara Gura als Sara an der Spitze. Unter Boris Schäfers musikalischer Leitung agieren die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters, in langer Reihe nebeneinander sitzend, mit Sachkompetenz. Der Instrumentalklang verbindet sich mit den Aktionen auf der Bühne in der Opera stabile zu einem geschlossenen Raum-Klang-Theater, das eine autonome ästhetische Qualität gewinnt.
Gerhard Rohde, Neue Musikzeitung, Juni 2005
Puccinis Madama Butterfly darf nicht sterben. Jedenfalls so lange nicht, wie böse, habgierige oder auch nur leichtfertige Leute aus kapitalistischen Regionen in fremden Erdteilen Frauen quälen, ausbeuten, sexuell mißbrauchen und als Menschenware nach dem alten Europa entführen. Puccinis japanische Madama wurde von den Amerikanern mißbraucht, Henning Mankell und Jörn Arnecke entdeckten ihre Butterflys in Afrika. Ana und Sara heißen sie, jung, hübsch und voller Sehnsucht nach Europa, wo sie glauben, ihren Lebenstraum verwirklichen zu können.
Der Weg dorthin jedoch ist nicht nur mit den sprichwörtlichen Dornen, sondern auch mit sogenannten "Schleppern" gepflastert, und wer regelmäßig Zeitung liest oder Nachrichten hört, weiß, dass dabei kaum etwas Gutes herausspringt. So ergeht es also auch Ana und Sara miserabel: Sara wird von den Schleppern ins Wasser geworfen, statt eines Passes besitzt sie danach nur einen toten blauen Schmetterling (Symbol!) zur Legitimation. Ana wiederum erleidet ein besonders häufiges Schicksal: Sie wird beim Autostopp vergewaltigt. So wird alsbald aus dem "Traum" ein "Aus der Traum". Ana gleitet ins Kriminelle ab, Sara wird verkauft. Mankells Theater strebt eine Art von neudefiniertem Living Theatre an: Reale Geschichten, die dann szenisch arrangiert werden, nicht im Sinne einer narrativen Kausalität und Psychologie, sondern zeichenhaft, assoziativ, bildhaft. Bei Mankell besitzt die Geschichte eine gesellschaftspolitische Dimension: Das Thema steht im Vordergrund, nicht die Menschen. Diese erscheinen oft überzeichnet, als Typen oder auch als Karikaturen. Arnecke möchte diese direkte kritische Aggression wohl nicht übernehmen. Seine beiden "Butterflys" und sogar die "bösen Männer" gewinnen mehr humanes Volumen. Sie interessieren den Betrachter als menschliche Wesen, aus deren Schicksalen sich Anteilnahme, früher in der Klassik sagte man: "Mitleid" gewinnen läßt. Nicht ein System wird angeklagt, sondern wir werden aufgefordert zum Hinsehen, Erkennen und dann wohl auch zum Helfen. Diese Vermittlung zwischen den Vorgängen selbst und der weiterreichenden Wirkung übernimmt in Arneckes Kammeroper die Musik. "Butterfly Blues" ist ein Musiktheater für vier Sänger und Ensemble: 2 Flöten, Oboe, Klarinette, Horn, Posaune, Klavier, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabaß sowie zwei Schlagzeuger mit dem üblichen umfangreichen Instrumentarium. Für die Sänger sieht der Komponist für die Ana einen hohen Sopran vor, für Sara, die auch zwei weitere Rollen übernimmt, einen lyrischen Mezzosopran. Die beiden Schlepper, die ebenfalls weitere Typen darstellen müssen, sind einem Charakterbariton und einem seriösen Bass zugewiesen.
Jörn Arneckes Partitur wirkt sorgfältig gearbeitet. Sie stellt sich dramaturgisch überlegt zu den verschiedenen Situationen, in denen sich vor allem die beiden Frauen befinden. Tonfall und Gestik erscheinen klanglich verschärft, sehr direkt und oft auch aggressiv. Dann wiederum findet sie für Momente der Reflexion und der Sehnsuchtsträume der beiden Frauen fein ausgehörte Klänge und komponierte Bewegungen, die die jeweilige innere Situation klang-seismographisch zu durchdringen versuchen. Arneckes Musik gewinnt in solchen Augenblicken eine schöne Dichte und emotionale Direktheit. Dann wieder aber auch gibt es dünnere Partien, weniger inspirierte Passagen, auch gängige Klang-Geräusch-Erfindungen, die eigentlich keine sind, weil von Vorgängern allzu oft verwandt. Oft entgeht der Komponist auch nicht der Gefahr, die Geschichte und ihre Personen mit einer leisen Sentimentalität aufzuladen. Dann empfindet man das als eine unangemessene Veredelung der Geschehnisse: Musik als Dämpfungsmittel für allzu krasse Vorgänge. Damit wäre man wieder bei Puccini, was sicher nicht in Jörn Arneckes Absicht liegen dürfte.
Die Inszenierung Christoph von Bernuths imaginiert gemeinsam mit dem Bühnenbild Oliver Helfs eine Art abstrakter Straße ohne Wiederkehr: Der Weg erreicht nicht das Ziel, bricht abrupt ab, ist selbst auch nicht: das Ziel. Weil es keines mehr gibt. Die beiden Frauen stürzen ins Bodenlose — die Musik übersetzt das mit einem oszillierenden Rhythmus eindrucksvoll. Junge Sänger aus dem Opernstudio tragen die Aufführung mit ihrem Engagement und ihrer Intensität, Ingrid Froeseth als Ana und Tamara Gura als Sara an der Spitze. Unter Boris Schäfers musikalischer Leitung agieren die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters, in langer Reihe nebeneinander sitzend, mit Sachkompetenz. Der Instrumentalklang verbindet sich mit den Aktionen auf der Bühne in der Opera stabile zu einem geschlossenen Raum-Klang-Theater, das eine autonome ästhetische Qualität gewinnt.
Gerhard Rohde, Neue Musikzeitung, Juni 2005
"Dein Leiden ist deines, nicht meines"
Asyl in Europa: Henning Mankells Stück "Butterfly Blues" als Oper in Hamburg
Asyl in Europa: Henning Mankells Stück "Butterfly Blues" als Oper in Hamburg
Hinter den beiden Frauen liegt Afrika, vor ihnen eine ungewisse Zukunft. Nichts als die Erinnerung an Geräusche und Klänge ihrer Heimat begleitet sie, das Rasseln der Rumbakugeln, vibrierendes Bogenholz auf den Saiten der Streicher, tonloses Blasen in Blech- und Holzblasinstrumente. Aus lauter isolierten Signalen erwächst eine Musik, die sich aus einem Mosaik raffiniert in Beziehung gesetzter Akzente aufbaut, rhythmische Kraft und Klangfülle gewinnt. Eine Musik, die nie verstört, aber auch keinen Augenblick gefällig wirkt. Selbst eine weit ausschwingende lyrische Szene, von zwei Flöten begleitet, wird nie sentimental, sondern von den übrigen Instrumenten konterkariert.
Eine Entdeckung ist der 31-jährige Komponist nach einem halben Dutzend Arbeiten für das Musiktheater, für Kammermusik- und Orchesterwerke nicht mehr. Aber jede neue Komposition bestätigt nicht nur die hohe Begabung von Jörn Arnecke. Als Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper vertonte er Henning Mankells vor zwei Jahren in Graz uraufgeführtes Stück "Butterfly Blues". Es schildert den Leidensweg von Ana und Sara. Weil sie ohne Pass landen und ihren Asylantrag nicht begründen können, müssen sie in einem Lager leben: "Wir können keine Leute hereinlassen, die wir nicht verstehen."
Beide fliehen - in ihr Unglück. Ana wird von einem Lkw-Fahrer mitgenommen und vergewaltigt. Fortan klaut sie Handys, die sie einem Mann aus Jamaika verkauft. Sara wird eine Anstellung als Empfangsdame angeboten, tatsächlich landet sie in einem Bordell. Sie erfahren, dass niemand an ihnen Interesse hat: "Dein Leiden ist deines! Nicht meines! Das ist der Grund, warum ich dich nicht hier haben will."
Das etwas simpel gestrickte Stück mit seiner binären Moral bekommt durch Arneckes Musik eine erstaunliche Differenzierung. Von der Farbigkeit der Komposition profitiert die Handlung. Immer wieder sucht die Musik den dramaturgischen Bezug: Der Vergewaltigungsszene korrespondiert eine "durchlöcherte Gesangslinie" (spezzaturo) - winzige Pausen zwischen den Tönen geben der Situation etwas nicht Intaktes, Verletztes. Die vierzehn Musiker des Philharmonischen Staatsorchesters korrespondieren ihrerseits als zwei Klanghälften. Sie sind um die Spielfläche gruppiert, während der Dirigent Boris Schäfer hinter den Zuschauern steht. Die neun durchweg kleinen Partien der Männer, denen Ana (Ingrid Frøseth) und Sara (Tamara Gura) konfrontiert sind, übertrug Arnecke einem Bariton (Christoph Pohl) und einem Bassisten (Wilhelm Schwinghammer).
Die Uraufführung machte sich Christoph von Bernuth allzu schwer. Er begnügte sich mit einem leeren Spielpodest, das alle Szenen im Ortlosen lässt und räumliche Gegebenheiten nicht einmal imaginiert. Er sah sich dadurch offenbar zu einer etwas aufgesetzten, mit pathetischen Gesten charakterisierenden Darstellerführung gezwungen. Gleichwohl einhelliger, lang anhaltender Beifall.
Werner Schulze-Reimpell, Nürnberger Nachrichten, 12. April 2005
Eine Entdeckung ist der 31-jährige Komponist nach einem halben Dutzend Arbeiten für das Musiktheater, für Kammermusik- und Orchesterwerke nicht mehr. Aber jede neue Komposition bestätigt nicht nur die hohe Begabung von Jörn Arnecke. Als Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper vertonte er Henning Mankells vor zwei Jahren in Graz uraufgeführtes Stück "Butterfly Blues". Es schildert den Leidensweg von Ana und Sara. Weil sie ohne Pass landen und ihren Asylantrag nicht begründen können, müssen sie in einem Lager leben: "Wir können keine Leute hereinlassen, die wir nicht verstehen."
Beide fliehen - in ihr Unglück. Ana wird von einem Lkw-Fahrer mitgenommen und vergewaltigt. Fortan klaut sie Handys, die sie einem Mann aus Jamaika verkauft. Sara wird eine Anstellung als Empfangsdame angeboten, tatsächlich landet sie in einem Bordell. Sie erfahren, dass niemand an ihnen Interesse hat: "Dein Leiden ist deines! Nicht meines! Das ist der Grund, warum ich dich nicht hier haben will."
Das etwas simpel gestrickte Stück mit seiner binären Moral bekommt durch Arneckes Musik eine erstaunliche Differenzierung. Von der Farbigkeit der Komposition profitiert die Handlung. Immer wieder sucht die Musik den dramaturgischen Bezug: Der Vergewaltigungsszene korrespondiert eine "durchlöcherte Gesangslinie" (spezzaturo) - winzige Pausen zwischen den Tönen geben der Situation etwas nicht Intaktes, Verletztes. Die vierzehn Musiker des Philharmonischen Staatsorchesters korrespondieren ihrerseits als zwei Klanghälften. Sie sind um die Spielfläche gruppiert, während der Dirigent Boris Schäfer hinter den Zuschauern steht. Die neun durchweg kleinen Partien der Männer, denen Ana (Ingrid Frøseth) und Sara (Tamara Gura) konfrontiert sind, übertrug Arnecke einem Bariton (Christoph Pohl) und einem Bassisten (Wilhelm Schwinghammer).
Die Uraufführung machte sich Christoph von Bernuth allzu schwer. Er begnügte sich mit einem leeren Spielpodest, das alle Szenen im Ortlosen lässt und räumliche Gegebenheiten nicht einmal imaginiert. Er sah sich dadurch offenbar zu einer etwas aufgesetzten, mit pathetischen Gesten charakterisierenden Darstellerführung gezwungen. Gleichwohl einhelliger, lang anhaltender Beifall.
Werner Schulze-Reimpell, Nürnberger Nachrichten, 12. April 2005
Alles andere als leichte Kost
Gelungen: Jörn Arneckes Kammeroper "Butterfly Blues"
Gelungen: Jörn Arneckes Kammeroper "Butterfly Blues"
Zwei von unzähligen. Zwei illegal einwandernde Afrikanerinnen, die ihren Traum vom kleinen, eigenen Fitzelchen Glück auf dem gelobten Kontinent Europa erhaschen wollen. Beide scheitern. An den Umständen, an ihrer anfänglichen Naivität. An Grenzen, und auch wegen Männern. Henning Mankells Theaterstück "Butterfly Blues", aus dem sich der junge Hamburger Komponist Jörn Arnecke Thema und Libretto seiner neuen Kammeroper herausdestillierte, ist alles andere als leichte Kost. Nur Politik, etwas Polemik, keinerlei Poesie weit und breit. Der blaue Schmetterling, mit dem die beiden sich ihre Einreiseformalitäten erleichtern wollen, ist längst tot.
Arneckes jüngste Staatsopern-Auftragsarbeit, die beim Premieren-Publikum in der Opera stabile bestens ankam, gelingt es trotz des kleinen Formats, mit den Mitteln geschickt hauszuhalten. Das Kammer-Orchester, von Boris Schäfer aus den Zuschauerreihen heraus dirigiert, läßt den vier ausdrucksstark eingesetzten Stimmen und Akteuren (Ingrid Fræseth, Tamara Gura, Wilhelm Schwinghammer, Christoph Pohl) den Vortritt ins Rampenlicht. Kleine Phrasen oder lang, aber dezent ausschwingende Begleitbögen, hier und da verfremdet durch abstrakte Spielgeräusche, verleihen dem Ganzen ein sehr brüchiges Endspiel-Ambiente. Sicher ist hier nichts, weder die Charaktere vor den ungemilderten Umständen noch der schwankende Boden der Tatsachen, auf dem sie sich bewegen. Schwarz und Weiß, die Extreme in Christoph von Bernuths auf engem Raum zusammengepferchter Inszenierung, verallgemeinern und abstrahieren.
Natürlich ist hier beim Spiel mit den harten Kontrasten nicht das Afrikanische an sich gemeint, sondern das Andere, das allein deswegen schon Beängstigende. Nur an wenigen Stellen rutscht Arneckes ansonsten sehr geschmackssichere, einfühlsame Musik ins grobkörnig Plakative ab - bei der Vergewaltigungsszene schraubt sich die Spannung in Halbtonschritten nach oben, als wäre man in Opas Kintopp, und die Ostinato-Rhythmen, mit denen sich das Drama seinem Ende nähert, wirken schnell ausgereizt.
Ansonsten jedoch ist "Butterfly Blues" ein überzeugender Gegenbeweis für das Vorurteil, daß zeitgenössisches Musiktheater gern ins Weltfremde abdriftet.
Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt, 11. April 2005
Arneckes jüngste Staatsopern-Auftragsarbeit, die beim Premieren-Publikum in der Opera stabile bestens ankam, gelingt es trotz des kleinen Formats, mit den Mitteln geschickt hauszuhalten. Das Kammer-Orchester, von Boris Schäfer aus den Zuschauerreihen heraus dirigiert, läßt den vier ausdrucksstark eingesetzten Stimmen und Akteuren (Ingrid Fræseth, Tamara Gura, Wilhelm Schwinghammer, Christoph Pohl) den Vortritt ins Rampenlicht. Kleine Phrasen oder lang, aber dezent ausschwingende Begleitbögen, hier und da verfremdet durch abstrakte Spielgeräusche, verleihen dem Ganzen ein sehr brüchiges Endspiel-Ambiente. Sicher ist hier nichts, weder die Charaktere vor den ungemilderten Umständen noch der schwankende Boden der Tatsachen, auf dem sie sich bewegen. Schwarz und Weiß, die Extreme in Christoph von Bernuths auf engem Raum zusammengepferchter Inszenierung, verallgemeinern und abstrahieren.
Natürlich ist hier beim Spiel mit den harten Kontrasten nicht das Afrikanische an sich gemeint, sondern das Andere, das allein deswegen schon Beängstigende. Nur an wenigen Stellen rutscht Arneckes ansonsten sehr geschmackssichere, einfühlsame Musik ins grobkörnig Plakative ab - bei der Vergewaltigungsszene schraubt sich die Spannung in Halbtonschritten nach oben, als wäre man in Opas Kintopp, und die Ostinato-Rhythmen, mit denen sich das Drama seinem Ende nähert, wirken schnell ausgereizt.
Ansonsten jedoch ist "Butterfly Blues" ein überzeugender Gegenbeweis für das Vorurteil, daß zeitgenössisches Musiktheater gern ins Weltfremde abdriftet.
Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt, 11. April 2005
Demütigung im Kälteraum Euroland
Uraufführung von Jörn Arneckes "Butterfly Blues" in der Opera stabile der Hamburgischen Staatsoper
Uraufführung von Jörn Arneckes "Butterfly Blues" in der Opera stabile der Hamburgischen Staatsoper
Die Hamburgische Staatsoper hat in ihrem nagelneuen Betriebsgebäude nun auch wieder eine "Opera stabile" für experimentelles Musiktheater. Dort ging am Freitag die Uraufführung von Jörn Arneckes "Butterfly Blues" über die Bühne.
Jörn Arnecke ist der sympathische junge Komponist aus Hameln, der im vergangenen Sommer beim Schleswig-Holstein Musik Festival auf den Hindemith-Preis-Thron gehoben wurde, wo er nun neben der mitteleuropäischen Szene-Crème à la Olga Neuwirth, Thomas Adès oder Matthias Pintscher residiert. Im Umfeld der Staatsoper ist er geradezu heimisch, wurde doch nach kleineren Projekten im Juni 2003 dort sein musikalisches Aids-Drama "Das Fest im Meer" produziert und auf Kampnagel uraufgeführt.
Ob er sich mit dem Sujet für sein am Freitag unter großem Beifall uraufgeführtem neuen "Musiktheater in 8 Szenen für 4 Sänger und Kammerorchester" wirklich einen Gefallen getan hat, ist die Frage. Das dezent zum Libretto eingedampfte Schauspiel "Butterfly Blues" des schwedischen Erfolgsautors Henning Mankell stellt reichlich holzschnittartig das Schicksal zweier schwarzer Mädchen dar, die aus der Armut Afrikas fliehen, um im vermeintlich gelobten weißen Euroland zu erfahren, dass man sie dort allenfalls als Dummys für die schmutzigen Phantasien der überall lauernden Männerschweine haben will. Von lebendiger Figurenzeichnung oder kulturellen Reibungsflächen ist kaum eine Spur.
Nur gut, dass sich Arnecke einmal mehr als Hexenmeister der unerhörten Klänge erweist. Sein konventionell besetztes, breit im Raum gestreutes und mit Übersicht von Boris Schäfer geleitetes Kammerensemble schleicht sich in den ersten Dritteln der eineinhalbstündigen Aufführung als bedrohlich fauchende, quietschende, raunende Geräuschquelle ins Ohr, um dann in einem enervierend monomotivischen Dauerostinato plakativ zu eskalieren. Darüber müssen sich die Sänger mit Arneckes überaus anspruchsvoll zwischen Sprechgesang und Seelenamplitude changierenden Partien herumschlagen. Sie tun das bravourös: Ingrid Frøseth in staunenswerten Höhenflügen als Ana, Tamara Gura mit warmer Mezzo-Intensität als Sara sowie Christoph Pohl und Wilhelm Schwinghammer als ihre virilen Peiniger der Marke "Clockwork Orange". Der Regisseur Christoph von Bernuth bewegt sie überwiegend zeichenhaft prägnant durch den mit klaustrophoben Ängsten spielenden Kälte-Raum von Oliver Helf. Letzlich aber will der Abend nicht unter die Haut gehen, denn dort liegen Schwarz-Weiß-Schemata bekanntlich schon hinter einem.
Christian Strehk, Kieler Nachrichten, 11. April 2005
Jörn Arnecke ist der sympathische junge Komponist aus Hameln, der im vergangenen Sommer beim Schleswig-Holstein Musik Festival auf den Hindemith-Preis-Thron gehoben wurde, wo er nun neben der mitteleuropäischen Szene-Crème à la Olga Neuwirth, Thomas Adès oder Matthias Pintscher residiert. Im Umfeld der Staatsoper ist er geradezu heimisch, wurde doch nach kleineren Projekten im Juni 2003 dort sein musikalisches Aids-Drama "Das Fest im Meer" produziert und auf Kampnagel uraufgeführt.
Ob er sich mit dem Sujet für sein am Freitag unter großem Beifall uraufgeführtem neuen "Musiktheater in 8 Szenen für 4 Sänger und Kammerorchester" wirklich einen Gefallen getan hat, ist die Frage. Das dezent zum Libretto eingedampfte Schauspiel "Butterfly Blues" des schwedischen Erfolgsautors Henning Mankell stellt reichlich holzschnittartig das Schicksal zweier schwarzer Mädchen dar, die aus der Armut Afrikas fliehen, um im vermeintlich gelobten weißen Euroland zu erfahren, dass man sie dort allenfalls als Dummys für die schmutzigen Phantasien der überall lauernden Männerschweine haben will. Von lebendiger Figurenzeichnung oder kulturellen Reibungsflächen ist kaum eine Spur.
Nur gut, dass sich Arnecke einmal mehr als Hexenmeister der unerhörten Klänge erweist. Sein konventionell besetztes, breit im Raum gestreutes und mit Übersicht von Boris Schäfer geleitetes Kammerensemble schleicht sich in den ersten Dritteln der eineinhalbstündigen Aufführung als bedrohlich fauchende, quietschende, raunende Geräuschquelle ins Ohr, um dann in einem enervierend monomotivischen Dauerostinato plakativ zu eskalieren. Darüber müssen sich die Sänger mit Arneckes überaus anspruchsvoll zwischen Sprechgesang und Seelenamplitude changierenden Partien herumschlagen. Sie tun das bravourös: Ingrid Frøseth in staunenswerten Höhenflügen als Ana, Tamara Gura mit warmer Mezzo-Intensität als Sara sowie Christoph Pohl und Wilhelm Schwinghammer als ihre virilen Peiniger der Marke "Clockwork Orange". Der Regisseur Christoph von Bernuth bewegt sie überwiegend zeichenhaft prägnant durch den mit klaustrophoben Ängsten spielenden Kälte-Raum von Oliver Helf. Letzlich aber will der Abend nicht unter die Haut gehen, denn dort liegen Schwarz-Weiß-Schemata bekanntlich schon hinter einem.
Christian Strehk, Kieler Nachrichten, 11. April 2005
Krrr krrr, mmmh mmmh, pfff pfff!
Flüchtlingsdrama: Uraufführung der Henning-Mankell-Oper "Butterfly Blues" in der Opera stabile. Musikalische Bodenlosigkeit trifft auf ein Thema, dessen Ernst weniger luftig ist
Flüchtlingsdrama: Uraufführung der Henning-Mankell-Oper "Butterfly Blues" in der Opera stabile. Musikalische Bodenlosigkeit trifft auf ein Thema, dessen Ernst weniger luftig ist
"Halt! Bitte zeigen Sie Ihren Ausweis vor! Vergessen?! Dann bleiben Sie draußen!" - Mit Schikane beginnt die Uraufführung des dritten Werkes von Jörn Arnecke für die Hamburgische Staatsoper: Wortlos eskortiert der Werkschutz der Staatsoper die ausweislosen Premierenbesucher auf ihre Sitzplätze. Sträflinge!
Dann schwappen die ersten Töne "Butterfly Blues" auf der Bühne von links nach rechts. Zwei Frauen auf einem Flüchtlingsboot auf hoher See. Unsichere, zittrige Töne flirren durch den Raum. Die zwei Frauen reisen von Afrika nach Europa. Reisen? Der Schlepper wirft sie über Bord, ans Ufer müssen sie alleine schwimmen. Illegale!
An Europas Ufer trifft Schwarz auf Weiß: Die in schwarze Tücher gehüllten Frauen werden von Männern in weißen Anzügen drangsaliert: eingesperrt, vergewaltig, ausgenutzt, beschimpft. Die ausgewiesenen Notausgänge und Fluchtwege (Bühne: Oliver Helf) existieren für sie nicht. Klar und eindrücklich inszeniert Regisseur Christoph von Bernuth die Handlung nach der Vorlage von Henning Mankell. So, dass man darüber die Musik ein ums andere Mal vergisst.
Die anfänglich einzelnen Töne vereinen sich zu Klängen, je mehr Land die Frauen Ana und Sara unter den Füßen gewinnen. In der zweiten Szene verschmilzt der Sopran von Ingrid Frøseth mit einer Flöte zu einem intimen Lamento. In diesem wie in anderen Momenten passt die Partitur den vier SängerInnen wie angegossen. Mit spielerischer Leichtigkeit singen sie im Huckepack, auf dem Boden liegend oder auf allen Vieren. Oder lautieren nur Konsonanten: Krrr krrr, mmmh mmmh, pfff pfff!
Doch mit Fortgang der Handlung verschwören sich die rhythmischen Orchester-Einschübe gegen die Frauen: Laute expressive Schläge treiben einen LKW-Fahrer eine Treppe hinauf, parallel dazu steigen Schritt für Schritte die Töne und am Schluss der Szene vergewaltigt der Fahrer Ana, die ihr Schicksal marionettengleich erträgt.
Kulminationspunkt ist ein eindringlicher Rhythmus in den letzten zwei Szenen. Mit Sextolen und Septolen für das gesamte Orchester erzeugt der 31 Jahre junge Jörn Arnecke eine oszillierende Bodenlosigkeit, die im Gegensatz zu der schweren Handlung steht.
Je weiter die von Henning Mankell Klischee beladene Problematik jedoch in den Hintergrund tritt, um so mehr kann der Hörer sich auf Jörn Arneckes musikalische Ideen konzentrieren, ohne dabei das politische Thema aus den Augen zu verlieren.
Christian T. Schön, taz, 11. April 2005
Dann schwappen die ersten Töne "Butterfly Blues" auf der Bühne von links nach rechts. Zwei Frauen auf einem Flüchtlingsboot auf hoher See. Unsichere, zittrige Töne flirren durch den Raum. Die zwei Frauen reisen von Afrika nach Europa. Reisen? Der Schlepper wirft sie über Bord, ans Ufer müssen sie alleine schwimmen. Illegale!
An Europas Ufer trifft Schwarz auf Weiß: Die in schwarze Tücher gehüllten Frauen werden von Männern in weißen Anzügen drangsaliert: eingesperrt, vergewaltig, ausgenutzt, beschimpft. Die ausgewiesenen Notausgänge und Fluchtwege (Bühne: Oliver Helf) existieren für sie nicht. Klar und eindrücklich inszeniert Regisseur Christoph von Bernuth die Handlung nach der Vorlage von Henning Mankell. So, dass man darüber die Musik ein ums andere Mal vergisst.
Die anfänglich einzelnen Töne vereinen sich zu Klängen, je mehr Land die Frauen Ana und Sara unter den Füßen gewinnen. In der zweiten Szene verschmilzt der Sopran von Ingrid Frøseth mit einer Flöte zu einem intimen Lamento. In diesem wie in anderen Momenten passt die Partitur den vier SängerInnen wie angegossen. Mit spielerischer Leichtigkeit singen sie im Huckepack, auf dem Boden liegend oder auf allen Vieren. Oder lautieren nur Konsonanten: Krrr krrr, mmmh mmmh, pfff pfff!
Doch mit Fortgang der Handlung verschwören sich die rhythmischen Orchester-Einschübe gegen die Frauen: Laute expressive Schläge treiben einen LKW-Fahrer eine Treppe hinauf, parallel dazu steigen Schritt für Schritte die Töne und am Schluss der Szene vergewaltigt der Fahrer Ana, die ihr Schicksal marionettengleich erträgt.
Kulminationspunkt ist ein eindringlicher Rhythmus in den letzten zwei Szenen. Mit Sextolen und Septolen für das gesamte Orchester erzeugt der 31 Jahre junge Jörn Arnecke eine oszillierende Bodenlosigkeit, die im Gegensatz zu der schweren Handlung steht.
Je weiter die von Henning Mankell Klischee beladene Problematik jedoch in den Hintergrund tritt, um so mehr kann der Hörer sich auf Jörn Arneckes musikalische Ideen konzentrieren, ohne dabei das politische Thema aus den Augen zu verlieren.
Christian T. Schön, taz, 11. April 2005