Das Fest im Meer
Der 29-jährige Komponist Jörn Arnecke lebt als freischaffender Komponist in Hamburg. Er studierte Komposition und Musiktheorie in Hamburg und Paris und hat schon für die Bayerische Staatsoper München, die Expo Hannover, die Münchener Biennale und das Internationale Opernstudio Zürich komponiert. Im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper schrieb er die Oper "Das Fest im Meer", die am 17. Juni auf Kampnagel uraufgeführt wird.
Herr Arnecke, wie kommt es, dass so ein junger Komponist wie Sie mit einem Auftragswerk von der Hamburgischen Staatsoper beauftragt wird?
Vor zwei Jahren war an der Hamburgischen Staatsoper eine "Komponistenwerkstatt" ausgeschrieben. Man konnte Szenen einreichen. Vier Stücke von vier verschiedenen Komponisten wurden damals aufgeführt, auch eine Szene von mir war ausgewählt worden. in der Ausschreibung wurde die Möglichkeit in Aussicht gestellt, dass einer (oder eine) der beteiligten Komponisten hinterher einen Auftrag für ein abendfüllendes Werk erhalten kann. Um ehrlich zu sein: Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass das tatsächlich geschieht, ich habe in der "Komponistenwerkstatt" eher die Gelegenheit gesehen, weitere Theaterpraxis zu sammeln. Aber der Intendant der Staatsoper, Louwrens Langevoort, kam einige Zeit später auf mich zu und fragte mich, ob ich Interesse hätte, ein Stück zu schreiben. Und das hatte ich natürlich…
Ihre Oper "Das Fest im Meer" basiert auf dem Roman "To the Wedding" von John Berger. Worum geht es in dieser Geschichte?
Eine junge Frau, Ninon, erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Die Geschichte spielt 1994, als es noch keine so zielgerichteten Therapiemöglichkeiten mit Medikamenten gab wie heute. Für diese Frau heißt die Diagnose also, dass sie nur noch wenig Zeit hat zu leben. Zugleich spürt sie, dass andere Menschen sie als Bedrohung erleben. Ihrem Freund Gino (der nicht infiziert ist) wird sogar geraten, er solle sich von Ninon trennen, um sich selbst zu schützen. Das will er aber nicht, und er beschließt das genaue Gegenteil: Ninon zu heiraten, die wenige verbleibende Zeit mit ihr so intensiv zu nutzen, wie es nur geht. Und das Hochzeitsfest zeigt das ganze Gefühlsspektrum der Geschichte auf: Dieser "glückliche Tag" findet vor dem Hintergrund der grenzenlosen Tragik statt.
Sie haben in der Oper lange Passagen mit Sprechgesang eingebaut. Fühlten Sie sich dadurch in Ihrer kompositorischen Arbeit nicht eingeschränkt?
Nein, im Gegenteil. Das war ja meine freie Entscheidung, die Sänger auch sprechen lassen, und dieser Sprechgesang hat eine musikalische Funktion: Er stellt sich nämlich der Grundfrage, warum in der Oper überhaupt gesungen wird. Das Singen ist nicht selbstverständlich, sondern erwächst in besonderen Situationen aus den Gefühlsreaktionen der Menschen. Und indem nicht immer gesungen wird, kann das Singen als etwas Besonderes, auch als etwas besonders Emotionales erlebt werden. Die Passagen mit Sprechgesang sind trotzdem "komponiert": Das Sprechen wird rhythmisch und auch in der Tonlage genau vorgegeben.
Sie haben das Orchester neu geordnet - einige Musiker spielen im "Orchestergraben" und andere Musiker sind in der Nähe des Publikums verteilt. Was hat es damit auf sich?
Die Musiker umschließen das Publikum. Ich möchte vermeiden, dass Publikum und Bühne als getrennte Räume erlebt werden, das Publikum soll ja gerade ins Geschehen gezogen werden. Das kann ich musikalisch dadurch unterstützen, dass das Geschehen auch in den Raum verlagert wird, sogar mit den Raum-Möglichkeiten spielt.
Im "Fest im Meer" und in Ihren früheren Opern "Wieder sehen" oder "Wir spielen Frieden" setzen Sie sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander — sind sozialkritische Sujets eine Leidenschaft von Ihnen?
Ich bin jedenfalls der Überzeugung, dass heutiges Musiktheater natürlich auch mit dem heutigen Leben zu tun haben muss, um die Menschen zu erreichen. Kunst darf sich nicht fern von der Gesellschaft abspielen. Und ich kann bei jemandem nur Interesse wecken und Gefühle auslösen, wenn ich Theater über Themen mache, bei dem der Zuschauer oder die Zuschauerin denkt und fühlt: Ja, das hat mit mir, mit meinem Leben zu tun!
Wie beurteilen Sie die Musikform "Oper" und wie kann man sie den jüngeren Zuschauern näherbringen?
Oper ist für mich nach wie vor eine faszinierende Kunstform, weil sie die Leidenschaft für Zwischenmenschliches mit Musik verbindet und deshalb in tiefste Gefühlsbereiche vordringen kann. Ich weiß auch, dass sich gerade manche Jüngeren von der alten Kunstform Oper nicht angesprochen fühlen. Der Grund dafür ist sicherlich, dass sie oft die Themen und die Art, wie sie behandelt werden, als unzeitgemäß empfinden. Das muss aber überhaupt nicht so sein — und ich fand das bei der "Poppea"-Inszenierung an der Staatsoper so erstaunlich schön: eine fast 400 Jahre alte Oper von Claudio Monteverdi, und trotzdem waren viele junge Menschen im Publikum und haben das als ein Stück empfunden, das mit ihnen zu tun hat. Weil große Werke eine über die Zeiten gehende Wahrheit haben — und weil man das dann auch in heutigen, lebendigen Inszenierungen zeigen kann.
Sie gelten als sehr experimentierfreudig. Für einige Ihrer Werke ließen Sie sogar Harfen, Gitarren und Cembali verstimmen. Wie würden Sie selbst Ihre Musik beschreiben?
Experimentierfreudig, aber mit einer großen Freude an Klang und Klangfarbe. Daher kommt auch die Lust, neue, aussagefähige Klangbereiche zu entdecken. Ich denke, dass meine Musik sehr viel Emotionales in sich trägt — sie ist aber zugleich sehr genau geplant und konstruiert, um ein großes Ganzes zu bauen.
Als Kind wollten Sie ein Fußballprofi werden. Stattdessen sind Sie jetzt ein Komponist geworden. Warum haben Sie sich für die Musik entscheiden?
Weil es eine Leidenschaft war, die mich nicht losgelassen hat und mich auch jetzt nicht loslässt. Und weil aus dem Fußballprofi leider nichts Berauschendes geworden wäre.
Vielen Dank für das Gespräch!
hamburg: pur (Hamburger Sommer), Juni 2003
Herr Arnecke, wie kommt es, dass so ein junger Komponist wie Sie mit einem Auftragswerk von der Hamburgischen Staatsoper beauftragt wird?
Vor zwei Jahren war an der Hamburgischen Staatsoper eine "Komponistenwerkstatt" ausgeschrieben. Man konnte Szenen einreichen. Vier Stücke von vier verschiedenen Komponisten wurden damals aufgeführt, auch eine Szene von mir war ausgewählt worden. in der Ausschreibung wurde die Möglichkeit in Aussicht gestellt, dass einer (oder eine) der beteiligten Komponisten hinterher einen Auftrag für ein abendfüllendes Werk erhalten kann. Um ehrlich zu sein: Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass das tatsächlich geschieht, ich habe in der "Komponistenwerkstatt" eher die Gelegenheit gesehen, weitere Theaterpraxis zu sammeln. Aber der Intendant der Staatsoper, Louwrens Langevoort, kam einige Zeit später auf mich zu und fragte mich, ob ich Interesse hätte, ein Stück zu schreiben. Und das hatte ich natürlich…
Ihre Oper "Das Fest im Meer" basiert auf dem Roman "To the Wedding" von John Berger. Worum geht es in dieser Geschichte?
Eine junge Frau, Ninon, erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Die Geschichte spielt 1994, als es noch keine so zielgerichteten Therapiemöglichkeiten mit Medikamenten gab wie heute. Für diese Frau heißt die Diagnose also, dass sie nur noch wenig Zeit hat zu leben. Zugleich spürt sie, dass andere Menschen sie als Bedrohung erleben. Ihrem Freund Gino (der nicht infiziert ist) wird sogar geraten, er solle sich von Ninon trennen, um sich selbst zu schützen. Das will er aber nicht, und er beschließt das genaue Gegenteil: Ninon zu heiraten, die wenige verbleibende Zeit mit ihr so intensiv zu nutzen, wie es nur geht. Und das Hochzeitsfest zeigt das ganze Gefühlsspektrum der Geschichte auf: Dieser "glückliche Tag" findet vor dem Hintergrund der grenzenlosen Tragik statt.
Sie haben in der Oper lange Passagen mit Sprechgesang eingebaut. Fühlten Sie sich dadurch in Ihrer kompositorischen Arbeit nicht eingeschränkt?
Nein, im Gegenteil. Das war ja meine freie Entscheidung, die Sänger auch sprechen lassen, und dieser Sprechgesang hat eine musikalische Funktion: Er stellt sich nämlich der Grundfrage, warum in der Oper überhaupt gesungen wird. Das Singen ist nicht selbstverständlich, sondern erwächst in besonderen Situationen aus den Gefühlsreaktionen der Menschen. Und indem nicht immer gesungen wird, kann das Singen als etwas Besonderes, auch als etwas besonders Emotionales erlebt werden. Die Passagen mit Sprechgesang sind trotzdem "komponiert": Das Sprechen wird rhythmisch und auch in der Tonlage genau vorgegeben.
Sie haben das Orchester neu geordnet - einige Musiker spielen im "Orchestergraben" und andere Musiker sind in der Nähe des Publikums verteilt. Was hat es damit auf sich?
Die Musiker umschließen das Publikum. Ich möchte vermeiden, dass Publikum und Bühne als getrennte Räume erlebt werden, das Publikum soll ja gerade ins Geschehen gezogen werden. Das kann ich musikalisch dadurch unterstützen, dass das Geschehen auch in den Raum verlagert wird, sogar mit den Raum-Möglichkeiten spielt.
Im "Fest im Meer" und in Ihren früheren Opern "Wieder sehen" oder "Wir spielen Frieden" setzen Sie sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander — sind sozialkritische Sujets eine Leidenschaft von Ihnen?
Ich bin jedenfalls der Überzeugung, dass heutiges Musiktheater natürlich auch mit dem heutigen Leben zu tun haben muss, um die Menschen zu erreichen. Kunst darf sich nicht fern von der Gesellschaft abspielen. Und ich kann bei jemandem nur Interesse wecken und Gefühle auslösen, wenn ich Theater über Themen mache, bei dem der Zuschauer oder die Zuschauerin denkt und fühlt: Ja, das hat mit mir, mit meinem Leben zu tun!
Wie beurteilen Sie die Musikform "Oper" und wie kann man sie den jüngeren Zuschauern näherbringen?
Oper ist für mich nach wie vor eine faszinierende Kunstform, weil sie die Leidenschaft für Zwischenmenschliches mit Musik verbindet und deshalb in tiefste Gefühlsbereiche vordringen kann. Ich weiß auch, dass sich gerade manche Jüngeren von der alten Kunstform Oper nicht angesprochen fühlen. Der Grund dafür ist sicherlich, dass sie oft die Themen und die Art, wie sie behandelt werden, als unzeitgemäß empfinden. Das muss aber überhaupt nicht so sein — und ich fand das bei der "Poppea"-Inszenierung an der Staatsoper so erstaunlich schön: eine fast 400 Jahre alte Oper von Claudio Monteverdi, und trotzdem waren viele junge Menschen im Publikum und haben das als ein Stück empfunden, das mit ihnen zu tun hat. Weil große Werke eine über die Zeiten gehende Wahrheit haben — und weil man das dann auch in heutigen, lebendigen Inszenierungen zeigen kann.
Sie gelten als sehr experimentierfreudig. Für einige Ihrer Werke ließen Sie sogar Harfen, Gitarren und Cembali verstimmen. Wie würden Sie selbst Ihre Musik beschreiben?
Experimentierfreudig, aber mit einer großen Freude an Klang und Klangfarbe. Daher kommt auch die Lust, neue, aussagefähige Klangbereiche zu entdecken. Ich denke, dass meine Musik sehr viel Emotionales in sich trägt — sie ist aber zugleich sehr genau geplant und konstruiert, um ein großes Ganzes zu bauen.
Als Kind wollten Sie ein Fußballprofi werden. Stattdessen sind Sie jetzt ein Komponist geworden. Warum haben Sie sich für die Musik entscheiden?
Weil es eine Leidenschaft war, die mich nicht losgelassen hat und mich auch jetzt nicht loslässt. Und weil aus dem Fußballprofi leider nichts Berauschendes geworden wäre.
Vielen Dank für das Gespräch!
hamburg: pur (Hamburger Sommer), Juni 2003